Technik des Staatsstreichs
Von Norman Philippen
Trompetengott Louis Armstrong war ein Botschafter des Jazz, der diesen aus New Orleans hinaus in die Welt brachte, das ist allgemein bekannt. Auch dass er wie zum Beispiel Duke Ellington oder Dizzy Gillespie als vom US State Department finanzierter »Jazz Ambassador« fungierte, um US-amerikanische Werte global zu promoten, ist gesichertes Wikipedia-Wissen. Über die tatsächliche Bedeutung der Jazzer als Soft-Power-Instrument der CIA allerdings gibt Johan Grimonprez’ dokumentarisches Husarenstück »Soundtrack to a Coup d’Etat« in zweieinhalbstündiger Ausführlichkeit so beredte Auskunft, dass selbst bessere Kenner der US-Kulturdiplomatiegeschichte sich wundern mögen, welch »Wonderful World« sich »der Westen« doch geschaffen hat.
Die jedoch war im Jahr 1960 arg bedroht von unguten Entwicklungen. Das durch unter anderem von der Sowjetunion erhobene Rassismusvorwürfe angekratzte Image der USA bedurfte der gezielten Aufpäppelung und das um so mehr, da 17 afrikanische Kolonien sich anschickten, ihre Unabhängigkeit zu erlangen, und sogar von den United States of Africa träumten. So die rohstoffreiche, bis 1960 unter belgischer Kolonialknute geknechtete Demokratische Republik Kongo (bis 1966 Kongo-Léopoldville).
Schlimm genug, dass einem der Russe auf der UN-Generalversammlung seinen Schuh auf den Delegationstisch donnert, nun kamen die Kongolesen auch noch mit ihrem Hoffnungsträger Patrice Lumumba an, von dem man nicht wusste, warum so ein demokratisch gewählter Lump am Leben bleiben sollte. Hierzu die erste von Hunderten Texteinblendungen des Essayfilms: »Auswärtiges Amt der Vereinigten Staaten: ›Präsident Eisenhower wünscht sich, dass der kongolesische Premier Mulumba in einen Fluss voller Krokodile fällt. – Bedauerlicherweise, so die Antwort des britischen Außenministers Home, sind uns die Techniken der altmodischen Diplomatie abhanden gekommen.‹«
Auf Platte gepresst wurde Ambassador Satchmos Friedensbotschaft zwar erst 1967, doch bis dahin war von heiter hegemonialen »friends shaking hands, saying, ›How do you do?‹« auf geopolitischem Tanzboden längst schon vieles zu sehen und zu hören. Hintergründig gaben die perfiden Mechanismen imperialistischer Herrschaftsansprüche den Ton an. Ganz nach dem allen Jazzern bekannten dialogischen »Call and Response«-Verfahren eben: Called Africa for freedom, antwortet der Westen (Response). Bloß, dass die Interaktion im Jazz zu lebendiger Dynamik führt, im Imperialismus aber leider meist zur Todesstarre.
Wie aus einem widerständigen Soundtrack der Befreiung mit tatkräftiger geheimdienstlicher Unterstützung der »Soundtrack to a Coup d’Etat« gemacht wurde, zeigt Grimonprez’ wilde, sarkastische, wütende, anklagende, erhellende, ermunternde Collage, die die Mär vom zivilisierten Wertewesten aufs sehenswerteste demontiert. Mit angemessenem Taktgefühl. Und dem passenden Arsenal an Zitaten und Archivmaterial, dessen Montage so jazzig improvisiert wirkt, wie sie tatsächlich wohl genauestens komponiert wurde.
So hinterfotzig und um freundschaftliche Nivellierung kritischer Kulturinhalte stets bemüht der Kulturbetrieb nun einmal ist, sollte sich Grimonprez nicht wundern, wenn seine als »bester Dokumentarfilm« bei den Oscars 2025 nominierte Arbeit tatsächlich die Auszeichnung erhält.
»Soundtrack to a Coup d’Etat«, Regie: Johan Grimonprez, Belgien u. a. 2024, 150 Min., Kinostart: heute
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