»Auch CDU-Wähler wollen keinen Krieg in Deutschland«
Von Nico Popp
Kurz vor der Bundestagswahl kommt die Politik international in Bewegung. Deutschland und die EU sind damit konfrontiert, dass Washington mit Moskau einen Waffenstillstand in der Ukraine verhandelt. In Berlin und andernorts wirken viele Akteure einigermaßen überfahren. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Die europäische Politik hat sich mit ihrem unsäglichen Setzen auf Waffenlieferungen und eine endlose Verlängerung des Krieges vollkommen ins Aus manövriert. Ich gehörte ja zu denen, die von Beginn an dafür geworben haben, den Ukraine-Krieg auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Uns wurde immer entgegengehalten, dass Putin gar nicht verhandeln will. Jetzt macht Trump erstmals ein seriöses Verhandlungsangebot, und siehe da: Verhandlungen finden statt. Das wäre auch vor zwei oder drei Jahren möglich gewesen, der Krieg hätte in Istanbul im April 2022 beendet werden können. Trump, der sicher kein Friedensengel ist, will den Stellvertreterkrieg beenden, weil er ihm zu teuer geworden ist und er sich auf andere Konflikte konzentrieren will. Die kriegsbesoffenen europäischen Eliten stehen düpiert am Rand und werden der europäischen Bevölkerung erklären müssen, warum sie nun die Rechnung für das ganze Desaster bezahlen soll.
Gestritten werden dürfte bald auch darüber, wer die nun noch vehementer geforderte Aufrüstung bezahlt. Wie positioniert sich das BSW zu diesem Thema?
Wir brauchen kein neues Wettrüsten, sondern endlich wieder Gespräche über Rüstungskontrolle und Abrüstung. Es gibt ja erste Berichte, dass auf EU-Ebene ein 700 Milliarden schweres Aufrüstungspaket geschnürt werden soll, die Schuldenregeln sollen dafür gelockert werden. Dieser Wahnsinn führt uns irgendwann in einen großen Krieg. Die Aggressivität, mit der das BSW in den letzten Monaten bekämpft wurde – seit November gibt es eigentlich nur noch Negativberichterstattung über uns –, hat wohl vor allem damit zu tun, dass das politische Establishment weiß, dass wir die einzige Opposition mit Rückgrat in dieser Frage sind.
Aufrüstung und Militarisierung haben im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Warum eigentlich?
Das Thema wird ganz bewusst draußen gehalten. Wir haben immer wieder versucht, die Kriegsgefahr zu thematisieren, aber da gibt es eine richtige Medienblockade. Mehr oder weniger alle anderen Parteien sind bei der Aufrüstung an Bord und haben ein Interesse, darüber im Wahlkampf nicht reden zu müssen. Die Grünen sind inzwischen die schlimmsten Sofakrieger und Waffenlobbyisten, aber auch die CDU will unverändert »Taurus« an die Ukraine liefern, und Olaf Scholz hat uns für 2026 die US-Mittelstreckenraketen ins Land geholt. Und alle wissen, dass ein großer Teil der Wähler das nicht will. Auch CDU-Wähler wollen keinen Krieg in Deutschland erleben, und die wenigsten wünschen sich, dass für mehr Waffen bei Rente oder Bildung gekürzt wird.
Sie haben wiederholt versucht, auf der Straße gegen die Eskalationspolitik zu mobilisieren. Warum haben Sie ausgerechnet im Wahlkampf darauf verzichtet?
Im Wahlkampf ist es sehr schwer, eine Kundgebung zu organisieren, ohne dass diese sofort unter den Verdacht einer verdeckten BSW-Wahlkampfveranstaltung gestellt wird. Damit wäre ein breit getragener Aufruf kaum möglich. Wir haben unsere Wahlkundgebungen genutzt, um gegen den Kriegswahnsinn zu mobilisieren.
Eines Ihrer Themen in den vergangenen Jahren war die Verengung des »zulässigen« Korridors politischer Meinungen. Zu beobachten ist derzeit insbesondere eine weitere Verschärfung der Repression gegen die palästinasolidarische Bewegung. Wie steht das BSW dazu?
