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Aus: Ausgabe vom 18.02.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Abschiebungen

»Besonderes Ausweisungsinteresse«

Der deutsche Staat schiebt gezielt Geflüchtete aus Gaza ab
Von Mariam Salameh-Puvogel
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Abgeschoben und in griechische Lager gesteckt. So erging es mehreren Menschen, die aus Gaza nach Deutschland geflüchtet waren (Flüchtlingslager auf Lesbos)

Als Suhail Z. (Name von der Redaktion geändert, jW) vom Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) die sogenannte Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt bekam, erhielt er keinerlei Hinweis darauf, was dieses Dokument bedeutet: dass nämlich seine Abschiebung am 7. Februar 2025 von Berlin über Frankfurt am Main nach Athen stattfinden werde. Der 20jährige Mann aus Gaza hatte in Berlin bei seiner Ankunft einen Asylantrag gestellt, noch vor Beginn des jüngsten Gazakrieges. Bereits da war die Situation in der palästinensischen Küstenenklave nach über 20 Jahren Abriegelung durch das israelische Militär desaströs. In Berlin hatte der junge Mann sein Studium fortsetzen und später arbeiten wollen, um seine Familie zu unterstützen.

Dass sein Aufenthalt in Griechenland, wo er auf dem Weg nach Berlin strandete, seinen Traum einer Existenz in Deutschland verunmöglichen würde, war Suhail nicht klar. Denn das EU-weite Asylregime, das nach der »Dublin-III-Verordnung« besagt, dass Geflüchtete, die in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag stellten, an diesen Ort »zurückdeportiert« werden können, ist für die meisten Geflüchteten ein Bürokratiemonster voller unverständlicher Gesetze und Verordnungen.

Aber Suhail hatte keine Wahl. In Griechenland angekommen, wurde der junge Mann zusammen mit anderen Geflüchteten aus Gaza von der Polizei aufgegriffen und in einem geschlossenen Lager auf einer Insel des Ägäischen Meeres interniert. Menschenrechtsorganisationen haben die Zustände in den griechischen »Erstaufnahmelagern« in den vergangenen Jahren regelmäßig scharf kritisiert. In den Lagern müssen die Geflüchteten einen Antrag stellen, meist wird ihnen dabei nicht erklärt, dass dies ihre Anerkennung in anderen EU-Staaten verunmöglicht.

»Unzulässigkeitsbescheide«

Während das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asylverfahren von Geflüchteten aus Gaza seit dem 7. Oktober 2024 mit Begründung der »unklaren Lage vor Ort« eingefroren hat – ein Vorgehen, dass zwischenzeitlich von Verwaltungsgerichten vielfach als unzulässig erklärt worden ist –, erhalten Geflüchtete in Griechenland in der Regel nach zwei bis drei Monaten eine Anerkennung, da ihre Schutzbedürftigkeit in Anbetracht der Situation in Gaza als eindeutig eingestuft wird. Nach der Anerkennung des Schutzstatus müssen sie jedoch innerhalb eines Monats die Lager verlassen. Viele landen in der Obdachlosigkeit, da sie keinerlei staatliche Unterstützung oder Hilfe bei der Suche nach einer Arbeit erhalten.

Für Deutschland ist die »Dublin-III-Verordnung« eine bequeme Art, sich »unerwünschter Geflüchteter« zu entledigen, denn eine direkte Flucht in einen EU-Binnenstaat ist quasi unmöglich. Abschiebungen nach Griechenland haben in diesem Rahmen bis 2024 allerdings nur noch sehr selten stattgefunden. Schließlich bestätigten deutsche Gerichte, dass die Zustände im griechischen Asyl- und Aufnahmesystem so desaströs seien, dass Betroffene im Fall einer Abschiebung von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bedroht seien. Diese Auffassung wurde auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Oktober 2024 bestätigt, als die Strasbourger Richter die Abschiebung eines Syrers nach Griechenland scharf verurteilten.

Dessen ungeachtet erklärte das BAMF, Abschiebungen nach Griechenland von Gruppen, bei denen »ein besonderes Ausweisungsinteresse« bestehe, wieder aufnehmen zu wollen. Seit Anfang 2024 verschickt die Bundesoberbehörde wieder sogenannte Unzulässigkeitsbescheide an Geflüchtete, die hier Asyl beantragen, deren Asylantrag jedoch in Griechenland bereits anerkannt wurde. In diesem Fall bleibt den Betroffenen nur eine Woche Zeit, Klage gegen die Abweisung ihres Asylantrages einzureichen.

