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Aus: Ausgabe vom 14.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Biber an die Macht

Wenn Plüschnager erschossen werden: Zwischen Zeichentrick und Film kehrt der Slapstick zurück
Von Maik Rudolph
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Schauprozess mit Biber-Jury: Schlechte Karten für den Pelzabzieher

Nicht ein, nicht zehn, nicht einmal genau einhundert, sondern Hunderte von Bibern … Der Autor ist sich bewusst, dass allerhand Rezensionen so unoriginell beginnen könnten, hofft aber, es gibt zahlreiche, denn der Film »Hundreds of Beavers« hat es verdient, besprochen zu werden. Er ist auch eine schöne Abwechslung zur wiederkehrenden Mäuseplage in den Redaktionsräumen der jungen Welt. Indessen trachten die Filmbiber nach der Weltherrschaft, anders als die netten Liberalzeichentricknager von »Mäuse an die Macht« (1992), die die Happy-Nine­ties-Demokratie unter dem Weißen Haus erleben, während Clintons »First Cat« Socks sie in Schach hält.

Jean Kayak (Ryland Brickson Cole Tews) ist Schnapsbrenner, Apfelbrand bzw. Applejack, bis er zum Opfer von »Hundreds of Beavers« wird. Sein Geschäft floriert in der Wildnis des US-amerikanischen Westens, irgendwo im Nirgendwo des 19. Jahrhunderts. Eine musikalische Lobeshymne auf seinen Erfolg eröffnet den Film, mündet in einer Slapstickeinlage, als diese verdammten Biber die Standbeine seiner übergroßen Fässer anknabbern. Eine Spirale der Eskalation. Kayak verliert sein Imperium und landet fröstelnd im Wald, muss um sein Überleben kämpfen. Dazu versucht er sich erst mal an der Hasenjagd, stellt rudimentäre Fallen und scheitert kläglich. Die Hasen tragen – wie auch die Biber – herausragend amüsant überzeichnete Plüschkostüme, günstig aus China importiert. Mit der Zeit wird sein Unwesen als Trapper immer professioneller. Er spürt den Bibern nach, erst aus Not, dann aus Liebe, denn er möchte das Herz der Tochter des einzigen Händlers weit und breit erobern. Um ihn von sich zu überzeugen, muss er Felle vorzeigen: Wir befinden uns in einem »Looney Tunes«-Cartoon, er ist Elmar Fudd, der liebenswürde, aber nicht weniger unangenehme und dauernd scheiternde Jäger, der Bugs Biber hinterherjagt.

Mit jeder neuen Beute kann er sich besseres Equipment, bessere Fallen, überhaupt ein Seil oder ein Messer leisten. »Differenz und Wiederholung« heißt es beim frühen Gilles Deleuze, der in diesem Jahr 100 geworden wäre. Immer wieder folgt Kayak derselben Route, die als Karte immer wieder eingeblendet wird, eine Handreichung zum Blocking. Er läuft alle Fallen ab, manchmal ist auch etwas drin: »Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.« (Samuel Beckett) Nicht nur Bugs, Duffy oder Roadrunner kommen in den Sinn, vieles fühlt sich wie in einem Videospiel an. Man denke an Edgar Wrights Verfilmung (2010) der Comic­reihe »Scott Pilgrim« (2004–2010), die sowohl im Film als auch in der Vorlage mit Gamingtopoi spielt: Scott Pilgrim als Trapper. Währenddessen lachen die Biber herzlich über sein Scheitern und tragen im Hintergrund mehr und mehr Holz zu ihrem Bau, der sich zu einer veritablen Festung auftürmt: Die Vulkanbasis von Ernst Stavro Blofeld im James-Bond-Film »You Only Live Twice« (1967) diente als Vorlage. Auch, wenn der Regisseur Mike Cheslik und Hauptdarsteller sowie Koautor Tews eher die Filme mit Roger Moore bevorzugen, wie sie im Podcast »The Movies That Made Me« von Regieveteranen Joe Dante und Drehbuchautor Josh Olson vom Mai 2024 betonen: Diese Filme seien eine wilde Aneinanderreihung von Szenen und Set Pieces. Mit etwas Glück gebe es dann auch eine halbherzig kohärente Handlung, die diese zusammenhält – alles, was Kino unterhaltsam mache und woran sich Indiefilmer heute nicht mehr trauten, da es zu wenig »Tiefgang« habe.

Seit einigen Dekaden ist die US-Kino­komödie tot. Spoof-Comedys à la Zucker-Brüder haben sich mit »Scary Movie« (2000) und den unsäglichen Rip-offs selbst abgeschafft. Wenn man heute noch schmunzeln kann, dann über schwarze Komödien und Satiren wie »The Menu« (2022). Natürlich gibt es auch Schrott mit The Rock oder Adam »Ich nehme die Kohle an, mache teuren Urlaub mit meinen Freunden und halte die Kamera drauf« Sandler. Mit den Bibern kehrt eine verdiente und trickreich gut gemachte Leichtherzigkeit zurück.

Wir befinden uns also auf Cartoonterritorium: Cheslik und Tews haben dem Zeichentrickwahnsinn von »Looney Tunes« und Co. zu einem Realfilmcartoon verholfen, ganz in der Tradition von Robert Zemeckis »Falsches Spiel mit Roger Rabbit« (1989) oder Stanley Kramers Klassiker »Eine total, total verrückte Welt« (1963) – an dessen Plakat sich auch das des Biberepos bewusst anlehnt. Das Actionspektakel »Shoot ’Em Up« (2007) mit Bugs »Clive Owen« Bunny, der sich in John-Woo-Manier mit zwei Berettas in den Händen gegen Paul Giamatti zur Wehr setzt, der für die Rolle des Elmar Fudd geboren ist, verdient auch eine Erwähnung. Alle stellen die mittelmäßigen Versuche der Warner Bros., den Realfilm zum Cartoon zu machen, ja, auch »Space Jam« (1996), in den Schatten, da diese nur Cartoons in die reale Welt holen, aber nicht versuchen, die Grenze zwischen Zeichentrick und Realfilm trickreich zu überwinden, sogar ohne jegliche Animation.

Die Wisconsiner Cheslik und Tews wandern entlang dieser Grenze mit einem Budget von nur 150.000 US-Dollar (der zweite »Space Jam« hat 150 Millionen verschlungen); ihr Erstling »Lake Michigan Monster« (2018) – Gilligans Inseleinsiedler meets existentiellen Leuchtturm-Horror – kam mit knapp 7.000 US-Dollar aus. Cheslik legte zwei Jahre lang selbst Hand an die Maus bzw. Adobe After Effects, um aus dem schmalen Budget herauszuholen, was geht. Darum ist der Film auch in Schwarzweiß und findet im Wald statt, denn der ist ja schon da. Und doch verirrt sich hier und da mal ein Stock Image einer Holznahaufnahme in den Film. Nach einigen Vorführungen auf kleinen und Genrefestivals landeten die Biber vergangenes Jahr im On-demand-­Streaming und nun auch in Deutschland auf der großen Leinwand. That’s all, folks!

»Hundreds of Beavers«, Regie: Mike Cheslik, USA 2022, 108 Min., bereits angelaufen

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