Es ist erschreckend, was da passiert. Dass Francesca Albanese als UN-Sonderberichterstatterin daran gehindert wurde, in der Bundesrepublik öffentlich ihre Meinung vorzutragen, ist ein Skandal und das Ergebnis jener Erweiterung des Antisemitismusbegriffs, unter den nach Ansicht deutscher Behörden jetzt so ziemlich jede Kritik an dem verbrecherischen Krieg Netanjahus gegen Gaza fällt. Es wird damit jede Kritik an Kriegsverbrechen geächtet, das ist einfach nur empörend! Aber unsere Gesellschaft ist in den letzten Jahren ohnehin immer autoritärer und repressiver geworden. Man denke nur an die vom Verfassungsschutz neu kreierte Rubrik der »Delegitimierung des Staates«. Damit kann faktisch jeder Regierungskritiker zum Beobachtungsobjekt werden. Aber zu Gaza: Deutschland ist ja sogar mitverantwortlich für die Kriegsverbrechen. Das BSW hat im Bundestag beantragt, keine Waffen mehr nach Israel zu liefern. Das wurde von allen anderen abgelehnt. Abgelehnt wurde kürzlich auch eine von uns beantragte Gedenkminute für die vielen zivilen Opfer des Gazakrieges.
Ihre ehemalige Partei setzt im Wahlkampf vor allem auf die Themen Mieten und Teuerung. Beim BSW wird derlei nicht mit diesem Nachdruck thematisiert, obwohl das für einen großen Teil der potentiellen Wählerschaft relevant sein dürfte. Warum ist das so?
Neben der Frage von Krieg und Frieden ist Gerechtigkeit unser großes Thema: der Zugang zu Ärzten und Bildung, die wachsende Altersarmut. Wir haben kürzlich ein Sofortprogramm für 100 Euro mehr im Monat für jeden vorgelegt, ebenso ein Konzept für eine Rentenreform nach dem Vorbild Österreichs. Aber wir werden von den Medien nahezu komplett blockiert. Es ist offensichtlich, dass den Herrschenden eine pflegeleichte Opposition ohne friedenspolitisches Profil im Bundestag lieber ist. Der Vorsitzende der Atlantikbrücke hat das öffentlich gesagt: lieber Die Linke als das BSW. Das dürfte auch die plötzliche Begeisterung der Mainstreammedien für Die Linke erklären.
Das dominierende Thema in diesem Wahlkampf war die Migrationspolitik. Mal ganz abgesehen vom Inhalt dieser Debatte: Ihre Partei hat sich durch die Zustimmung zum sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz in die Lage gebracht, in dieser Frage als Teil einer konservativen und rechten Parlamentsmehrheit zu agieren. Eine Nebenwirkung ist womöglich, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, von denen sich kürzlich laut einer Umfrage noch sehr viele vorstellen konnten, BSW zu wählen, nun zögern. Haben Sie hier einen schweren Fehler gemacht?
Nein. Ich erlebe, dass sich sehr viele Menschen, die selber eine Einwanderungsgeschichte haben, wünschen, dass der Kontrollverlust endet. Die sehr hohen Zahlen, die wir in den letzten Jahren hatten, sind schlicht nicht durchzuhalten, weil die nötige Infrastruktur fehlt und so auch Integration scheitert. Das führt dazu, dass die Stimmung im Land – zumal bei immer häufigeren Verbrechen wie in Magdeburg, Aschaffenburg und München – zunehmend kippt. Profiteur ist vor allem die AfD. Läuft das alles weiter wie bisher, wird die AfD 2029 stärkste Partei. Wer nicht will, dass in Deutschland rassistische Stimmungen Auftrieb haben, muss die unkontrollierte Migration stoppen. Außerdem gehen offene Grenzen für alle und ein starker Sozialstaat nicht zusammen. Aber natürlich war es ein Problem dieses Wahlkampfes, dass viel mehr über Migration geredet wurde als beispielsweise über Altersarmut oder über Krieg.
Sie haben eine Volksabstimmung zur Migrationspolitik vorgeschlagen. Wäre das nicht ein weiterer Schritt auf dem Weg, die Migrationspolitik zum Dreh- und Angelpunkt aller Fragen der Innenpolitik zu machen? Es gibt diese Tendenz ja sowohl auf der rechten wie auf der linken Seite des politischen Spektrums.
