Grüne Dachterrassen
Von Hagen Bonn
Künstliche Intelligenz. Stellen Sie sich eines dieser modernen KI-Systeme vor und dann einen Künstler. Der heißt in diesem Fall Max Mundhenke und sagt zum Programm Chat-GPT: Hey, hier habe ich die Wahlprogramme der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien plus einer Kleinpartei. Aufgabe eins: Fasse mir jedes dieser Wahlprogramme zusammen. Und hey, in Aufgabe zwei generierst du mir »ein Bild unserer Zukunft«, wenn diese Wahlprogramme zu 100 Prozent umgesetzt werden würden. Kapiert?
Freilich, flüstert es aus dem Laptop, mach’ ich mit links! Das Ergebnis lässt sich unter Bundestagswahl.ai bestaunen. Vergangenen Freitag stellte Mundhenke sein Projekt in der Galerie Bernau bei Berlin vor und lud außerdem zum Gespräch. Zwei Ziele hat das Projekt: »Menschen zu motivieren, sich intensiver mit den konkreten Inhalten der Wahlprogramme auseinanderzusetzen« und »Menschen für KI zu begeistern und sie selbst dazu zu animieren, KI zu nutzen und kritisch zu hinterfragen«. Hinterfragen? Ja, nehmen wir an, ein Wahlprogramm möchte das Gendern in Behörden und Schulen verbieten. Wie könnte man das grafisch darstellen? Eben – geht nicht. Deswegen wurden die Bildwelten auf der Webseite entsprechend ergänzt. Zwei Buttons für jede Partei gibt es: Bei »KI-Erklärung« wird von der KI beschrieben, was das Bild zeigt. Der zweite Button fragt: »Was war schwer darzustellen?« Bei der SPD lesen wir etwa: »Modernisierung der Bundeswehr: Viele Vorschläge, wie die Attraktivitätssteigerung der Bundeswehr als Arbeitgeber, sind abstrakt und organisatorischer Natur.«
Interessant. Der Künstler hat nicht eingegriffen. Alles wurde von der KI erstellt. Hm? Das Wort »Frieden« taucht nicht auf, nirgends »Krieg«. Und da auf den kreierten Zukunftsbildern keine Ruinen und Bombentrichter zu sehen sind, gehe ich davon aus, dass wir KI-geprüft den Weltuntergang wieder einmal verschieben müssen äh … dürfen. Ist das so? Mundhenke bestätigt, dass die KI eher geneigt ist, eine positive Welt zu kreieren, die Bilder zeigen Wahrscheinlichkeiten, vielleicht nicht einmal das. Es ist die Kunst eines blinden Malers, eines tauben Komponisten, eines Kunstreiters ohne Pferd. Aber wir haben ein Bild vor uns. Ein Bild indes ohne Aussage, denn die kann nur vom Betrachter kommen. Abschiebeflugzeuge werden nicht gezeigt, auch keine Obdachlosen, wie eine Teilnehmerin anmerkte. Und wenn man genauer auf die Bilder schaut? Frei nach Goethe dichte ich: Und an Menschen fehlt’s im Revier, die KI nimmt grüne Dachterrassen dafür. Am Ende bleibt ein wenig Ratlosigkeit. Gemischt mit der Sorge, wohin das alles führen kann. Oder muss.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Die Frage der Architektur
vom 19.02.2025 -
Wahlkampfhilfe (5). In der Ordnung
vom 19.02.2025 -
Rotlicht: Grünbuch
vom 19.02.2025 -
Nachschlag: Auf der Pirsch
vom 19.02.2025 -
Vorschlag
vom 19.02.2025 -
Veranstaltungen
vom 19.02.2025 -
Knie kaputt, Frisur ist scheiße
vom 19.02.2025 -
Brasch, Matthias, Kotterba, Sonnenberg, Pfeiffer
vom 19.02.2025