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Aus: Ausgabe vom 03.02.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Krieg im Kongo

Kigali setzt auf Eskalation

Das ruandische Militär und die Miliz »M 23« befinden sich im Kongo weiter auf dem Vormarsch
Von Christian Selz, Kapstadt
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Mit besserer Ausrüstung in der Vorhand. »M 23«-Rebellen eskortieren kongolesische Regierungssoldaten und Polizisten, die sich ergeben haben, an einen unbekannten Ort in Goma (30.1.2025)

Auf der Straße liegen Leichen. Drei Frauen, die die Szene beobachten, haben sich ihre Pullover über Nase und Mund gezogen. Eine Schar kleiner Kinder starrt entsetzt auf die Toten. Das Foto, mit dem der AP-Fotograf Brian Inganga in der vergangenen Woche die weitgehende Einnahme der ostkongolesischen Millionenstadt Goma durch die Miliz »M 23« dokumentierte, gibt einen kleinen Einblick in die Schrecken des Krieges in der Region. Seit die Kämpfer am Sonntag mit Unterstützung des ruandischen Militärs in die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu vorrückten, wurden dort nach Angaben der Vereinten Nationen vom Freitag 700 Menschen getötet und 2.800 weitere verwundet. Hunderttausende Zivilisten sind auf der Flucht. Wie hoch die Zahl der Vertriebenen genau ist, lässt sich nur schwer beziffern. Seit 1998 verloren etwa sieben Millionen Menschen durch den Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo ihr Zuhause. In der vergangenen Woche flohen auch zahlreiche bereits zuvor vertriebene Bewohner aus Flüchtlingslagern in Goma vor den Kämpfen.

Die Gesundheitsbehörde der Afrikanischen Union, Africa CDC, berichtet von einer »vollumfänglichen Gesundheitskrise« infolge der Kämpfe. Bereits vor den neuerlichen Gefechten hätten »extreme Bedingungen in Verbindung mit Unsicherheit und Massenvertreibung die Mutationen des Mpox-Virus begünstigt«, erklärte deren Leiter Jean Kaseya laut einem Bericht des südafrikanischen Nachrichtensenders eNCA vom Sonnabend. »Wenn nicht entschieden gehandelt wird, werden nicht nur Kugeln Menschenleben fordern, sondern auch die unkontrollierte Ausbreitung von Krankheiten und potentiellen Pandemien«, so Kaseya. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) warnte in der vergangenen Woche zudem vor einem drohenden Choleraausbruch.

Die stellvertretende Leiterin der UN-Mission im Kongo, Monusco, Vivian van de Perre, forderte vor dem UN-Sicherheitsrat in New York ein »dringendes und koordiniertes internationales Handeln«. Das Gremium hatte bereits am Sonntag vor einer Woche den Abzug »externer Kräfte« aus dem Osten des Kongo gefordert, diese allerdings nicht einmal beim Namen genannt. Wenig überraschend folgten weder »M 23« noch das ruandische Militär, das die Miliz UN-Berichten zufolge de facto kontrolliert, den Appellen. Statt dessen marschierten die Angriffstruppen in der vergangenen Woche auf die Nachbarprovinz Süd-Kivu weiter. Die kongolesische Armee hat sich auf Verteidigungslinien nördlich der Regionalhauptstadt Bukavu zurückgezogen. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete dort von langen Menschenschlangen vor einem Rekrutierungsbüro einer regierungsnahen Miliz. In der kongolesischen Hauptstadt demonstrierten derweil aufgebrachte Menschenmengen für ein stärkeres Vorgehen der eigenen Regierungstruppen gegen die Invasoren. Demonstranten attackierten die Botschaften unter anderen Frankreichs, Belgiens und der USA, die als Unterstützer Ruandas gelten.

Die westlichen Verbündeten Kigalis versuchen derweil mit verbaler Kritik an der dortigen Führung ihr Gesicht zu wahren. Aus Großbritannien wurde bekannt, dass die Regierung erwägt, die Zahlung von Hilfsgeldern an Ruanda auszusetzen. Belgien regte die Europäische Union an, Sanktionen in Betracht zu ziehen. Und die USA wünschen sich Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats. In Kigali versteht man diese Äußerungen allerdings offensichtlich als heiße Luft: »Die Reaktion westlicher Regierungen hat für uns keine Bedeutung«, erklärte Ruandas Außenminister Olivier Nduhungirehe am Freitag gegenüber AFP. Das ist zwar einerseits Kraftmeierei, andererseits aber auch faktisch korrekt, denn ein ernsthaftes Eingreifen des Westens gegen den Partner Ruanda ist kaum zu erwarten.

Im Vergleich zum Umgang des ruandischen Präsidenten Paul Kagame mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa waren die Äußerungen Nduhungirehes allerdings ohnehin noch die feine diplomatische Klinge. Nachdem in Goma innerhalb der vergangenen Woche 14 südafrikanische Soldaten der Interventionstruppe der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) getötet worden waren, warnte Ramaphosa vor weiteren Angriffen auf die eigenen Einheiten. Kagame antwortete bei X mit einer kaum verhohlenen Drohung: »Südafrika ist nicht in der Position, die Rolle eines Friedensstifters oder Vermittlers einzunehmen. Und wenn Südafrika Konfrontation vorzieht, wird Ruanda darauf jederzeit reagieren.«

Hintergrund:

»M 23«

Gegründet wurde der Mouvement du 23-Mars (Bewegung 23. März, kurz »M 23«) im April 2012. Die Gruppe versteht sich als Nachfolgeorganisation der kongolesischen Miliz CNDP, deren Kämpfer 2009 in die kongolesischen Streitkräfte integriert worden waren. »M 23« warf der Regierung in Kinshasa jedoch vor, Abmachungen gebrochen zu haben, womit der Neuaufbau der Miliz begründet wurde. Bereits im November 2012, also nur gut ein halbes Jahr nach der offiziellen Gründung, hatte »M 23« erstmals Goma eingenommen, die Hauptstadt der kongolesischen Provinz Nord-Kivu.

Wie zuvor die CNDP besteht auch »M 23« vor allem aus Angehörigen der Volksgruppe der Tutsi. Ihre Wurzeln reichen zurück bis zum Völkermord der Hutu an den Tutsi 1994 in Ruanda. Der historische Verweis auf den Genozid und die Ermordung von etwa 800.000 Tutsi dient der Regierung Ruandas, die ihrerseits aus der damaligen Befreiungsmiliz hervorgegangen ist, bis heute als Rechtfertigung des von ihr befeuerten Kriegs im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Während Kigali eine Unterstützung von »M 23« stets abgestritten hat, konstatierte eine Expertenkommission der Vereinten Nationen bereits im vergangenen Jahr, dass Ruandas Militär »M 23« nicht nur logistisch und militärisch unterstützt, sondern gar Weisungsgewalt über das Handeln der Miliz hat. Inzwischen gesteht die Regierung in Kigali eine Involvierung in den Konflikt zumindest insofern ein, als sie behauptet, sich im Osten des Kongo gegen feindliche Milizen zu verteidigen. Die ethnische Dimension des Konflikts soll dabei jedoch vor allem die wirtschaftlichen Interessen kaschieren, die hauptsächlich im Abbau seltener Rohstoffe wie Coltan liegen. (cs)

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