Was selbst für Deutsche ein kaum zu verstehendes Labyrinth aus Gesetzen und Verordnungen ist, ist für Geflüchtete wie Suhail ein System, hinter dem sich ein »feindlicher Apparat« verschanzt, dessen zentrales Ziel es zu sein scheint, sich jener Menschen wieder zu entledigen, für die er keine »Verwertungsmöglichkeit« zu sehen scheint.

So lebte Suhail die letzten Monate vor seiner Abschiebung am 7. Februar in einer Unterkunft ohne Zugang zu rechtlicher Vertretung und somit ohne Kenntnis über die Tücken eines immer weiter ausgehöhlten Asylsystems. Doch während die Rhetorik der »›harten Linie‹ gegen abgelehnte ›Asylbewerber‹« und das Versprechen, sie abzuschieben, längst nicht mehr nur zum Repertoire der extrem rechten Parteien in Deutschland zählt, ist die aktuelle Kampagne gegen Geflüchtete aus Gaza Ausdruck eines spezifischen Rassismus. Denn während der Internationale Strafgerichtshof (ICC) die Plausibilität der Behauptungen in Südafrikas »Genozid-Klage« in Verbindung mit dem jüngsten Gazakrieg anerkannte, verfestigte sich in Deutschland ein politisches Klima, in dem Proteste propalästinensischer Bewegungen – darunter insbesondere Geflüchteter aus Gaza selbst – regelmäßig zum Ziel von Hetzkampagnen wurden.

Die Dämonisierung Geflüchteter aus Gaza, die nun ihren Ausdruck in der laufenden »Abschiebekampagne« findet, geht dabei völlig an den Erfahrungen und Perspektiven der Betroffenen vorbei. So mussten junge Geflüchtete aus Gaza 16 Monaten lang mitverfolgen, wie ihre Familien und Freunde durch Bomben getötet oder von Scharfschützen in Krankenhäusern erschossen, Dörfer und Städte in eine dystopische Mondlandschaft verwandelt und Menschen gefesselt und mit Augenbinden in Folterlager abtransportiert wurden.

Doch während international die Kritik an der israelischen Regierung immer schärfer ausfiel, wurde die Repression gegen die protestierenden Palästinenser hierzulande immer stärker. Auf zahlreichen Demonstrationen kassierten junge Geflüchtete aus Gaza im vergangenen Jahr Anzeigen, unter anderem für das Rufen von als verboten eingestuften Parolen, für »Verstöße gegen das Versammlungsrecht« oder andere, gleichwohl völlig gewaltfreie Formen des zivilen Ungehorsams. Dementsprechend gelten nun viele der jungen Geflüchteten aus Gaza als vorbestraft, mithin als »Straftäter«. Dabei verbirgt sich hinter vielen Verurteilungen doch einzig die Entschiedenheit der jungen Erwachsenen, dem politischen Klima zum Trotz gegen das Töten auf die Straße zu gehen.

Als »Straftäter« wurden auch zwei junge Geflüchtete aus Gaza stigmatisiert, die am 11. Februar bei einer Razzia in einem Café auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln zusammen mit anderen Gästen festgenommen wurden. Einer der beiden wurde sofort in die JVA Moabit überstellt, um von dort aus nach Griechenland abgeschoben zu werden, der zweite junge Palästinenser in die JVA Tegel. Er ist ebenfalls von einer Abschiebung nach Griechenland bedroht. Der 19jährige hatte erst kurz zuvor eine Wohnung in Berlin gefunden.

Sami L. (Name anonymisiert, jW) von der Kampagne »Asylum for Gazans Now!« ordnet die Razzia in den laufenden Bundestagswahlkampf ein: »Diese Hetzkampagne gegen die palästinensischen jungen Erwachsenen kommt nicht aus dem Nichts. Viele waren dem BAMF und der Berliner Polizei aufgrund ihrer Beteiligung an Demonstrationen für Gaza seit Monaten ein Dorn im Auge. Dass diese Razzien in Cafés auf der Sonnenallee stattfinden, ist kein Zufall. Dort sollen die wenigen Räume, die Geflüchteten aus der arabischen Community in Berlin bleiben, zu Orten der Angst vor ständigem Übergriff gemacht werden.«

In ständiger Angst

Ahmad M. (Name anonymisiert, jW), ein 20jähriger Jurastudent aus Gaza, lebt nun wie viele in ständiger Angst. Eigentlich hatte er geplant, in Deutschland sein Studium wieder aufzunehmen. Aber seit dem Beginn des Krieges hatte er nur noch vor Augen, endlich Geld nach Hause zu schicken. Doch weder erlaubt Ahmad die ihm ausgestellte »Grenzübertrittsbescheinigung«, zu arbeiten, noch gestattet sie ihm, zu studieren.

