Merkel gegen Merz
Von Arnold SchölzelKann Friedrich Merz Kanzler? Nach Auffassung von Angela Merkel und anderer CDU-Größen nicht. Die frühere CDU-Bundeskanzlerin (2005–2021), die sich nur äußerst selten öffentlich zu politischen Fragen äußert, nahm am Donnerstag vormittag in einer historisch einmaligen Erklärung zum Kurswechsel des Kanzlerkandidaten gegenüber der AfD Stellung und erklärte den Schwenk für »falsch«. Ähnlich hatten zuvor die beiden großen christlichen Kirchen, Gewerkschaften, SPD und Bündnis 90/Die Grünen geurteilt. Das deutet darauf hin: Merz hat es geschafft, die Kernklientel seiner Partei und die deutsche Bourgeoisie insgesamt zu spalten.
Merkel zitierte in dem auf ihrer Website buero-bundeskanzlerin-ad.de veröffentlichten Text den Vorschlag, den Merz am 13. November im Bundestag SPD und Bündnis 90/Die Grünen unterbreitet hatte: zu vereinbaren, dass »weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt«. Merkels Kommentar: »Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze. Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen.« Statt dessen sei es »erforderlich, dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts«, alles täten, um Attentate wie in Magdeburg und Aschaffenburg »verhindern zu können«.
Fast gleichzeitig mit Merkel wiederholte Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther seine Kritik an Merz. Er sagte in Kiel laut dpa, das Abstimmungsergebnis im Bundestag am Vortag sei ein Erfolg für die AfD: »Wenn die sich dort hinstellen und feiern, müssen eigentlich alle Demokratinnen und Demokraten merken, dass der Weg in eine falsche Richtung läuft.« Die Parteien der Ampel sowie die CDU müssten Gespräche führen über das »Zustrombegrenzungsgesetz«, das die CDU/CSU-Fraktion an diesem Freitag in den Bundestag einbringen will. AfD und BSW hatten angekündigt, dafür zu stimmen. Die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), und von Berlin, Kai Wegner (CDU), äußerten sich am Donnerstag ähnlich wie Günther.
Unterstützung erhielt Merz von der Jungen Union, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und dem früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). Ausdrücklichen Dank erhielt Merkel für ihre Erklärung von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD. Gregor Gysi (Die Linke) warnte im Portal The Pioneer: »Der Dammbruch steht am Freitag bevor.« Merz hoffe offenbar, mit seinem Kurs AfD-Wähler zurückzugewinnen, habe aber »die Zügel aus der Hand gegeben«. Merz reagierte am Donnerstag über bild.de und bot Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) an, über den Gesetzentwurf von CDU/CSU zu sprechen.
Zu seiner Bilanz gehört inzwischen: Der Holocaustüberlebende Albrecht Weinberg und der mit ihm befreundete Mannheimer Fotograf Luigi Toscano wollen nach dem Abstimmungserfolg von CDU/CSU am Mittwoch mit Hilfe der AfD ihre Bundesverdienstkreuze zurückgeben.
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