Halbierter Schwur
Von Arnold SchölzelGegen Neonazis und gegen die mit ihnen betriebene Kumpanei des sogenannten gemäßigten Bürgertums demonstrieren erneut Hunderttausende. Das ist angebracht. Nach gegenwärtigem Stand werden CDU/CSU und AfD am 23. Februar zusammen die Mehrheit im Bundestag haben. Noch ist eine Koalition ausgeschlossen, aber die Union gewöhnt die Wähler schon mal an die Perspektive.
Der Protest dagegen ist widersprüchlich: Den liberalen Rechtsstaat haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ebenso durchlöchert wie CDU und CSU. Das Parteienkartell war sich einig: »Zeitenwende«, »Kriegstüchtigkeit«, »deutsche Staatsräson« für Israel und vor allem der für 2029 berechnete Angriff Russlands erfordern eine innere Mobilisierung. Das verlangt den reaktionär-militaristischen Staatsumbau, der mit dem am Montag vom CDU-Parteitag einstimmig beschlossenem Merz-Programm vorangetrieben werden soll. Aber: Vor Friedrich Merz hat Olaf Scholz bereits 2023 »Abschiebungen im großen Stil« angekündigt, nannte Annalena Baerbock die in der EU beschlossene Einrichtung von (irgendwann auch für innere Feinde verwendbaren) Lagern für Asylsuchende die Verwirklichung von »Humanität und Ordnung«. Das ist rechts von der AfD. Die CDU hat nun aufgeholt.
Scholz und Baerbock ernteten keine Straßenproteste. Es gilt: AfD und Merz besorgen die Hetze, SPD, Grüne und FDP machen die Gesetze. Wer auf Demonstrationen gegen rechts von der Regierungspraxis schweigt, heuchelt. Er billigt jedenfalls stumm deren Zynismus. So stellen dann Grünen-Politiker ein Grinsefoto von einer Berliner Demo gegen »Rechtsruck« auf Elon Musks X. Wer solche »Antifaschisten« hat, benötigt keine Rechten mehr.
Nicht nur widersprüchlich, sondern absurd ist die Haltung vieler Demonstranten zum Kriegskurs. Sie halbieren den Schwur, den die Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald 1945 formulierten – »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« –, indem sie den zweiten Teil unterschlagen. Das ist Ergebnis einer Entwicklung: Seit dem Anschluss der DDR hat sich diese Zweiteilung in Gewerkschaften oder auch einem Gremium wie dem Bundesvorstand der VVN-BdA durchgesetzt. Es begann mit dem Milliardenscheck 1991 aus Bonn für den US-Krieg gegen den Irak. Da war die Tinte unter dem Zwei-plus-vier-Vertrag mit der Formel »Nie wieder Krieg von deutschem Boden« noch nicht trocken. Die Kriege des Westens erhielten seither oft das Etikett »antifaschistisch«. Das hat die Wähler nie überzeugt. Deswegen wird vom Krieg dort, wo Grüne und Vorfeldvereine wie Campact Protest organisieren, geschwiegen. Wer dort den »Berliner Appell« gegen die Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland verbreiten will, bekommt regelmäßig Probleme.
Rechtsruck – das ist daher die vermutlich bevorstehende Koalition aus CDU/CSU und SPD oder, wenn es noch schlimmer kommt, mit Bündnis 90/Die Grünen.
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