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Aus: Ausgabe vom 30.01.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Hightechindustrie

Schweizer KI-Schock

Zugangsbeschränkung bei Chips für Unternehmen durch USA. Regierung opponiert gegen Entscheid
Von Dominic Iten
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Hart umkämpftes Hightechterrain: Halbleiterproduktion und -nutzung der Big Player (Austin, 19.7.2024)

Der Schock sitzt tief: Schweizer Forschern und Unternehmern soll der Zugang zu hochwertigen KI-Chips beschränkt werden. Neuerdings dürfen nur noch 18 Staaten, welche den USA als »vertraute Verbündete« gelten, uneingeschränkt auf die unverzichtbaren Bausteine moderner Technologie zugreifen – die Schweiz zählt nicht dazu, berichtete der SWR am Sonntag. Die neue Regel wurde von Joe Biden während seiner letzten Tage im US-Präsidentenamt auf den Weg gebracht und soll schon in vier Monaten in Kraft treten.

Nicht nur ein Schock, mehr noch ein schwerer Schlag. Denn noch zählt die Schweiz zu den wichtigen Standorten für die Entwicklung fortgeschrittener Technologie wie etwa künstlicher Intelligenz. Ob Google, Open AI oder Nvidia – alle großen Techfirmen haben hier ihre Niederlassungen. Entsprechend fielen die Reaktionen aus. Wirtschaftsminister Guy Parmelin von der rechten SVP kritisierte den Entscheid in der NZZ am Sonntag scharf und erklärte, dass man ihn umzustoßen versuche. Ziel sei »die Aufnahme der Schweiz in die Ländergruppe mit unbeschränktem Zugang zu modernen Computerchips aus den USA« – ansonsten werde es »kompliziert«. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat derweil versichert, die möglichen Auswirkungen der neuen Regelung zu überprüfen. Es betonte zudem, bereits Gespräche mit den US-Behörden eingeleitet zu haben.

Dabei ist noch vieles unklar. Gemäß ersten Berichten sind die neuen Bestimmungen teils vage formuliert: Sind etwa Firmen mit Hauptsitz in den USA davon betroffen? Fallen kleinere Mengen, wie sie üblicherweise von akademischen oder medizinischen Einrichtungen bezogen werden, ebenfalls unter das neu eingeführte Kontingent? Am meisten Verunsicherung stiftet aber die Formulierung, dass »nichtverbündete Staaten« die Kontingente umgehen können, indem sie den USA Zusicherungen machen – um welche Zusicherungen es sich handelt, wird nicht ausgeführt.

So unspezifisch die Ausgestaltung der neuen Regeln, so klar das übergeordnete Interesse: Die USA wollen mit Blick auf das aufstrebende China ihre hegemoniale Stellung im globalen Technologiesektor festigen. In welchem Ausmaß China bereits heute zur Gefahr für US-amerikanische Techunternehmen werden kann, hat uns Deep Seek Anfang dieser Woche vor Augen geführt. Das chinesische Startup hat einen KI-Chatbot entwickelt, der es bezüglich Leistung mit etablierten Modellen wie Chat-GPT aufnehmen kann – allerdings mit deutlich geringerem finanziellen Aufwand. Prompt zweifelten Börsianer auf dem Parkett ob der Milliardensummen, die in europäische und US-amerikanische Konzerne fließen. Der Aktienkurs etwa des führenden Chipkonzerns Nvidia brach kurzfristig um 17 Prozent ein. Kommt hinzu, dass die USA auf Chips aus Taiwan angewiesen sind. Mit ­China zusammen bilden die beiden Staaten eine Art Dreieck gegenseitiger Abhängigkeit. Eine Krisenkonkurrenz mit gewaltiger geopolitischer Sprengkraft.

Aus dieser Abhängigkeit wollen die USA sich lösen. Schon länger schauen sich Intel, AMD, Nvidia, Meta, Google und Amazon aktiv nach Produktionskapazitäten außerhalb Chinas und Taiwans um. Die Financial Times berichtete kürzlich, dass HP und Dell »ihre Zulieferer ausdrücklich aufgefordert haben, mit dem Aufbau von Kapazitäten in Südostasien« zu beginnen. Und an seinem zweiten Amtstag hatte US-Präsident Donald Trump angekündigt, im Rahmen der »Stargate«-Initiative 500 Milliarden Dollar unter anderem in den Aufbau von Chipproduktionsstätten in den USA zu investieren.

Aber das erfordert Zeit. Währenddessen wird der Wirtschaftskrieg über Exportregeln weitergeführt. Die Einteilung der Staaten in »vertrauenswürdig« und »nicht vertrauenswürdig« reduziert für die USA nicht nur das Risiko, dass Technologien über Dritte an China gelangen – sie soll vor allem die Unentschlossenen zur eindeutigen Position zwingen. Deshalb halten die USA den »nicht vertrauenswürdigen« Staaten mit vagen Aussagen eine Hintertür offen. Das Signal ist eindeutig: Auch wer gewissermaßen »in der Mitte« steht, macht sich zum Ziel von Restriktionen – aber es ist noch nicht zu spät, sich »für uns, die USA«, zu entscheiden.

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