»Billigflaggen stellen Gefährdung dar«
Von Burkhard Ilschner
Es klingt gespenstisch, wenn von »Schattenflotte« gesprochen wird. Was sagt der seemännische Experte: Ist es das wirklich? Oder eigentlich Schiffahrtsalltag?
Ja, in der Tat hört sich das ein Stück weit gespenstisch an. Unter Seeleuten und in Gewerkschaften bezeichnen wir solche Schiffe – egal, was sie für wen transportieren – als »Flag of Convenience«, also Bequemlichkeitsflagge, noch klarer trifft es ja die Bezeichnung Billigflagge. Da wird die Nationalflagge eines Schiffs gegen die eines anderen Landes eingetauscht: An den Eigentumsverhältnissen am Schiff ändert sich nichts, aber an Bord derart »ausgeflaggter« Schiffe gilt dann laut Flaggenrechtsgesetz nicht das Recht des Eigentümer-, sondern des Flaggenstaats. In der Folge werden vor allem Steuervorteile erzielt, dabei aber oft Arbeits- und Umweltschutz-, Tarif- und Sozialstandards unterlaufen. Manche Staaten, auch Deutschland, halten sich sogar mit einem »Zweitregister« eine eigene Billigflagge.
Wie definiert denn die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) eine »Billigflagge«?
Der Begriff meint Flaggenregister, die eben keine Nationalitätenanforderungen an die Reedereien stellen, die diese Flagge verwenden. 1974 hat die ITF folgende Definition beschlossen: »Wenn die nutznießende Eigentümerschaft und Kontrolle eines Schiffes außerhalb des Landes liegt, unter dessen Flagge das betreffende Schiff registriert ist, ist dieses Schiff als ein Billigflaggenschiff zu bezeichnen.« Die ITF hat vor allem zur Aufklärung über das kaputte Billigflaggensystem ihre gleichnamige Kampagne ins Leben gerufen. Die will insbesondere zeigen, dass diese Praxis weder den Seeleuten noch den Verbrauchern gerecht wird und eher eine Gefährdung darstellt. Immer wieder kontrollieren lokale ITF-Inspektoren in den Häfen Schiffe unter Billigflagge. Auch der Verband Deutscher Reeder (VDR) praktiziert und befürwortet das »Ausflaggen«. Von seinen derzeit knapp 1.700 Schiffen sind mehr als 1.400 »ausgeflaggt«. Schiffahrt, so der VDR, müsse im globalen Wettbewerb bestehen können. Das stimmt ja – aber es ist unlauter, dabei immer nur über die Personalkosten zu reden und die gigantische Reederförderung durch die Tonnagesteuer unerwähnt zu lassen: Bei der werden ja nicht wie in anderen Branchen die Gewinne versteuert, sondern nur eine pauschale Micky-Maus-Abgabe auf die Größe (Tonnage) des Schiffs erhoben. Dabei wird jedoch in Kauf genommen, dass die extensive Billigflaggennutzung sich negativ auf Ausbildung und Beschäftigung einheimischer Seeleute auswirkt und damit auch Nachwuchsprobleme verstärkt.
Gibt es irgendeine Chance, das Billigflaggenunwesen zu stoppen und dem Seerechtsartikel 91 zur weltweiten Geltung zu verhelfen?
Das kann nur die Politik leisten, aber die muss es wollen, was derzeit eher nicht erkennbar ist. Da muss der Druck in der Sache erhöht werden – einmal durch die Finanzbehörden, denen durch die Tonnagesteuer erhebliche Einnahmen entgehen, und dann vor allem durch Gewerkschaften, maritime Verbände und Ausbildungsinstitutionen sowie zivilgesellschaftliche Initiativen. Am wenigsten ist von den Seeleuten selbst zu erwarten, sie sind die Schwächsten in der Kette, aus ihrer in Coronazeiten lauthals verlangten Anerkennung als »Schlüsselpersonal« ist ja leider nichts geworden. Es geht um die Zukunft, dass deutsche Seeleute in den wichtigsten Zuliefertransportbereichen weiter mit dabei sind. Ein Job in der Seeschiffahrt ist sehr vielseitig und interessant – aber warum bilden deutsche Reedereien im Ausland Seeleute für deutsche Schiffe aus und werden dafür noch gefördert?
Peter Geitmann war Seemann, dann Seebetriebsrat und bis 2023 Bundesschiffahrtssekretär der Gewerkschaft Verdi
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