Staatsmodell Gefängnis
Von Tom BeierEl Salvador, ein Land, in dem sich die Menschen endlich frei von der Gewalt der Jugendbanden bewegen können, ein Hort der Sicherheit und der Freiheit in Mittelamerika? Das »Komitee der Angehörigen von politisch Verfolgten und politischen Gefangenen in El Salvador« (COFAPPES, siehe Spalte) geht davon aus, dass zur Zeit 111 Inhaftierte im Rahmen des von der Regierung Bukele immer wieder verlängerten Ausnahmezustands aus politischen Motiven verhaftet wurden oder politisch Verfolgte sind. Davon sind 104 Linke, Mitglieder progressiver sozialer Bewegungen, Gewerkschafter oder Umweltaktivisten. Sieben sind Mitglieder einer rechten Partei. Bereits dieses Verhältnis offenbart, dass die politische Verfolgung in hohem Maße linke Kritiker des Regimes trifft.
Dies ist um so bedrohlicher für die Betroffenen, als laut Auskunft von COFAPPES die rechtlich-politische Situation im Land aktuell durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist: faktische Inexistenz eines Rechtsstaates auf der Grundlage der bestehenden Verfassung, fehlende Unabhängigkeit der Justiz, mangelndes Vertrauen in die Rechtsorgane, die auf Forderungen und Bedürfnisse der Inhaftierten meist nicht eingehen, die Verletzung fundamentaler Rechte aller Gefangen, insbesondere der politischen. In ihrer bisher sechsjährigen Amtszeit verfolgt die Regierung ununterbrochen ihre Kritiker, darunter Pressevertreter und Gewerkschafter. Eine Justiz, die in angemessener Zeit reagieren könnte, existiert nicht. Das autoritäre Präsidialregime verbreitet bewusst Angst und agiert repressiv.
Beim Blick auf das Profil der politischen Gefangenen fällt sofort ins Auge, dass der Großteil von ihnen Politiker sind, die der ehemaligen linken Regierungspartei FMLN angehören, die aus der gleichnamigen Befreiungsbewegung hervorgegangen ist. Dabei reicht die Bandbreite vom ehemaligen Minister Munguía Payés (Verteidigungsminister 2009–2019), Exparlamentsabgeordnete der FMLN wie Calixto Mejía oder Lorena Peña – die auch Parlamentspräsidentin war – bis zu Bürgermeistern, wie Francisco Hirezi (ehemaliger Bürgermeister von Zacatecoluca) oder Violeta Menjívar (ehemalige Bürgermeisterin der Hauptstadt San Salvador). Weitere politisch Verfolgte von der FMLN sind hohe Beamte wie Miguel Castañeda, ehemaliger Chef des Transportwesens in San Salvador, oder Manuel Castro, Expräsident der salvadorianischen Notenbank. Eine weitere Gruppe von immerhin elf Personen, die alle am 30. und 31. Mai 2024 verhaftet wurden, sind Kriegsveteranen (siehe Interview). Sie alle haben auf seiten der FMLN im Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 gegen die Ultrarechte und die Regierungen gekämpft, die von der Oligarchie gestützt wurden. Einige von ihnen sind Mitunterzeichner des UN-Friedensabkommens von 1992, mit dem der Krieg beendet wurde und das der FMLN die Möglichkeit eröffnete, sich als politische Partei zu konstituieren.
Man muss es klar benennen: Die gezielte Verfolgung politischer Gegner ist eine Säule der faschistoiden Regierung El Salvadors. Nach der Regierungsübernahme wurde die Zahl der Parlamentssitze reduziert, um der Regierungspartei IDEAS eine absolute Mehrheit zu garantieren. Die Auswechslung der obersten Richter machte die Gewaltenteilung vollends zur Makulatur. Nun folgt die Ausschaltung der politischen Gegner durch Kriminalisierung und Verfolgung.
Hierzulande hat Bundeskanzler Scholz Bukele zu seiner Wiederwahl gratuliert und konstatiert: »Deutschland und El Salvador werden auch künftig partnerschaftlich und erfolgreich zusammenarbeiten«. Partnerschaftlich? Zusammenarbeiten? Mit einem Staat, der Andersdenkende systematisch verfolgt?
Bukeles neuester cooler Coup ist so verbrecherisch wie die vorangegangenen: Er soll »in einem Akt außerordentlicher Freundschaft mit unserem Land« (US-Außenminister Marco Rubio) einem Migrationsabkommen zugestimmt haben, das vorsieht, »gewalttätige US-Kriminelle und Deportierte jeglicher Nationalität« in El Salvador zu inhaftieren. Gegen eine Gebühr, versteht sich. El Salvador ist finanziell klamm, die Auslandsverschuldung beträgt 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gerade erst musste Bukele seine hochtrabenden Bitcoin-Pläne mangels Unterstützung in der Bevölkerung aufgeben. Die Kryptowährung ist nicht mehr offizielles Zahlungsmittel. Gleichwohl gewinnt der monströse Staat immer mehr an Kontur. Sein Modell: das Gefängnis.
Hintergrund: COFAPPES
Das »Komitee der Angehörigen von politisch Verfolgten und politischen Gefangenen in El Salvador« (COFAPPES) wurde 2021 gegründet. Unmittelbarer Anlass war die Verhaftung von Exfunktionären der FMLN-Regierung durch Bukele. In der Öffentlichkeit sollte so der Eindruck entstehen, dass all »diese Linken« korrupt seien. COFAPPES ist offen organisiert. Mitglieder sind Familienangehörige, Freunde, Parteiangehörige, die gegen den juristischen Krieg der Bukele-Regierung Öffentlichkeit herstellen.
Dabei stehen sie nicht nur an der Seite der Verhafteten, sondern unterstützen auch die politisch Verfolgten, wie etwa die beiden Expräsidenten Funes und Sanchez Cerén, die rechtzeitig ins Ausland geflohen waren. Viele der politisch Verfolgten haben Asyl in Mexiko, einige in Nicaragua, andere in Europa, in Spanien etwa, aber auch in Deutschland.
An das Gefängnis Mariona und an das in Santa Ana, wo viele politische Gefangene einsitzen, sandte COFAPPES eine Botschaft. Dort ist die gesundheitliche Versorgung der Gefangenen schlecht, ein Besuchsrecht gibt es nicht. Weder die politischen Gefangenen noch die aufgrund des Ausnahmezustands Verhafteten haben ihre Angehörigen je gesehen. Also hat COFAPPES auch vom Parlament gefordert, dass die vom Gesetz garantierten Familienbesuche erlaubt werden. Eine weitere Forderung lautet, die telefonische Kommunikation mit den Inhaftierten nicht weiter zu unterbinden. Regelmäßig demonstrieren Mitglieder von COFAPPES vor dem Gefängnis Mariona. Der Schrei nach Freilassung soll durch die Straßen der Hauptstadt hallen, die Inhaftieren sollen hören, dass sie nicht allein sind. (tb)
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»Unbequeme Stimmen sollen verstummen«
vom 14.02.2025