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Aus: Ausgabe vom 18.02.2025, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Sprengstoff um den Hals

Recherche: 80jähriger Palästinenser in Gaza stundenlang als menschlicher Schutzschild missbraucht und nach acht Stunden erschossen
Von Jakob Reimann
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Das, was vom Zeitoun-Viertel in Gaza-Stadt noch übriggeblieben ist

Ein ranghoher israelischer Offizier soll einem 80jährigen Palästinenser einen Sprengstoffzünder um den Hals gebunden und ihn unter der Drohung, ihm den Kopf wegzusprengen, über acht Stunden lang gezwungen haben, für seine Brigade verlassene Häuser in Gaza-Stadt auf Sprengfallen und Kämpfer zu durchsuchen. Dieser besonders erschütternde Fall des Einsatzes eines palästinensischen Zivilisten als menschlicher Schutzschild soll sich im Mai 2024 zugetragen haben und wurde am Sonnabend unter Berufung auf mehrere beteiligte Soldaten von der israelischen Investigativplattform Hamakom aufgedeckt.

Soldaten der Nahal-Brigade durchkämmten demnach die Häuser einer verlassenen Gegend in der Zeitoun-Nachbarschaft der Hauptstadt. Sie stießen dabei auf ein älteres Ehepaar, beide in ihren 80ern. Da der Mann auf einem Krückstock lief, waren die beiden nicht in der Lage, der Evakuierungsaufforderung der israelischen Streitkräfte (IDF) nachzukommen. »An diesem Punkt«, zitiert Hamakom einen der Whistleblower, »beschloss das Kommando, sie als ›Moskitos‹ einzusetzen«, was der interne IDF-Begriff für diese Art menschlicher Schutzschilde ist. Ein Offizier habe dem Mann einen Sprengstoffzünder um den Hals gelegt, an dem er zuvor eine Zündschnur befestigt hatte – »damit er nicht weglaufen konnte«, so der Soldat. Dem Mann wurde gesagt, »wenn er etwas Falsches täte oder Befehle nicht befolgte, würde der Soldat hinter ihm an der Schnur ziehen und sein Kopf würde ihm vom Körper gerissen«.

Während mehrere Soldaten die Frau in ihrem Haus festhielten, wurde der Mann genötigt, über Stunden hinweg mit seinem Krückstock vor der Brigade herzulaufen und jedes zu inspizierende Haus als erster zu betreten. Falls sich dort Sprengstoff oder ein Kämpfer befänden, »würde er anstelle von uns« getroffen, so ein Soldat. Der Mann überlebte diese Tortur und wurde zurück zu seiner Frau geschickt. Beiden wurde befohlen, sich in die »humanitäre Zone« Al-Mawasi weiter südlich zu begeben, die unter Kontrolle eines anderen Bataillons stand. Die Nachricht über das ankommende Paar wurde jedoch nicht übermittelt, sagte ein Soldat, und »nach 100 Metern sah das andere Bataillon sie und schoss sofort auf sie«. Beide starben vor Ort.

»Die Moskitoprozedur ist vollständig institutionalisiert«, so einer der Whistleblower, während die IDF versichert, der Einsatz von Zivilisten als menschliche Schutzschilde sei streng verboten. Die Praxis verstößt sowohl gegen israelisches als auch gegen internationales Recht. 2005 verbot das Oberste Gericht in Israel die Praxis. »Das ist grausam und barbarisch«, hieß es laut Reuters damals im Urteil. Im Oktober 2024 deckte die New York Times unter Berufung auf 16 israelische Soldaten und Offizielle den weitverbreiteten Einsatz von entführten Palästinensern für militärische Zwecke in Gaza auf. Im vergangenen Juni sorgte wiederum ein verstörendes Video aus dem Westjordanland weltweit für Empörung. Zum Schutz vor feindlichem Beschuss hatten IDF-Soldaten bei einem Einsatz in Dschenin einen verletzten Palästinenser auf der Motorhaube eines Militärfahrzeugs festgeschnallt. Im Februar 2024 wurde in Khan Junis in Nordgaza der junge Mann Jamal Abu Al-Ola von israelischen Soldaten zunächst verprügelt und misshandelt, berichtete die US-Website The Intercept. Daraufhin zwangen IDF-Truppen ihn, mit gefesselten Händen ins belagerte Nasser Hospital zu gehen und den rund 10.000 Schutzsuchenden dort eine Botschaft zu übermitteln: »Ihr müsst raus aus dem Krankenhaus, sie werden es in die Luft jagen.« Als der sichtlich aufgelöste Al-Ola dem Folge leistete und das Gelände verlassen wollte, wurde er mit drei Schüssen in Brust und Bauch von Scharfschützen hingerichtet.

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