»Das Behördenversagen ist nicht vollständig aufgeklärt«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Sie haben für diesen Mittwoch zu einer Demonstration in Gedenken an die Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau vor fünf Jahren mobilisiert. Was ist Ihre Intention?
Wir wollen erreichen, dass die neun Menschen, die vor fünf Jahren von einem Rechtsterroristen ermordet wurden, im Gedächtnis bleiben. Wir möchten an sie erinnern und uns mit den Hinterbliebenen solidarisieren, die nach wie vor um Aufklärung und Konsequenzen kämpfen. Gleichzeitig wollen wir darauf aufmerksam machen, dass rechter Terror real ist. Was in Hanau geschehen ist, kann wieder geschehen. Vergessen wir auch nicht den rechten Terroranschlag auf die Synagoge in Halle. Es gibt sowohl rechte Einzeltäter, die aus rassistischen Motiven heraus morden, als auch militante neonazistische Netzwerke, die hochgefährlich sind. Das müssen die Menschen wissen und sich politisch gegen Rassismus und Neonazis organisieren. Der braune Sumpf muss trockengelegt werden.
Auch wenn wir uns da keine großen Hoffnungen machen, fordern wir von den zuständigen Behörden, dass sie viel stärker tätig werden und rechte Anschläge eine viel größere Priorität bei Ermittlungen bekommen. Die Bevölkerung, vor allem migrantische Communitys, müssen viel mehr geschützt werden, als dies der Fall ist. Ohne politischen Druck wird das nicht passieren, das zeigt sich bei der schleppenden Aufarbeitung des Anschlags in Hanau.
Wie viel konnte bisher aufgeklärt werden?
Nach fünf Jahren und einem Untersuchungsausschuss, der bekanntlich von den Hinterbliebenen hart erkämpft werden musste, ist das Behördenversagen nicht vollständig aufgeklärt. Verfahren gegen vermeintlich verantwortliche Beamte wurden einfach eingestellt. Mehrere davon wurden laut der »Initiative 19. Februar Hanau« relativ kurze Zeit nach dem Anschlag und dem mangelhaften polizeilichen Handeln sogar befördert. Das ist schon ein starkes Stück. Wir begrüßen, dass Niculescu Păun, der Vater des Anschlagsopfers Vili Viorel Păun, eine erneute Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt hat.
Sie richtet sich gegen drei Beamte, gegen die vor dem Hintergrund des nicht erreichbaren Notrufs »wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung nach Paragraph 222 StGB« ermittelt werden soll. Sie hätten von der technischen Unterausstattung und personellen Unterbesetzung des Hanauer Notrufes entweder gewusst und nichts Effektives unternommen oder dies jedenfalls in ihrer leitenden Funktion hätten wissen müssen. Vili Viorel Păun hatte den Rechtsterroristen mit dem Wagen verfolgt und vergeblich den Notruf gewählt. Es ging niemand dran, und er fiel dem Attentäter zum Opfer. Sowohl Vili Viorel Păun als auch spätere Opfer könnten sehr wahrscheinlich noch leben, hätte der Notruf funktioniert.
Ihre Demonstration soll im nördlichen Stadtteil Marxloh stattfinden, der immer wieder in den Schlagzeilen ist. Haben Sie sich bewusst dafür entschieden?
Duisburg-Marxloh ist ein abgehängter Stadtteil mit hoher Armut und vielen migrantischen Communities, die wir erreichen wollen, damit Menschen sich uns anschließen und sich gemeinsam mit uns zur Wehr setzen. Wir werden auch den institutionellen Rassismus der Behörden thematisieren, von dem die Bevölkerung hier täglich betroffen ist. Neben der Ausländerbehörde, die Menschen abschiebt, ist es auch der SPD-Bürgermeister Sören Link, der immer wieder gegen Roma polemisiert. Es finden hier Zwangsräumungen statt, um die Menschen zu vertreiben.
Die Gedenkkundgebung ist eingebettet in Ihre Kampagne »Keine Stimme für Rassismus und Krieg«. Was unterscheidet diese von anderen Protesten gegen rechts?
Wir stellen einen Zusammenhang zwischen der laufenden Militarisierung, der deutschen Kriegspolitik und dem aktuellen Rechtsruck her. Wir freuen uns über große Demos gegen Friedrich Merz und die AfD, aber auch SPD, FDP und Grüne treten für Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel ein und beteiligen sich an der aktuellen Kampagne gegen Migranten. Das fällt bei den meisten Protesten unter den Tisch. Wir wollen Teil eines antikapitalistischen Gegenpols sein. Das ist langfristig das beste Mittel gegen rechten Terror und institutionellen Rassismus.
Gizem Koçkaya ist Sprecherin des Bündnisses »Duisburg stellt sich quer«
links & bündig gegen rechte Bünde
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