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Aus: Ausgabe vom 31.01.2025, Seite 1 / Titel
CDU-Strategie

Merkel gegen Merz

Frühere Bundeskanzlerin erklärt Strategiewechsel des CDU-Chefs für »falsch« und erhält Unterstützung aus der eigenen Partei
Von Arnold Schölzel
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»Staatspolitisch« aus Sicht der Merkel-CDU ein Versager: Friedrich Merz hat die deutsche Bourgeoisie gespalten

Kann Friedrich Merz Kanzler? Nach Auffassung von Angela Merkel und anderer CDU-Größen nicht. Die frühere CDU-Bundeskanzlerin (2005–2021), die sich nur äußerst selten öffentlich zu politischen Fragen äußert, nahm am Donnerstag vormittag in einer historisch einmaligen Erklärung zum Kurswechsel des Kanzlerkandidaten gegenüber der AfD Stellung und erklärte den Schwenk für »falsch«. Ähnlich hatten zuvor die beiden großen christlichen Kirchen, Gewerkschaften, SPD und Bündnis 90/Die Grünen geurteilt. Das deutet darauf hin: Merz hat es geschafft, die Kernklientel seiner Partei und die deutsche Bourgeoisie insgesamt zu spalten.

Merkel zitierte in dem auf ihrer Website buero-bundeskanzlerin-ad.de veröffentlichten Text den Vorschlag, den Merz am 13. November im Bundestag SPD und Bündnis 90/Die Grünen unterbreitet hatte: zu vereinbaren, dass »weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt«. Merkels Kommentar: »Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze. Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen.« Statt dessen sei es »erforderlich, dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts«, alles täten, um Attentate wie in Magdeburg und Aschaffenburg »verhindern zu können«.

Fast gleichzeitig mit Merkel wiederholte Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther seine Kritik an Merz. Er sagte in Kiel laut dpa, das Abstimmungsergebnis im Bundestag am Vortag sei ein Erfolg für die AfD: »Wenn die sich dort hinstellen und feiern, müssen eigentlich alle Demokratinnen und Demokraten merken, dass der Weg in eine falsche Richtung läuft.« Die Parteien der Ampel sowie die CDU müssten Gespräche führen über das »Zustrombegrenzungsgesetz«, das die CDU/CSU-Fraktion an diesem Freitag in den Bundestag einbringen will. AfD und BSW hatten angekündigt, dafür zu stimmen. Die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), und von Berlin, Kai Wegner (CDU), äußerten sich am Donnerstag ähnlich wie Günther.

Unterstützung erhielt Merz von der Jungen Union, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und dem früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). Ausdrücklichen Dank erhielt Merkel für ihre Erklärung von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD. Gregor Gysi (Die Linke) warnte im Portal The Pioneer: »Der Dammbruch steht am Freitag bevor.« Merz hoffe offenbar, mit seinem Kurs AfD-Wähler zurückzugewinnen, habe aber »die Zügel aus der Hand gegeben«. Merz reagierte am Donnerstag über bild.de und bot Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) an, über den Gesetzentwurf von CDU/CSU zu sprechen.