Die Migration wird ein dominantes Thema bleiben, solange wir die hohen Zahlen nicht reduzieren. Das ist seit 2015 der wichtigste Nährboden für die AfD. Die Volksabstimmung wäre ein Weg zur Überwindung der politischen Blockade. Dänemark hat die Migration reduziert, die ehemals starke Rechte ist heute eine Randerscheinung. Es ist kein Antifaschismus, unbegrenzte Zuwanderung zu verteidigen, sondern bewirkt das Gegenteil.
Aber spielen Forderungen wie die nach einer Volksabstimmung nicht denen in die Karten, die wie Union und AfD am liebsten nur noch über Migration reden wollen, weil damit ganz bequem einzelne Teile der Arbeiterklasse gegeneinander in Stellung gebracht werden?
Der AfD spielt vor allem in die Karten, dass die Probleme nicht gelöst werden. Es wäre klüger gewesen, wenn SPD und Grüne mit der Union ein Maßnahmenpaket verabschiedet hätten, denn dann hätte die AfD diese Vorlage im Wahlkampf nicht gehabt. Aber SPD und Grüne haben statt dessen gehofft, mit der Debatte noch mal wahlpolitisch zu mobilisieren. Das ist für sie nach hinten losgegangen, profitiert hat Die Linke, die die Position »Offene Grenzen und Bleiberecht für alle« als einzige Partei noch uneingeschränkt vertritt. Aber sie wird dafür eben auch nicht mehr von den Ärmeren gewählt, die die Folgen auszubaden haben, sondern von einem eher privilegierten großstädtischen Milieu. Die AfD steht lachend daneben, weil auch sie durch diese Debatte noch mal gestärkt wurde.
Das BSW hat schnell Erfolge gefeiert, ist in drei Landtage eingezogen und nun Teil von zwei Landesregierungen. Seither allerdings stagnieren oder bröckeln die Umfragewerte. War dieser rasche Übergang in die Exekutive auf der Länderebene ein Fehler?
Das war nicht unsere Wunschkonstellation, aber wir waren in einem Dilemma. Wir sind bei den Wahlen sehr stark geworden und hatten dann das Problem, dass ohne uns gar keine Regierungsmehrheit jenseits der AfD möglich war. Wenn wir uns grundsätzlich verweigert hätten, hätten wir unsere Wähler auch enttäuscht. Wir haben dann versucht, die Verhandlungen auf einige wichtige Themen zu fokussieren, zum Beispiel auf die Außenpolitik, wo die Länder über den Bundesrat durchaus Einfluss haben. Wir haben es geschafft, in einer Zeit, in der alle nur noch über Waffen redeten, in den Koalitionsverträgen ein Bekenntnis zur Diplomatie und eine Kritik an der US-Raketenstationierung zu verankern. In Sachsen sind wir ausgestiegen, weil es unter anderem in dieser Frage überhaupt kein Entgegenkommen bei CDU und SPD gab. Mit Blick auf die Bundestagswahl wäre es natürlich besser gewesen, wenn es in allen drei Ländern Mehrheiten ohne uns gegeben hätte, weil wir dann die Möglichkeit gehabt hätten, zunächst in der Opposition landespolitisch Profil zu gewinnen. Es ist offensichtlich, dass wir insbesondere durch die Koalition mit der CDU in Thüringen nicht wenige Wähler enttäuscht und wieder verloren haben.
Bedauern Sie, das BSW nicht längst für Beitrittswillige geöffnet zu haben? Es dürfte kaum möglich sein, mit einer so kleinen Partei einen Bundestagswahlkampf in der nötigen Breite zu führen. Und Ihre ehemalige Partei meldet im Wochentakt Mitgliederrekorde und strahlt wieder Dynamik aus.
Ich will, dass unsere soliden und ehrlichen Unterstützer, die ja auch unseren Wahlkampf tragen, Teil unserer Partei werden. Aber wenn wir über Nacht Tausende Menschen aufgenommen hätten, die wir nicht kennen und mit denen wir vorher nicht gesprochen haben, hätte sich unsere Partei wahrscheinlich schon im ersten Jahr so zerlegt wie die meisten jungen Parteien das tun. Es haben in Hamburg zwei Leute gereicht, um beinahe den ganzen Landesverband lahmzulegen und die bundesweite Presse mit Negativnachrichten über »Chaos« im BSW zu versorgen. Wenn wir so etwas in 16 Ländern gehabt hätten, würden wir jetzt nicht mit Aussicht auf Erfolg im Bundestagswahlkampf stehen.
