Wellen im Ozean
Von Gisela Sonnenburg
Rosa Luxemburg herself schien zum Konzert eingeladen zu haben. Denn in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin-Mitte prangen derzeit Plakate aus zwei Jahrhunderten von der jährlichen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Sie sind fabelhaft gehängt, vermitteln ein überzeitliches Museumsgefühl, voll der Erwartung. In diese kontemplative Atmosphäre kam vorgestern mit dem Konzert des Gitarristenduos PassChord eine weitere Aufforderung, Herz und Hirn einzuschalten. »jW geht Jazz« heißt die von Hannes Zerbe kuratierte Reihe mit Live-Musik, die an jedem ersten Dienstag im Monat in der Maigalerie stattfindet.
Dirk Töpper und Reinhard Jungrichter kennen sich seit Schultagen. Sie haben – allerdings erst als Erwachsene – als Duo PassChord einen prägnanten Sound entwickelt, um ihr Publikum zu entführen: in verträumt sonnige, meditative, aber auch moderne Sphären. Jungrichter an der klassischen Gitarre und Töpper an der Jazzgitarre vermögen es, gemeinsam zu säuseln und zu plätschern wie ein lieblicher Bach im Gebirge, doch sie können auch zirpen und klopfen wie aufgeregte Vögel im Wald.
Sanft wechseln die Harmonien, manchmal auch die Tonarten. Ein Stück kommt im 15/8-Takt daher: rasant im Tempo, ruckelnd und hüpfend. Fast holpernd, aber nicht stolpernd. Es ist das einzige an diesem Abend, das man rockig nennen kann. Da fliegen richtig die Fetzen. Bis es von den elektronisch verstärkten Gitarrensaiten her in den höchsten Tonlagen wimmert, als nahte der Weltuntergang – wie einst bei Eric Clapton. Ansonsten aber obsiegt ein eher flirrendes Flair. Und findet mit einem energischen Akkord auch mal ein heiter saftiges Ende. Der Phantasiename drückt das lautmalerisch aus.
Mit einem lateinamerikanischen, elegant swingenden Rhythmus werden dann laue Sommernächte in der Erinnerung wach. Eine Labsal ist das, zumal mitten im Winter in Deutschland. Doch die Realität holt uns ein, mit einer kurzen Pause zwischen zwei Stücken: Die Gitarren müssen ab und an nachgestimmt werden. »Wenn ein Gitarrist 75 Jahre alt ist, so hat er ungefähr 25 Jahre gestimmt«, sagt Reinhard Jungrichter und hat die Lacher auf seiner Seite.
Das Streben nach Präzision zahlt sich aus. Ob bei einem kuscheligen Wiegenlied, das nach der Werbepoesie für ein Duschbad »Aquatischer Duft« benannt ist, oder im Ausnahmestück »Meuterei«, bei dem es wie im Free Jazz zugeht: Mal quiekt und piept, mal klirrt und knarzt es. Aber nie wird der Sound hier anstrengend oder gar destruktiv. Das aggressive Element bleibt außen vor: PassChord schulen die Ohren in modernen Harmonien.
In »Keine wie die andere« rollt dann eine Welle wie im Ozean auf uns zu, rein klanglich. Und noch eine Welle folgt, dann noch eine – aber keine ist genau wie ihre Vorgängerin, wie es der Titel schon verheißt. Das Stück findet sich übrigens, wie die meisten von diesem Abend, auf der aktuellen CD von PassChord namens »ObenUnten«. Sie erschien erst vor zwei Monaten.
Vielleicht ist es ein Hauch von Ostsee, so eine sanfte Brise, die alle Stücke und auch die beiden Musiker selbst verbindet. Dirk Töpper und Reinhard Jungrichter stammen aus Schwerin, haben den weiten Horizont vom Meer im Blut. Auch wenn Jungrichter mittlerweile in Weimar lebt und an der Musik- und Kunstschule Jena unterrichtet: Die nordöstliche Natur als Anregung bleibt. Und wenn Töpper, der Spezialist an der Jazzgitarre, dem klassisch ausgebildeten Jungrichter mit einer neuen Komposition einen Vorschlag macht, wird oft noch nachjustiert. Plötzlich kommt Wind hinein, er trägt die Melodie weiter, und es ergibt sich eine neue Themenvariation.
»Von heute an« heißt der letzte reguläre Song ohne Worte, der Titel ist Programm. Er bedeutet, dass jeder Tag eine Chance sein kann. »Man kann immer neu starten«, sagt Jungrichter – und diese Hoffnung begleitet uns weiter. Auch über die Zugabe hinaus, die vom 80er-Jahre-Sound des Duos Towner und Abercrombie inspiriert ist. Da schmilzt man dahin.
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