Missverstandene des Tages: Kartoffel
Von Felix Bartels![8_portrait.jpg](/img/450/205584.jpg)
Nach 45 wurden Almans »Krauts« genannt. Dann gewöhnten sie sich das Sauerkraut ab. Später nannte man die Krauts »Kartoffeln«, und auch deren Verzehr ging seitdem beständig zurück. Verständlicherweise, niemand mag als Kannibale gelten. In den Fünfzigern noch verzehrte ein Deutscher 180 Kilogramm im Jahr, 2024 lag der Verbrauch »erstmals wieder über 60 Kilogramm«, gab die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung bekannt. Es sei ihr gegönnt, der Kartoffel. Sie unterscheidet sich zwar von der Rinderbrühe darin, dass sie nur Stärke und keine Kraft besitzt, doch immerhin hat sie Mark Watney das Leben gerettet.
Dass die Kartoffel als germanisch gilt, mag verwundern. Tatsächlich ist sie so deutsch wie die Copa América. Aus den Andenregionen stammend, fand sie ihren Weg nach Europa nicht durchs Erdreich, sondern auf dem Wasser. In Preußen hat sie sich nicht, sie wurde durchgesetzt. 1746 sorgte Friedrich II. mit seinem Kartoffelerlass dafür. Ziel war die Schaffung einer gut reproduzierbaren Ernährungsgrundlage, um weitere Hungersnöte zu verhindern. Ausgerechnet das rief den Widerstand des deutschen Gedöns auf. Manche Bauern verzehrten wider Belehrung die giftigen Früchte anstelle der essbaren Knollen und krepierten daran. Der deutschesten Strömung Deutschlands, der Romantik, war die Kartoffel kosmopolitisches Teufelszeug, ein Produkt der Neuzeit, also französisch. »Ehe wir mit der Aufklärung vorschreiten«, sagt des Prinzen sinistrer Diener in Hoffmanns »Klein Zaches«, »d. h. ehe wir die Wälder umhauen, den Strom schiffbar machen, Kartoffeln anbauen, die Dorfschulen verbessern (…) und die Kuhpocken einimpfen lassen, ist es nötig, alle Leute von gefährlichen Gesinnungen (…) aus dem Staate zu verbannen.« Der Kulturkampf am richtig bestückten Teller ist also nicht erst von Markus Söder erfunden worden.
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vom 18.02.2025