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Aus: Ausgabe vom 15.02.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Weltpolitik

Auf Abstand

Konzentration auf den finalen Kampf gegen China: Die USA drehen Europa den Rücken zu. Dort will man die Reihen schließen
Von Jörg Kronauer
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In Ablehnung innig verbunden. J. D. Vance und Tross treffen in München auf die deutschen Delegierten, darunter Annalena Baerbock und Frank-Walter Steinmeier

Am Donnerstag abend wurde es Bundeskanzler Olaf Scholz zu viel. Tags zuvor hatte US-Präsident Donald Trump mit Wladimir Putin telefoniert, hatte Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs gestartet – und das, ohne die Länder Westeuropas auch nur im geringsten einzubinden. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hatte mitgeteilt, für die womöglich zur Debatte stehende Bereitstellung von Truppen zur Überwachung eines Waffenstillstands zwischen Russland und der Ukraine hätten die USA keine Kapazitäten, den lästigen Job müsse Europa übernehmen. Den lukrativen Zugriff auf die ukrainischen Rohstoffe aber, das hatte US-Finanzminister Scott Bessent sich in Kiew bestätigen lassen, würden die USA erhalten. Westeuropa erledigt die unangenehme Arbeit und zahlt, während die USA die Dinge im Alleingang regeln und obendrein die Beute kassieren? Scholz trat am Donnerstag abend vor die Presse, kündigte einen Schulterschluss der Staaten Europas an und verlangte zunächst einmal eine Beteiligung an den Friedensverhandlungen: »Nichts über Europa ohne die Europäer!«

Die Attacken, die die USA unter Trump gegen die Staaten Europas führen, häufen sich. Allein in dieser Woche, in den Tagen vor der Münchner »Sicherheitskonferenz«, ist so einiges zusammengekommen. Es begann mit den Zöllen in Höhe von 25 Prozent auf die Einfuhr von Stahl und Aluminium in die USA, die Trump am Montag verhängte. Das sei nicht schön, aber verkraftbar, hieß es aus Branchenkreisen, schließlich hielten sich die Stahl- und Aluminiumlieferungen aus Deutschland und der EU in die Vereinigten Staaten derzeit in Grenzen. Am Donnerstag legte der US-Präsident mit weiteren Zöllen nach. Greifen sollen sie überall dort, wo einzelne Länder höhere Zölle auf ihre Einfuhren aus den USA erheben als andersherum. Das ist auch bei der EU der Fall. Treten die neuen US-Zölle in Kraft – und das könnte laut Angaben des designierten US-Wirtschaftsministers Howard Lutnick bereits am 2. April der Fall sein –, dann träfen sie besonders Kfz-Exporte aus der EU in die USA. Das wiederum sind vor allem deutsche.

Und dann wäre da noch die Offensive, die die US-Techkonzerne gestartet haben, die bekanntlich seit dem 20. Januar in Washington mitregieren. Sie setzen im Kampf gegen die starke chinesische Konkurrenz radikal auf Deregulierung, vor allem in Sachen künstliche Intelligenz (KI), und verlangen dasselbe auch von der EU. US-Vizepräsident J. D. Vance hat zu Wochenbeginn auf dem Pariser KI-Gipfel klargestellt, Washington werde alle Versuche der EU, den US-Techriesen Zügel anzulegen, erbittert bekämpfen: Die betrachten die EU als einen Teil ihres globalen Markts, den sie kontrollieren und von dem sie profitieren wollen. Widerstand kommt bislang vor allem aus Frankreich, das in den kommenden Jahren private Investitionen in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro in seine KI-Infrastruktur mobilisieren will. Eine Alternative bietet gegenwärtig der US-Gigant Open AI an, bekannt für sein Produkt Chat-GPT: Er hat eine Filiale in München eröffnet und will deutsche Universitäten in seine Forschung einbinden. Die Bundesrepublik würde damit ein weiteres Stück in den Kontrollbereich der US-KI integriert werden.

Im Kampf um die Dominanz in der KI geht es um Milliardenprofite und um eine führende Stellung in der strategisch äußerst wichtigen Entwicklung modernster Technologie. Mit den Zöllen wiederum zielt Washington insbesondere darauf ab, Investitionen aus anderen Ländern und Regionen – auch aus Deutschland und der EU – in die Vereinigten Staaten zu locken. Es kommt noch die Forderung hinzu, die Militärhaushalte auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Höhe zu schrauben: Nach Lage der Dinge profitiert von rascher Aufrüstung in Europa in hohem Maße die US-Rüstungsindustrie. Nicht zu vergessen Trumps Ankündigung, Grönland annektieren zu wollen – ein bislang beispielloser Angriff auf die Souveränität und die territoriale Integrität eines EU- und NATO-Staats, der den USA ebenfalls den Zugriff auf neue Rohstoffe brächte.

