Ab geht die Lutzi
Von Marco Bertram
Bevor die Deutsche Bahn vor 30 Jahren am 1. Februar 1995 (erster Gültigkeitstag war der 4. Februar 1995) das »Schönes-Wochenende-Ticket« (kurz »WET«) eingeführt hatte, musste man sich mitunter finanziell ganz schön strecken, um vom weiten Fußballfeld querbeet zu naschen. In NRW konnte man damals von Glück sagen, dass mit vielen Eintrittskarten (die billigsten kosteten fünf bis acht D-Mark) quer durch die VRS- und VRR-Zonen gedüst werden konnte. Wollte einer am Wochenende von Düsseldorf aus seine Tante in Dortmund zum Kaffee besuchen, kam es günstiger, sich im Vorverkauf eine Stehplatzkarte eines BVB-Heimspiels zu besorgen und mit dieser dann durch den Kohlenpott zu juckeln, als mit einem regulären Verbund-Ticket.
Im Fußballosten gab es so was nicht. Mit dem »Schönes-Wochenende-Ticket« wurde alles anders. Was für ein Quantensprung! Zwickau, Chemnitz, Dresden, Leipzig und Rostock – plötzlich war alles locker zu stemmen. Die erste WET-Version kostete schlappe 15 DM und war Sonnabend und Sonntag gültig. Bis zu fünf Personen konnten umgerechnet für je 1,50 Euro zwei Tage lang mit dem Nahverkehr durch die Lande juckeln, bis der Arzt kommt. Und der war manchmal wahrlich nötig, denn auf den Hauptstrecken wurden bei Stoßzeiten Zustände erreicht, die jenen in Bangladesch oder Indien wirklich alle Ehre machten.
Eine Fußballsause in den Ruhrpott? Mal rasch den MSV Duisburg und Westfalia Herne beglückt, auf der Rücktour begann in Braunschweig das wilde Rennen auf dem versetzten Bahnsteig. Mit Kind und Kegel und vollen Taschen alle Mann in den Regio nach Magdeburg. Peilte ich mal exotische Fußballziele im Raum Kassel oder Göttingen an, gab es Verbindungen und Umsteigebahnhöfe, die ich zuvor niemals auf dem Schirm hatte. Aschersleben, Haldensleben und Sangerhausen. In den 90ern schnupperte es in der Provinz noch nach DDR, und die Schwellen und Weichen schepperten noch richtig derb. Glück hatte man, wenn mit dem WET ein Interregio oder Interregio-Express mit denkwürdiger rosa-türkisfarbener Ausstattung genutzt werden durfte.
Das WET ist seit 2019 Geschichte, doch dank des Deutschlandtickets könnte man rund um die Uhr die alten wilden Zeiten aufleben lassen. Ich überlegte schon mal und stellte mir einen Plan auf: In zwei Wochen mit Hansa Rostock nach Mannheim fahren? Ganz allein auf eigene Faust. Kurz nach Mitternacht los und sechsmal umsteigen. 11:37 Stunden Fahrtzeit. Klingt nach einem dufte Abenteuer? Na denn man tau! Schmalzfleisch, Schrippen und gekochte Eier eingepackt – und ab geht die Lutzi!
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vom 04.02.2025