Zu seiner Bilanz gehört inzwischen: Der Holocaustüberlebende Albrecht Weinberg und der mit ihm befreundete Mannheimer Fotograf Luigi Toscano wollen nach dem Abstimmungserfolg von CDU/CSU am Mittwoch mit Hilfe der AfD ihre Bundesverdienstkreuze zurückgeben.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (31. Januar 2025 um 08:33 Uhr)
    Angesichts der zahlreichen Kriegsverbrecher und Nazis, die bereits das Bundesverdienstkreuz erhalten haben, auch in den höheren Stufen, ist es doch erstaunlich, dass man diese Auszeichnung überhaupt angenommen hat.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude, Russland (31. Januar 2025 um 02:35 Uhr)
    »Der Holocaustüberlebende Albrecht Weinberg und der mit ihm befreundete Mannheimer Fotograf Luigi Toscano wollen nach dem Abstimmungserfolg von CDU/CSU am Mittwoch mit Hilfe der AfD ihre Bundesverdienstkreuze zurückgeben.« Das ist ehrenwert, aber verspätet konsequent. Sicher hat Albrecht Weinberg bereits 2017 gezweifelt, ob er das Bundesverdienstkreuz überhaupt annehmen soll, nicht nur im Hinblick darauf, was er und seine Familie im »Dritten Reich« erdulden mussten. Er hatte schließlich nach 1945 verfolgt, wie in der BRD Naziverbrecher in höchste Staatsämter aufsteigen konnten, wie sie ebenfalls das Bundesverdienstkreuz erhielten, wie die BRD später einen Staat unterstützte (die Ukraine), der seit 2010 Judenmörder offiziell zu Helden erklärt, ihre Geburtstage feiert, Denkmäler für sie errichtet. Eine gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD gab nun also den Ausschlag. Das ist auch für Angela Merkel untragbar. Nun ja … War Sie es nicht, welche die jahrelang militärische und finanzielle Unterstützung der faschistisch infiltrierten Ukraine befürwortete und – führend in der EU – organisierte? Das war und ist natürlich für Merkel, für CDU, CSU, SPD, FDP, PdL nicht nur tragbar, sondern hat außenpolitische Priorität. Diese Ukraine passt tatsächlich in eine solche EU, und zwar ideologisch an bestimmender Stelle. Sie verkörpert den Geist, der sich da ausbreitet, bzw. gehalten hat. Das Bild von Globke, dem Architekten der Nürnbeger Rassegesetze, wurde in der Parteizentrale der CDU (oder war es das Bundeskanzleramt?) auch zu Zeiten Merkels nicht abgenommen. In etwa 30 deutschen Städten wurde Hitler erst nach dem Jahr 2000 die Ehrenbürgerschaft aberkannt, in einigen davon erst 2024. Laut Internet besteht sie in einigen Städten fort. Warum sollte man sich auch mit solchen Formalitäten befassen, wo es doch um den Kampf gegen die AfD und für die Ukraine geht? Doch diese spezielle Vergesslichkeit im pedantischen Deutschland fällt schon auf.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (3. Februar 2025 um 15:14 Uhr)
      Warum müssen Sie (wie auch zwei andere Leser) ausgerechnet die Annahme des Bundesverdienstkreuzes von Albrecht Weinberg und Luigi Toscano problematisieren? Diese Kritik geht in die völlig falsche Richtung. Sie kritisieren einen Menschen, der durch die Hölle gegangen ist. Wikipedia: »Die Eltern Alfred Weinberg und Frau Flora (geb. Grünberg) wurden 1942 von Berlin aus ins KZ Theresienstadt gebracht und von dort im Oktober 1944 in das KZ Auschwitz, wo sie umgebracht wurden (…) Die Geschwister mussten später bei Berlin in einem Lager bei Fürstenwalde arbeiten, mit einem Osttransport wurden sie im April 1943 ins KZ Auschwitz deportiert (…) Albrecht Weinberg musste zwei Jahre im KZ Buna/Monowitz arbeiten. Er überlebte drei Todesmärsche. Im Februar 1945 gelangte er ins KZ Mittelbau-Dora. Im April 1945 wurde er in Bergen-Belsen befreit, als dort die Briten ankamen. Nur wenige Familienmitglieder überlebten den Holocaust. Allein mütterlicherseits gab es vor dem Krieg neun Onkel und Tanten. Lediglich eine dieser Tanten – Marie Grünberg – konnte in den Niederlanden in einem Versteck überleben«.
      • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (4. Februar 2025 um 11:45 Uhr)
        Sie fragen: »Warum müssen Sie (wie auch zwei andere Leser) ausgerechnet die Annahme des Bundesverdienstkreuzes von Albrecht Weinberg und Luigi Toscano problematisieren?« Weil er dies offensichtlich selbst nachträglich als Problem sah. Sonst hätte er es ja nicht zurückgegeben und ich mich dann dazu auch nicht geäußert.
        • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (5. Februar 2025 um 12:13 Uhr)
          »Weil er dies offensichtlich selbst nachträglich als Problem sah. Sonst hätte er es ja nicht zurückgegeben und ich mich dann dazu auch nicht geäußert.« Nach meinen Informationen sah Albrecht Weinberg nicht in der Annahme der Auszeichnung ein Problem, sondern in der Zusammenarbeit von CDU/CSU und AfD und wollte mit der Rückgabe seinen Protest ausdrücken. In keiner Zeile Ihres Beitrages wird die Kumpanei von CDU/CSU, AfD und BSW kritisiert, was ja eigentlich das Thema des Artikels war. Nein, Sie mussten unbedingt die Annahme des Bundesverdienstkreuzes durch Weinberg problematisieren. Überaus sensibel auch, dass Sie praktisch in einem Atemzug die Naziverbrecher aufzählen, die ebenfalls das Bundesverdienstkreuz erhielten. Gehts noch schlimmer?
    • Leserbrief von Wieland König aus Neustadt in Holstein (31. Januar 2025 um 11:59 Uhr)
      Herzlichen Dank, Herr Buttkewitz, für ihren interessanten Beitrag, der eine fundierte Ergänzung zum oben genannten Artikel darstellt. Ihre klug recherchierten, inhaltlich nachvollziehbaren Kommentare mit echtem Neuigkeitswert sind im Kommentarteil der jungenWelt eine wirkliche Bereicherung für den Leser und unterscheiden sich dadurch von manchen anderen Beiträgen. Danke und noch mehr davon.

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