Und da wären dann noch – last but not least – gravierende politische Attacken, für die in Deutschland vor allem Elon Musk steht: das Bestreben, in der EU systematisch die äußerste Rechte zu stärken. In Deutschland ist das die AfD, für die Musk wirbt, in Italien sind es die Fratelli d’Italia (FdI) von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die Musk ebenfalls unterstützt. Er steht damit beileibe nicht allein. Die Washingtoner Heritage Foundation, eine weit rechts stehende Organisation, die mit ihrem »Project 2025« eine Art Blaupause für Trumps Regierung entwickelt hat, hat mit den Patriots for Europe (PfE) enger zu kooperieren begonnen, deren Fraktion im Europaparlament etwa Viktor Orbáns Fidesz, Marine Le Pens Rassemblement National und die FPÖ angehören. Die PfE war die einzige Partei aus der EU, die explizit zu Trumps Amtseinführung eingeladen worden war.

Zielt Washington ökonomisch insbesondere darauf ab, Ressourcen der EU für sich zu nutzen, so fördert die US-Regierung politisch kooperationswillige Kräfte am rechten Rand in Europa, über die Trump im alten europäischen Establishment kaum verfügt. Wozu das Ganze dient, hat am Mittwoch, bezogen auf das Militär, Verteidigungsminister Pete Hegseth benannt. Die USA, erläuterte er auf dem Treffen der ­Ukraine Defense Contact Group in Brüssel, würden sich in nächster Zeit voll und ganz auf ihren Machtkampf gegen China konzentrieren. Daher könnten sie militärisch keinerlei Kräfte mehr in Europa verschwenden. Dies ist auch der Grund, weshalb Washington ökonomisch alles an sich zu reißen sucht, was es erhalten kann, egal ob von Freund oder Feind: Es stärkt sich ökonomisch für den finalen Kampf gegen Beijing.

Und die EU? Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen suchte schon im Januar zu beschwichtigen, bot Trump umfangreiche Flüssiggaskäufe an. Auch mehr Waffenkäufe sind im Gespräch. Scholz wiederum kündigte am Donnerstag abend an, er werde am Rande der Münchner »Sicherheitskonferenz« Gespräche führen, um in Europa die Reihen im Konflikt mit den USA zu schließen. Europäische Interessen dürften nicht mehr ignoriert werden. CDU-Chef Friedrich Merz wiederum kündigte am Donnerstag im Wall Street Journal an, sollte er Kanzler werden, dann werde Musk wegen der Wahlkampfhilfe für die AfD »Konsequenzen« zu tragen haben. Verbal beginnt die deutsche Bourgeoisie, Trump entgegenzutreten. Ob aus Worten Taten werden oder ob sich das US-Geschäft doch mehr lohnt als ein Streit – wer weiß.

Hintergrund: J. D. Vance

Wer J. D. Vance, einer der Hauptredner auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« am Freitag, schon kannte, bevor er US-Vizepräsident wurde, kannte ihn meist als Autor des autobiographischen Buchs »Hillbilly-Elegie«. Weniger bekannt war die Tatsache, dass Vance als Risikokapitalist im Silicon Valley Karriere und ein Vermögen gemacht hatte – und dass ihm dazu ein Netzwerk um den Techmilliardär Peter Thiel verholfen hatte. Thiel bahnte auch seiner politischen Karriere bei den Republikanern, seiner Wahl zum Senator von Ohio und seinem Aufstieg zum US-Vizepräsidenten den Weg. Thiel ist einer der am weitesten rechts stehenden IT-Kapitalisten in den USA und hat einst bekannt: »Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit und Demokratie vereinbar sind.« Wobei ihm kaum jemand unterstellen würde, zum Verzicht auf Freiheit bereit zu sein.

Und Vance? Er hat nicht nur Thiel immer wieder als eine der Personen genannt, die ihn am stärksten geprägt haben. Er hat sich des öfteren auch auf Schriften von Curtis Yarvin berufen, den er ebenfalls einen »Freund« nennt. Yarvis, ein Vertreter der explizit antidemokratischen Rechten in den USA, hat einmal dafür plädiert, die Regierungsgewalt in Washington einem »nationalen CEO« zu übertragen, dessen Kompetenzen nach denjenigen des CEOs – des Chefs – eines Startups modelliert sein sollten. Das sei, »was man einen Diktator nennt«, fügte Yarvis hinzu. Zurück zu Vance: Der Vizepräsident hat gerade erbitterte Diskussionen in den USA ausgelöst, weil er die Kompetenz der Justiz in Frage stellt, die Erlasse von Präsident Donald Trump auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Richter dürften schließlich auch keine Urteile über militärische Operationen von Generälen oder über die Erhebung von Anklagen durch Staatsanwälte fällen, behauptete Vance. Also müsse das exekutive Handeln des Präsidenten ebenfalls der gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Während Vance gestern in München seine Rede hielt, dauerte die Debatte darüber in den Vereinigten Staaten an. (jk)

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