Rotlicht: Regietheater
Von Felix BartelsDer Begriff scheint missverständlich. Spätestens seit Theater in Häusern organisiert wird, braucht jedes Theater Regie. Das fahrend-gaukelnde Schauspieltheater war Improvisation und Montage, ein Rudiment des oralen Zeitalters. Mit der entfalteten Ausstattung in den sesshaften Bühnen und der zunehmenden Verbreitung gedruckter Literatur wurde Regie als ordnendes Prinzip der zusammen wirkenden Künste nötig. Regietheater nun unterscheidet sich von Theater mit Regie darin, dass Regie in ihm mehr sein will als die regierende der nachschöpferischen Künste (Schauspiel, Bühnenbild, Maske etc.). Sie setzt sich als autark-schöpferisch und verdrängt die Ansprüche des Dramas. Paradoxerweise hat Regietheater damit Zustände wiederhergestellt, die das Theater mit Regie beseitigt hatte. Die spontane Willkür der darstellenden Künste kehrte als organisierte Willkür zurück. Regie verliert ihre Funktion, wo man sie für den eigentlichen Zweck hält.
Entstanden ist Regietheater in den 1970er Jahren. Und ausschließlich und bis heute im deutschen Sprachraum. Peter Zadek, Peter Stein oder Claus Peymann traten mit absolutem Anspruch auf. Aus der konkreten (meist begründeten) Entscheidung, genau dieses Stück zur Abwechslung mal gegen seinen Autor zu inszenieren, wurde eine zum Dogma erstarrte Masche. Peter Stein bemerkt rückblickend selbstkritisch: »Wenn das unkonventionelle Theater, das Schönste, was es gibt, zur Konvention wird, seid ihr in einer Falle.«
Das Wesen des Regietheaters hat Daniel Kehlmann in die Formel »Nicht glauben an Text« gebracht. Text werde kategorisch als verstaubtes Ding behandelt, das substantieller Veränderung bedarf, um überhaupt konsumierbar zu sein. Man meint, dass Shakespeare uns heute nichts mehr zu sagen hat. Wenn Regiekunst das Umschreiben der Fabel in den Raum bedeutet, ist Regietheater das Umschreiben der Fabel im Raum. Drama als Werk interessiert nicht länger, bloß noch als Material, und das wie gesagt nicht konkret begründet, sondern als Vorurteil. Die Formen des Regietheaters sind entsprechend: Aktualisierung (das Stück seiner Zeit entrissen), Montage (Teile verschiedener Werke werden einander versetzt), Umschreiben (der Regisseur drückt dem Stück eigene Texte rein), Shitshow (Gewalt, Sex, Nacktheit, Provokation, Silly Walk, Schreien als Dauerton).
Psychologisch lässt Regietheater sich beschreiben als narzisstische Überhöhung, ästhetisch als Liquidation des dramatischen Werks, soziologisch als Masche eines selbstreferentiellen Subventionsbetriebs, der sich ebenso wichtig nimmt, wie er im Ausland verlacht wird. Letzteres erklärt, warum praxisbegleitende Reflexion fast ausschließlich in Form von Abwehrmanövern stattfindet. Das populärste ist die Umkehr von Aggression und Reaktion. Regietheaterer sehen sich als Underdogs, obgleich sie längst dominieren. Nicht sie werden aus dem Betrieb ausgeschlossen, sie schließen die aus, die anders arbeiten wollen. Ein junger Regisseur, der es heute mit dem werkrelevanten Theater hält, weiß, dass er nahezu sicher in der Provinz landen wird.
Ein anderes Manöver ist die Umdeutung des waltenden Gegensatzes zwischen dem Anspruch der Kunst und den Zwängen des Subventionsbetriebs in einen zwischen konservativer und innovativer Haltung. Man muss aber nicht konservativ gestimmt sein, um Kunst gegen Betrieb zu verteidigen. Und in der Verteidigung der Kunst steckt die Verteidigung des Publikums, das in einem Betrieb, der nur noch für sich selbst da ist und von an Erwartungen geknüpften Subventionen getragen, kaum eine Stimme hat. Die großen Bühnen in New York oder London sind, da nicht subventioniert, gezwungen, ein Theater zu machen, das dem Publikum gefällt. Entsprechend bleibt Regietheater dort allenfalls marginal. Zum Preis kaum bezahlbarer Tickets aber. Wer das nicht will, muss eine Intendanz wollen, die Publikum und Kunstwerk vor allzu heftigem Zugriff durch Regisseure schützt. Das wurde im deutschen Sprachraum eine Zeitlang (im Osten wie im Westen) praktiziert – mit einem Theater, in das sich gehen ließ.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (28. Januar 2025 um 19:57 Uhr)Es hält sich da manches für Kunst, was eigentlich nur aufgeblasener Abfall ist. Man muss die Barden solchen Unsinns nur deutlich spürenlassen, dass man das weiß. Und dabei seinem gesunden Menschenverstand mehr trauen als dem wohltönenden Gesülze, das solchen »Kulturbetrieb« meistens umgibt.
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