Mare Nostrum
Von Knut Mellenthin
Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur hat in der vergangenen Woche vorgeschlagen, von Schiffen, die in der Ostsee unterwegs sind, eine Zwangsgebühr zu erheben. Die Idee richtet sich erkennbar nur gegen Schiffe, die der »russischen Schattenflotte« zugeordnet werden, und sie setzt stillschweigend voraus, dass die gesamte Ostsee Eigentum der NATO sei, der mittlerweile acht der neun Anrainerstaaten angehören. Praktisch betrachtet ist es Dänemark, das nach Ansicht Pevkurs diese Zwangsgebühr eintreiben soll, weil es die territoriale Herrschaft über die Durchfahrten zwischen Ostsee und Nordsee besitzt.
Für solche Meerengen gelten jedoch internationale Regeln, die nicht beliebig geändert werden dürfen. Und gebührenpflichtig soll nach der Vorstellung Pevkurs in Wirklichkeit nicht das Durchfahren dieser Schiffahrtswege werden, sondern das Befahren der Ostsee generell. Dänemark wäre nur der Kassierer, der das Geld im Auftrag der westlichen Anrainerstaaten eintreibt. Es handelt sich insgesamt um eine sehr schlechte, nicht praktikable Idee, die der propagandistischen »Kriegsertüchtigung« dient.
Anlass des Vorschlags war die Übernahme der Kontrolle über den Frachter »Vezhen« durch die schwedische Küstenwache am 26. Januar. Das Schiff kam vom russischen Hafen Ust-Luga, fuhr unter der Flagge Maltas und gehört einer bulgarischen Reederei. Die Besatzung oder einzelne, bisher nicht namentlich bezeichnete Besatzungsmitglieder werden verdächtigt, durch Schleifenlassen eines Ankers absichtlich ein unterseeisches Datenkabel zwischen Schweden und Lettland durchtrennt zu haben. Die »Vezhen« wird seither in der Nähe des schwedischen Marinestützpunkts Karlskrona festgehalten.
Nach westlicher Darstellung ist das die vierte derartige Sachbeschädigung innerhalb eines Jahres, die der »Schattenflotte« zugeschrieben wird. Der letzte vorausgegangene Zwischenfall in der Ostsee hatte am 25. Dezember mit der Beschädigung des unterseeischen Stromkabels Estlink 2 zwischen Finnland und Estland begonnen. Am folgenden Tag übernahm die finnische Küstenwache die Kontrolle über den Tanker »Eagle S« und beorderte ihn zwecks polizeilicher Ermittlungen in die Nähe von Helsinki. Begründet wurde das mit dem Verdacht, der aus Russland kommende Tanker, der mit bleifreiem Benzin beladen war, könnte die Schäden durch einen herabgelassenen, am Meeresboden schleifenden Anker verursacht haben. Am 31. Dezember verboten die finnischen Behörden zunächst sieben der 24 Besatzungsmitgliedern, das Land zu verlassen. Ab 13. Januar durften zwei weitere nicht ausreisen. Eine Sicherheitsüberprüfung des Tankers, die am 8. Januar veröffentlicht wurde, listete 32 Unzulänglichkeiten auf. Am 22. Januar ordnete ein finnisches Gericht an, die »Eagle S« wegen Seeuntauglichkeit unbefristet festzuhalten.
Weltweit werden nach unterschiedlichen Angaben jährlich zwischen 120 und 200 unterseeische Kabel und Leitungen beschädigt. Verursacher sind unter anderem Fischereischiffe mit Schleppnetzen. Die Washington Post berichtete am 19. Januar, nach überwiegenden Einschätzungen US-amerikanischer und europäischer Geheimdienste handele es sich bei den Beschädigungen in der Ostsee wahrscheinlich nicht um russische Sabotage, sondern um Unfälle oder Versehen unerfahrener Besatzungen auf schlecht gewarteten Schiffen.
Aber die NATO lässt sich von sachlichen Argumenten nicht beeindrucken. Am 14. Januar kündigten die Regierungs- und Staatschefs der westlichen Ostseeanrainer nach einer Gipfelkonferenz in Helsinki die Schaffung einer gemeinsamen Überwachungsmission namens »Baltic Sentry« an. In diesem Rahmen sollen in der Ostsee »zusätzliche Mittel auf See, in der Luft, an Land und unter der Wasseroberfläche eingesetzt werden, um Überwachung und Abschreckung zu verstärken«. Konkrete Einzelheiten müssen erst noch vereinbart werden. Als Koordinationsstelle soll das neue Hauptquartier in Rostock dienen, das offiziell am 1. Oktober die Arbeit aufgenommen hat.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. Februar 2025 um 11:45 Uhr)Peter der Große sicherte Russland durch den Großen Nordischen Krieg (1700–1721) den Zugang zur Ostsee. Heute bleibt die Ostsee für Russland strategisch wichtig, insbesondere für den Handel und die militärische Präsenz. Die aktuelle Lage zeigt, dass geopolitische Spannungen diesen Zugang erneut gefährden. Russland hat gemäß internationalem Recht freien Zugang zur Ostsee, einschließlich des Rechts, Schifffahrtswege zu nutzen. Kaliningrad als russische Exklave ist auf eine ungehinderte maritime Verbindung mit dem Mutterland angewiesen. Einschränkungen oder Zwangsmaßnahmen gegen russische Schiffe könnten als rechtswidrige Blockade interpretiert werden. Die Erhebung einer »Zwangsgebühr« für die Durchfahrt durch internationale Gewässer widerspricht dem Seerecht, insbesondere der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS). Meerengen wie die zwischen Dänemark und Schweden unterliegen dem Recht der »freien Durchfahrt« (Transitpassage), das nicht einfach durch nationale Maßnahmen eingeschränkt werden kann. Eine generelle Gebühr für das Befahren der Ostsee wäre völkerrechtlich höchst fragwürdig. Russland wird Einschränkungen seines freien Zugangs zur Ostsee kaum akzeptieren. Solche Maßnahmen könnten als Provokation gewertet werden und zu Gegenreaktionen führen!
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