Nehmen wir an, das BSW zieht in den nächsten Bundestag ein: Welche Rolle will die Partei dort spielen?
Wir werden sicher Opposition sein. Eine konsequente und laute Opposition gegen diese wahnwitzige Kriegspolitik, aber natürlich auch gegen soziale Kürzungen. Und ich bin mir sicher, dass es einen wesentlichen Unterschied in der Politik vor allem der SPD, aber auch der anderen Parteien machen wird, ob wir im Bundestag sind.
Sahra Wagenknecht ist Kovorsitzende und Spitzenkandidatin des BSW
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Leserbrief von Andreas Kubenka aus Berlin (21. Februar 2025 um 15:28 Uhr)Nico Popp hat die Mehrheitsbeschafferei des BSW für gleich beide führende etablierte Großparteien nach den letzten Landtagswahlen durchaus angesprochen. Damit hat er Wagenknecht die Chance gegeben, sich von dieser verhängnisvollen Politik, die für das Wählervertrauen in BSW ein einziges Desaster war, als Fehler zu distanzieren. Leider hat sie diese Chance nicht genutzt. Dennoch halte ich BSW unter der Parole »Kleinstes Übel« am Sonntag für wählbar. Die Betonung muss aber auf »Übel« liegen.
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Leserbrief von B.S. aus Ammerland (21. Februar 2025 um 13:05 Uhr)Der Kardinalfehler von Sarah Wagenknecht war . . . . . . den Vorschlag vom BLACKROCK-KANZLER Merz zu unterstützen. Wer sehenden Auges in die Falle mit CDU und AfD stolpert, muss sich nicht wundern, wenn potentielle Wähler abspringen. Bei einer Großpartei wie CDU oder SPD ließen sich die Stimmenverluste noch verkraften. Aber nicht bei den Kleinparteien, wie dem BSW. Das zusammen mit dem Medienhype um die »SALON-LINKEN«, Gysi, Rackete, Ramelow und Heidi Reichinnek und Jan von Aken, dazu die ständige Verleumdung durch die Medien als Putin-Partei und Aufrüstungsgegner, das wird kaum die erwarteten 5% Stimmen für einen Einzug in den Bundestag bringen. Wir können es nur erhoffen, bei soviel Rechter Kriegsdemagogie der »Angeblichen Mitte-Parteien« . . . Die wahren »Waffen-SS und Wehrmachts-Enkel« haben sich längst geoutet. Aber seit Konrad Adenauer als »Reichsverweser« unterwegs war, ist dies auch kein Geheimnis mehr. Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen.
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Leserbrief von R.Brand (21. Februar 2025 um 12:35 Uhr)Das BSW ist die einzige Partei im Reichstag die man noch wählen kann - die DKP tritt bekanntlich leider nicht an. Ansonsten vertritt keine andere Partei die kleinen Leute, sie fordern nur Aufrüstung, Krieg, Waffenlieferungen an Faschisten im Osten und Nahost - und das inkl der Pdl, der sogenannten Linken. Wer CDU CSU FDP Olivgrüne AFD PdL wählt soll doch am besten gleich zu seinen Gesinnungsgenossen bei Asow, Nachtigall, Kraken und am besten die Hälfte seiner Rente/Einkommens direkt in den Kriegsetat abführen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (21. Februar 2025 um 10:57 Uhr)Wagenknecht will den Teufel mit dem Beelzebub austreiben: »Profiteur ist vor allem die AfD. Läuft das alles weiter wie bisher, wird die AfD 2029 stärkste Partei. Wer nicht will, dass in Deutschland rassistische Stimmungen Auftrieb haben, muss die unkontrollierte Migration stoppen (…). Das ist seit 2015 der wichtigste Nährboden für die AfD«. Darin unterscheidet sich das BSW nicht im Geringsten von der CDU/CSU: Die AfD bekämpft man am Besten, wenn man deren rassistische Parolen und Inhalte übernimmt.
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