»Leistungskürzungen darf es nicht geben«
Interview: Gitta DüperthalDer Sozialverband VdK will Klagen gegen die erhöhten Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse bis vors Bundesverfassungsgericht begleiten. Wie steht es um die Erfolgschancen?
Gut. Wir stützen uns dabei auf ein Rechtsgutachten vom GKV-Spitzenverband. Nach Entscheidungen des Bundessozial- und Bundesverfassungsgerichts unterliegen Sozialversicherungsbeiträge einem besonderen Schutz: Sie dürfen nicht zur Finanzierung des allgemeinen Haushalts verwendet werden, auch nicht für die dringend notwendige Umgestaltung des Krankenhaussystems. All dies muss gerecht auf mehrere Schultern verteilt werden.
Erfordert die Beitragserhöhung schnelles politisches Handeln?
Ja. Denn die Zusatzbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung steigen immer weiter an. Das Vertrauen in die Sozialversicherungen wird so zerstört. Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert Ausgaben, die gesamtgesellschaftlich aus Steuergeldern getragen werden müssen; darunter auch wünschenswerte Leistungen wie etwa Beitragsfreiheit zur Familienversicherung. Dazu gehören auch Erziehungs- oder Mutterschaftsgeld, familienpolitische Leistungen wie Krankengeld, stationäre Geburtshilfe oder die Förderung von Aus- und Weiterbildung, Verbraucher- und Patientenschutz. Auch Kosten für Krankenhausinvestitionen zählen dazu, eigentlich Aufgaben der Bundesländer. Insgesamt gibt es eine Unterfinanzierung von 37,7 Milliarden Euro pro Jahr.
Woher soll das Geld kommen?
Die Reformvorschläge aus dem VdK-Steuerkonzept könnten Bund, Ländern und Kommunen insgesamt 100 Milliarden Euro mehr finanziellen Spielraum einbringen: eine Wiedereinführung einer verfassungskonformen Vermögenssteuer, eine Digitalsteuer nach französischen Vorbild, eine sozial gerechte Erbschafts- und Einkommenssteuer.
Auch für die Krankenhausreform werden Beitragszahlende zur Kasse gebeten.
Es gibt eine falsche Vorstellung, was die Aufgaben der gesetzlichen Krankenkasse sein sollen. Sie darf nicht als Selbstbedienungsladen verstanden werden. Von der Krankenhausreform werden auch privat Versicherte profitieren, die bisher mit keinem Cent an den Kosten beteiligt wurden. Das Geld der Versicherten darf nur Leistungen für Versicherte zugutekommen.
Was halten Sie vom Modell einer Bürgerversicherung, in die alle einzahlen?
Der VdK setzt sich seit Jahren dafür ein, eine einheitliche solidarische Krankenversicherung einzuführen, um die ungerechte Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland abzubauen. So wären sogar Reduktionen der Versichertenbeiträge möglich – bei gleichen Leistungen.
Warum wehren sich Parteien wie etwa CDU und FDP dagegen?
Im Vorfeld der Bundestagswahlen bekräftigten beide Parteien in unserem Wahlprüfstein, dass es bei einer Dualität von privaten Krankenversicherungen und gesetzlichen Krankenversicherungen bleiben soll. Gleichzeitig mahnt die CDU, man bräuchte eine Reform für eine solide Finanzierung, damit die Beiträge für alle Versicherten nicht weiter steigen. Die Gesundheit der Menschen darf nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden.
Auch die Unternehmensverbände kritisieren erhöhte Beiträge, fordern aber »mehr Wettbewerb«, also mehr Privatisierung.
Der VdK lehnt mehr Wettbewerb ab. Es braucht keine Doppelstrukturen. Die Verwaltung der Krankenkassen sollte sich dem Patienteninteresse widmen, nicht dem Selbsterhalt.
Die GKV kritisiert: Bisherige Regierungen hätten stets aufgefordert, Rücklagen der gesetzlichen Kassen erst mal aufzubrauchen. Ist damit das Problem nicht auf nachfolgende Regierende verschoben?
So ist es. Wer Mehrausgaben der GKV durch das Abschmelzen von Rücklagen kaschiert, verschiebt die Probleme in die Zukunft. Der Vorstandsvorsitzende der Techniker-Krankenkasse hat dies vor allem Jens Spahn von der CDU zugeschrieben. Auf Kosten der soliden Finanzierung der Krankenkassen habe er eigenen politischen Erfolg gesucht.
Wie wollen Sie in dieser Frage vorankommen?
Wir fordern von allen Parteien ein klares Ja zum Sozialstaat – mit einem gerechten Steuersystem ist er finanzierbar – und unser aller Gesundheit zu ermöglichen. Leistungskürzungen darf es nicht geben.
Verena Bentele ist Präsidentin des Sozialverbandes VdK
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