Alle sind korrupt
Von Niki Uhlmann
Sind denn wirklich alle korrupt? »Nirgendwo ist niemand korrupt«, würde Transparency International (TI) wohl antworten. Das ruiniert den Planeten, wie aus dem »Korruptionswahrnehmungsindex 2024« hervorgeht, den die Organisation am Dienstag veröffentlicht hat. Allerdings zweifelt TI selbst an dessen Aussagekraft.
Kein Staat der Welt ist »einwandfrei«, erreicht den perfekten Wert von 100. Den ersten Platz belegt wieder Dänemark mit 90 Punkten, den letzten Südsudan mit acht. »Sehr korrupt«, heißt das dann. Mehr als zwei Drittel aller 180 untersuchten Staaten bekamen weniger als 50 Punkte, gelten also als eher korrupt. Seit 2012 hätten sich laut Bericht 32 Staaten verbessert, 47 verschlechtert und 101 nicht verändert. Ebenso stünde der globale Durchschnitt bei rund 43 Punkten still. Und was bedeuten die Punkte? »Korruption ist eine zentrale Ursache von Entdemokratisierung, Instabilität und Menschenrechtsverletzungen«, erklärt TI-Vorsitzender François Valérian den Index.
Besonders verflochten seien Klimakrise und Korruption, da diese die Fehlallokation von Ressourcen begünstige – Stichwort EU-Taxonomie – und transformative Prozesse aushöhle – Stichwort Lieferkettengesetz. »Unlautere Einflussnahme« sei zwar weltweit zu beobachten, in reichen Staaten aber ungleich schädlicher als in armen. Umgekehrt hätten Staaten, die dringend auf Fördergelder angewiesen seien, zum Beispiel jene Subsahara-Afrikas, oft erhebliche Probleme mit Korruption. Dort hebe dann Schmiergeld die Durchsetzung bestehender Klimaschutzmaßnahmen auf. Zudem würde Umweltaktivismus in korrupteren Staaten härter sanktioniert. Inzwischen würden mit Umweltverbrechen weltweit bis zu 238 Milliarden US-Dollar pro Jahr verdient.

Der EU-Durchschnitt (64) ist im zweiten Jahr in Folge gefallen. Die BRD habe unter anderem wegen der Wasserstoffaffäre und der Verzögerung beim Bundestransparenzgesetz drei Punkte verloren, hieß es in einer zugehörigen Mitteilung. Das Lobbyregister könnte es richten. Neben der BRD, die von Platz neun auf Platz 15 abrutschte, hätten auch Frankreich und die »traditionell starken« nordischen Staaten Punkte eingebüßt. Die EU selbst sei »anfällig für Unternehmenslobbyismus«, ihrer Auftragsvergabe ermangele es notwendiger Rechenschaftspflichten. Wären früher lediglich Gesetzeslücken ausgenutzt worden, würden einige Mitgliedstaaten, etwa Italien und Ungarn, Maßnahmen gegen Korruption aktiv zurückfahren.
TI geriert sich als unabhängig. »Sichere und vielfältige Finanzierung« würden »Unabhängigkeit und Ruf« verbriefen, behauptet zumindest die Webseite. Nur kommen Einnahmen von 24 Millionen Euro, die TI dort für 2024 verbucht hat, nicht ohne weiteres zusammen. Der Liste der Unterstützer zufolge stammten 2021 rund 60 Prozent aller Finanzmittel von Regierungen, darunter überwiegend G7-Staaten und ihre Verbündeten. Von einer Nichtregierungsorganisation kann in finanzieller Hinsicht also keine Rede sein.
»Ärger an der Spitze«, titelt eine andere begleitende TI-Mitteilung, die als Selbstkritik gelesen werden kann. Bewertet würde demnach allein »die wahrgenommene Korruption im öffentlichen Sektor«, nicht die reale der Volkswirtschaften. Das erwecke den »irreführenden Eindruck«, dass reiche und daher mächtige Staaten aufgrund ihrer »starken Institutionen« besonders integer seien. Im Gegenteil würden deren Finanzsektoren weltweit besonders viele kriminelle Geldflüsse umsetzen. Davon, dass dieses Finanzkapital im Gespann mit starken Institutionen die Korruption in der imperialistischen Peripherie fördert und sich zunutze macht, erfährt man indes nichts. Mit dem Index allein ist also wenig gesagt. Bleibt der Schein, an dem so mancher Spender interessiert sein dürfte.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (13. Februar 2025 um 12:25 Uhr)Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Dankenswerterweise ist im Artikel das Ergebnis der fleißigen Arbeit von Transparency International bildlich dargestellt. Mit Asien, Afrika und Südamerika sind gleich ganze Erdteile korrupt. Damit die politische Ausrichtung dieser angeblichen Nichtregierungsorganisation nicht allzu sehr ins Auge springt, müssen die Macher natürlich auch in den imperialistischen Ländern und den Kernländern der NATO etwas Korruption finden. Auf dieses eigentlich durchsichtige Manöver fallen immer wieder sogar linke Journalisten herein. Lenin in »Staat und Revolution«: »In der demokratischen Republik, fährt Engels fort, ›übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sicherer aus‹, und zwar erstens durch seine ›direkte Beamtenkorruption‹ (Amerika) und zweitens durch die ›Allianz von Regierung und Börse‹ (Frankreich und Amerika)«. Würde diese Form der Korruption bei TI eine Rolle spielen, hätte ihre Weltkarte ein komplett anderes Aussehen. Nebenbei: Die Demokratische Volksrepublik Korea findet sich in der Rangliste konstant auf den hintersten Plätzen wieder, 2024 auf Platz 170 von 180. Das spricht für diesen Staat. Syrien (177) und Venezuela (178) haben ebenfalls einen Ehrenplatz.
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