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Aus: Ausgabe vom 14.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Offene Flanken

Gemeinsam alt werden: Tocotronic und ihr neues Album »Golden Years«
Von Alexander Kasbohm
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Die besseren Sportfreunde Stiller: Tocotronic

In einer guten Rezension erfährt man vermutlich fast genausoviel über den Rezensenten wie über das Rezensierte. Schließlich muss man den, der schreibt, auch irgendwie einschätzen können. In einer schlechten Rezension erfährt man sehr viel über den Autor und wenig über das Werk. In diesem Sinne: Anfang 1995 erstand ich bei Michael Ruff im Hamburger Schanzenviertel eine Weißpressung der Maxi »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein«, mit »Drüben auf dem Hügel«, »Jungs, hier kommt der Masterplan«, »Ein Meister der Selbstbeherrschung erzählt« und dem kurzen Instrumentalstück »Die Mehrheit will das nicht hören, Arne« auf der B-Seite. Ich fühlte mich gesehen. Deutschsprachige Popmusik aus der Lebenswelt von Menschen um die 20 gab es zu der Zeit nicht in dieser Form. Tocotronic illustrierten diese Welt des verstört Erwachsenwerdens aufs Trefflichste. Auf Teppichen mit Brandlöchern nächtelang diskutieren, die Wunderwelt der Kultur (Sub-, Trivial- und Hoch-) entdecken, Politisierung etc. – alles in ungefähr der Sprache, die wir auch sprachen.

Unsere Entwicklungen gingen auseinander, wieder zusammen (mit der grandiosen Neuerfindung auf dem »Weißen Album«) und dann wieder auseinander (zu viel Rock), nach »Schall und Wahn« nahm ich ihre Veröffentlichungen kaum noch wahr. Keine »unüberbrückbaren Differenzen«, sondern eher unüberbrückbare Indifferenz war der Grund. Ich schätzte die Band nach wie vor als politisch zuverlässige Weggefährten, ästhetisch war ihre Geschichte für mich auserzählt.

Zudem: Waren Tocotronic zu Beginn noch einzigartig mit ihrem musikalischen Idiom in Deutschland, wimmelte es jetzt vor schlechten bis grauenhaften Tocotronic-Epigonen wie Sportfreunde Stiller, Tomte, Madsen und wie sie alle heißen. Das allein war schon genug, einem die Freude zu verleiden. Man muss der Band zugute halten, dass sie sich nie ausruhte, immer wieder versuchte, Dinge anders anzugehen. Was dabei rauskam, war dann aber so anders doch nicht. Same same, but different.

Der Titel des neuen Albums »Golden Years« ist nun auf erster Ebene eine Anspielung auf David Bowies gleichnamigen Titel von seinem 1976er Werk »Station to Station«, aber auch und nicht zuletzt auf den sogenannten »Herbst des Lebens«, mit dem sich die Bandmitglieder ebenso anfreunden müssen wie mit ihnen gealterte Rezensenten. Der Tod und »die Zeit, die bleibt« nehmen größeren Raum in den Texten ein. Was Tocotronic stets sympathisch gemacht hat, war das Umarmen der Unsicherheit und des Zweifels als Quelle jeder Weiterentwicklung. Das zeichnet sie auch immer noch aus. Ebenso die offene Flanke, die sie Kritikern mit den Texten bieten, die zwischen dem Wolkigen und dem Einfachen schwanken.

Die Noise-Ballade »Der Tod ist nur ein Traum« ist gleich einer der Höhepunkte. Nebulöse deutsche Romantik und zielloses, aber notwendiges Gegrübel. Ich verstehe, wie man das hassen kann, teile diesen Hass aber nicht. Ich finde ein auf Abwesenheit von Klarheiten aufbauendes Selbst- und Weltbild in Zeiten forcierter »masculine energy« und einfacher Lösungen ausgesprochen wohltuend. In »Diese Menschen sind gefährlich« werden Tocotronic konkreter: Zu einer freundlichen Melodei und Handclaps (hier hätte ich mir weniger Rock, mehr Pop und funky Bläser gewünscht) singt von Lowtzow von den sich stets als Opfer gerierenden Mitgliedern der privilegierten Schichten. Von denen, die eben genau wissen, was sie tun, wenn sie zum Kampf gegen jeglichen zivilisatorischen Fortschritt aufrufen. Für diese Menschen gibt es keine Ausrede, keine mildernden Umstände, »diese Menschen sind gefährlich, denn sie wissen, was sie tun, (…) sie leben völlig selbstverständlich, Fiesheit als Identität, diese Menschen sind gefährlich, haben sich nie falsch bekannt, sie sind völlig unverfroren, in ihre kleine Welt gebannt«. Ob man deren so fragile wie toxische Maskulinität durch einen Kuss auf den Mund bezwingen kann, sei dahingestellt.

Die Waffe mag zweifelhaft sein, die Anklage richtig. Textlich das Herz nach wie vor am rechten Fleck, sind musikalisch die paar Tracks, die am wenigsten nach Tocotronic klingen (»Der Tod ist nur ein Traum«, »Niedrig«, »Der Seher«) die besten. Ein Produzentenwechsel (hier fehlen mir die Informationen, aber es klingt doch sehr nach dem achten Album mit Moses Schneider) könnte Wunder wirken. Keine schlechte Platte, aber ästhetisch ist Arne Zanks im letzten Jahr erschienene Geräuschkunst-EP »Dasu Isuto Aresu« deutlich spannender. Auch wenn die Mehrheit das vermutlich nach wie vor nicht hören will.

Tocotronic: »Golden Years« (Epic/Sony)

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