Formal ist diese Bescheinigung ein Dokument, dass Ausländerbehörden zur Überprüfung dienen soll, ob »ausreisepflichtige Personen« das Bundesgebiet tatsächlich verlassen haben. Geflüchtete sollen die Bescheinigung bei ihrer Ausreise bei der Bundespolizei abgeben, die daraufhin die Ausreise bestätigt und das Dokument an die zuständige Ausländerbehörde zurücksendet. Inzwischen wird die »Grenzübertrittsbescheinigung« von Ausländerbehörden jedoch einfach anstelle einer Duldungsbescheinigung ausgestellt. Dies passiert Geflüchteten aus Gaza, die nach Ansicht des deutschen ­Staates lediglich über eine Aufenthaltsberechtigung in Griechenland verfügen, inzwischen immer häufiger.

Um dies rechtlich abzusichern, wurde inzwischen das »Helios«-Projekt (»Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection and Temporary Protection«) reaktiviert, das mittels EU-Finanzmitteln für anerkannte Asylsuchende in Griechenland Arbeit und Integration verspricht. Einzelne Projektprogramme wurde in den vergangenen Jahren aufgrund »fehlender Finanzierungsmöglichkeiten« ausgesetzt, zuletzt 2024. Kürzlich, am 6. Februar, startete »Helios plus«. Die in Aussicht gestellte »Integration« ist ohnehin zweifelhaft. In der Vergangenheit zeigte sich, dass viele anerkannte Geflüchtete die Voraussetzungen nicht erfüllten, weil sie zum Beispiel nicht bereits in einer eigenen Wohnung lebten oder ihre Anerkennung bereits über ein Jahr zurücklag. »Rückkehrer«, die aus anderen EU-Staaten nach Griechenland zwangsweise zurückgebracht wurden, hatten überhaupt keinen Zugang. Griechische Menschenrechtsorganisationen kritisierten daher, dass das Projekt lediglich den Anschein einer Integrationschance vermittele, Geflüchtete jedoch de facto weiterhin obdachlos oder in Lagern interniert blieben, in denen unmenschlichen Zuständen herrschen.

Anwälte berichten im Gespräch mit der jungen Welt, dass jungen Geflüchteten aus Gaza in Berlin vermehrt Informationen über »Helios« ausgehändigt würden, selbst wenn deren Asylanträge noch liefen. Die Aushändigung von »Informationsangeboten« an Geflüchtete hat zwar keinen rechtlich bindenden Charakter, sie kommt jedoch einer Vorankündigung der hiesigen Behörden gleich, die Empfänger solcher Unterlagen abschieben zu wollen.

Das Schreiben, das das BAMF nicht ausschließlich an Geflüchtete aus Gaza, sondern bundesweit unter anderem auch an Geflüchtete aus Afghanistan sendet, wird in einem gelben Umschlag verschickt, mit dem üblicherweise auch Asylbescheide verschickt werden, was den quasi-formalen Charakter unterstreicht. Im Schreiben selbst wird den Geflüchteten mitgeteilt, dass ihr Asylantrag »aller Voraussicht nach abgelehnt oder als unzulässig betrachtet« werde, und daher eine Ausreise »freiwillig nach Griechenland« nahegelegt werde. Hierfür sei innerhalb von sieben Tage ein Onlinefragebogen auszufüllen.

Ob Abschiebungen nach Griechenland rechtlich wieder als zulässig eingestuft werden, soll nun im ­April durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entschieden werden. Bis dahin könnte es für viele Geflüchtete zu spät sein, wie das Schicksal von jungen Menschen wie Suhail zeigt, der in Athen in die Obdach- und Schutzlosigkeit entlassen wurde.

Menschenrechtsaktivisten wie Sami sind der Auffassung, dass hier staatliches Unrecht umgesetzt wird. »Dass Geflüchtete aus Gaza angesichts des unermesslichen menschlichen Leids, das dort angerichtet wurde – und das auch hier im Exil lebenden Menschen extreme seelische Verletzungen zufügte –, nicht als besonders schutzbedürftig gelten, ist der eigentliche Skandal«, so Sami.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (18. Februar 2025 um 11:34 Uhr)
    Wie gern bohrt doch unser Land anderen mit dem Begriff der Menschenrechte den Zeigefinger in die Nase, wenn es ihm politisch in den Kram passt! Es ist beschämend, was es selbst von diesen Menschenrechten hält, wenn bei uns Menschen ankommen, die wirklich Hilfe brauchen. Hilfsbedürftige werden zu Unpersonen gemacht, ihre Herkunft zu einer Gefahr für unser Land hochstilisiert. Wie weit ist es noch, bis aus Menschen wieder Untermenschen gemacht werden? Und von dort aus bis zur umfassenden Barbarei?

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

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