Der Knick in der Optik
Von Erik Rhea
Das europäische Weltraumteleskop Euclid, das seit Juli 2023 im Einsatz ist, liefert schon erste spektakuläre Entdeckungen. Während der Kalibrierungsphase der Instrumente nahm es ein Foto auf, das die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich zog, etwa bei der European Space Agency (ESA). Das beobachtete Objekt wurde nun noch einmal eingehend von Euclid ins Visier genommen, und die Vermutung des ESA-Forschers Bruno Altieri konnte bestätigt werden: Das Teleskop hatte einen perfekten Einsteinring gefunden, der jetzt den Namen »Altieries Linse« trägt. Ein Einsteinring ist ein Gravitationslinseneffekt, der das Licht eines weit entfernten Objektes verzerrt erscheinen lässt, so dass die Form eines Rings erscheint.
Der Gravitationslinseneffekt wurde von Albert Einstein vorhergesagt und das erste Mal im Mai 1919 beobachtet. Es war nicht zuletzt diese Beobachtung, die Einstein weltberühmt gemacht hat. Die Einsteinsche Theorie besagt, dass die Gravitationskraft, die schon von Newton beschrieben wurde, im eigentlichen Sinne keine Kraft ist, sondern vielmehr in einer Krümmung des Raums besteht, die uns als eine Beschleunigung in Richtung des Gravitationszentrums und also wie eine Kraft erscheint. Der Unterschied der Gravitationskraft zu klassischen Kräften im Sinne Newtons besteht vor allem darin, dass auch das eigentlich masselose Licht durch die Gravitation beeinflusst wird, oder präziser gesagt: Der Raum, den das Licht durchquert, wird verändert, wodurch das Licht einen mal längeren, mal kürzeren Weg von A nach B zurücklegt, je nachdem, welche Gravitationszentren sich auf seinem Weg befinden. Dabei greifen dann die altbekannten Gesetze der Optik. Das Licht wird unter Berücksichtigung der Raumkrümmung stets den kürzestmöglichen Weg von A nach B wählen. Ein sehr schweres Objekt, wie z. B. eine Galaxie, lenkte das Licht eines dahinterliegenden Objektes daher auf eine Weise ab, wie es auch eine Linse tun würde. Damit kann die Beobachtung mancher weit entfernter Objekte überhaupt erst ermöglicht werden. Entsprechend werden Gravitationslinsen heute als natürliche Hilfsmittel in der Astronomie verwendet. Im normalen Alltag ist die Gravitation von Körpern so schwach, dass wir keinen Effekt der Gravitation auf Lichtstrahlen beobachten können. Galaxien und manche schwarze Löcher sind jedoch extrem massereich, so dass uns Gravitationslinsen in der Astronomie häufiger begegnen.
»Altieris Linse« ist nicht das erste Objekt seiner Art, das entdeckt wurde, wohl aber eines der schönsten, denn der Ring ist vollständig in sich geschlossen und wird durch eine vergleichsweise nahegelegene Galaxie hervorgerufen. Einsteinringe wie dieser sind selten, da bei diesen Objekten die gebündelte Lichtquelle sich direkt hinter der Linsengalaxie befinden muss, um als perfekter Ring zu erscheinen. Bei Gravitationslinsen ist jedoch nicht nur das direkt beobachtete Licht interessant für die Forschung, sie erlauben auch Rückschlüsse auf das als Linse fungierende Objekt. »Altieries Linse« wird durch die schon länger bekannte Galaxie NGC 6505 hervorgerufen. Die Beobachtung eines Rings erlaubt es uns zu berechnen, wie schwer eine Galaxie sein muss, um diesen Ring zu erzeugen. Im Fall von »Altieris Linse« kam heraus, dass die Galaxie NGC 6505 zu etwa 11,1 Prozent aus Dunkler Materie besteht. Das bedeutet, dass der Einsteinring von einem Objekt erzeugt wird, das schwerer sein muss als die Materie der Galaxie, die wir sehen können. Dass Gravitationseffekte auf eine höhere Masse hindeuten, als bloß jene, die tatsächlich sichtbar ist, beobachten Astronomen bei nahezu allen Galaxien, Galaxienhaufen und allen noch größeren Strukturen, jedoch in mitunter sehr unterschiedlichem Ausmaß. Diese Beobachtung gilt als eines der wichtigsten ungelösten Rätsel der modernen Physik und wird unter dem Begriff Dunkle Materie zusammengefasst, da viele Erklärungsansätze darauf hinauslaufen, eine mit Teleskopen bislang nicht beobachtbare Materie zu postulieren, die es nach den Gesetzen der Physik aber geben muss. Es existiert jedoch nach wie vor keine allgemein anerkannte Vorstellung davon, welche Eigenschaften diese Art Materie hat oder wie sie entstanden sein könnte, statt dessen gibt es eine schier unübersichtliche Anzahl an Theorien und Überlegungen dazu.
Die neu entdeckte Gravitationslinse ist erst der Anfang: Die Mission von Euclid besteht darin, mindestens ein Drittel des gesamten Himmels nach Objekten zu durchsuchen, die beim Verständnis der Dunklen Materie sowie der Struktur und Ausdehnung des Universums helfen können. Insbesondere erhofft man die Entdeckung einer Vielzahl weiterer Gravitationslinsen. Dass kurz nach Beginn der Mission schon der erste Einsteinring entdeckt wurde, stimmt die Forscher in dieser Hinsicht sehr optimistisch.
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