Brüllen im Walde
Von Reinhard Lauterbach
Über Jahrzehnte hat man als Gegner der NATO gelernt, die aggressiven Absichten der Allianz aus dem in ihrer defensiven Selbstrechtfertigung Vorausgesetzten herauszulesen. Grob gesagt lautete das zentrale Argument, dass der Anspruch der NATO, die eigenen Interessen zu verteidigen, über deren Ausmaß und Grenzenlosigkeit nichts aussage: Wer die Weltherrschaft anstrebe, finde überall nur neue Grenzen vor, die er dann »verteidigen« müsse.
Umso mehr fällt die Rhetorik des neuen Pentagon-Chefs Pete Hegseth auf, der die NATO zu einer »tödlicheren Kraft« machen will. Als wäre sie bisher der »diplomatische Klub« gewesen, als den sie Hegseth zum Auftakt seines Antrittsbesuchs abgekanzelt hat. Es ist, als hätte Washington seit der Machtübernahme durch Donald Trump die alte Maxime abgelegt, »leise zu sprechen, aber immer den großen Knüppel dabeizuhaben«. Ist es am Ende genau umgekehrt? Die neue Administration grölt international herum, weil sie – wieder O-Ton Hegseth – in Wahrheit vor der Notwendigkeit steht, sich »mit den Aktivitäten Chinas im Indopazifik auseinanderzusetzen«? Die seit 20 oder 30 Jahren herausposaunte Doktrin von der anzustrebenden Fähigkeit der USA, zwei oder zweieinhalb Kriege gleichzeitig führen zu können, scheint stillschweigend abserviert. Oder doch nicht, nur dass andere den zweiten oder dritten Krieg führen sollen?
Dass Hegseth den europäischen Verbündeten die Aufgabe zuweist, die Hauptlast der Verteidigung ihrer »Nachbarschaft« zu tragen, ist dabei doppeldeutig. Das englische Wort »neighbourhood«, das die Agenturen so schnell als »Nachbarschaft« herunterübersetzen, trägt die Bedeutungsebene von »Hinterhof« mit sich. Osteuropa als Hegemonialsphäre des Westens bleibt das Ziel der USA. Gerade haben sie den Großteil der ukrainischen Bodenschätze für sich reklamiert. Aber sie wollen, dass ihre Vasallenschar die Kosten dieser Hegemonie übernimmt. Dass in dieser Truppe jemand auf den Gedanken kommen könnte, zu fragen, welcher Nutzen den Kosten dieser Hegemonie gegenüberstehe, ist vom Ausgangspunkt her ausgeschlossen. Dafür stehen Kleinkrakeeler wie Kaja Kallas und Möchtegern-Weltherrschende wie Ursula von der Leyen – Figuren, für die die Vorstellung eines nachbarschaftlichen Miteinanders mit Russland, das nun einmal in der sogenannten Nachbarschaft ihres »Europas« liegt, die größte politische Sünde darstellt.
Denn Großmacht sein, das wollen die europäischen US-Vasallen alle. Nur ist keiner von ihnen für sich fähig, der russischen Militärmacht Paroli zu bieten. Das könnte Anlass sein, die Relativität der eigenen politischen Ambitionen einzugestehen und sich keine Schuhe anzuziehen, die deutlich zu groß sind. Auf diesem fehlenden Mut »Europas« zur Einsicht in die eigenen Grenzen baut Hegseths Großsprecherei auf. Deshalb werden sie sich schon vertragen in Brüssel.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Februar 2025 um 10:30 Uhr)Hochmut kommt vor dem Fall – treffender lässt sich die aktuelle Lage des sogenannten Wertewestens kaum beschreiben. Angetrieben von unrealistischen ideologischen Vorstellungen strebt man an, Osteuropa vollständig in den westlichen Einflussbereich zu integrieren, ohne anzuerkennen, dass diese Region historisch und kulturell eine völlig andere Entwicklung als der Westen durchlaufen hat. Das zentrale Problem dabei: Weder die USA noch die EU sind wirtschaftlich in der Lage, die enormen militärischen Lasten dieser Strategie zu schultern, ohne massive Wohlstandsverluste in Kauf zu nehmen. Selbst Polen, Rumänien, Ungarn und die baltischen Staaten haben sich dem Westen nicht aus reiner Überzeugung angeschlossen, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Interessen – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Hinzu kommt das demografische Dilemma der westlichen Wohlstandsgesellschaften: Schrumpfende Bevölkerungen und steigender Migrationsdruck führen bereits jetzt zu gesellschaftlichen Spannungen. Eine Militarisierung Europas wäre in diesem Kontext der völlig falsche Weg. Die Menschen wollen Frieden und Wohlstand – nicht Aufrüstung und neue Konflikte. Stattdessen bräuchte es eine Politik der realistischen Selbstbegrenzung, die wirtschaftliche Stabilität und diplomatische Lösungen in den Vordergrund stellt. Doch wo bleibt der einst versprochene »Wohlstand für alle«?
Mehr aus: Ansichten
-
Streisand des Tages: Max Uthoff
vom 13.02.2025