Trump legt nach
Von Reinhard Lauterbach
Man reibt sich als Beobachter die Augen. So geht es zu, wenn ein Mensch, dem der kollektive Westen jahrelang »Hosianna« zugerufen hat, jetzt politisch gekreuzigt werden soll. In der Bibel lag dazwischen eine Woche, bei Trump geht es schneller. Wolodimir Selenskij ist bei der Trump-Administration erkennbar in Ungnade gefallen, und der Chef persönlich lässt es ihn mit geringschätzigen Postings spüren.
Aber dass sich Donald Trump in seiner Philippika gelegentlich auch zu Wahrheiten über den Ukraine-Krieg hinreißen lässt, die zu Zeiten seines Vorgängers in den USA außerhalb von Teilen der Expertengemeinschaft tabu waren und für die man im verbaerbockten Deutschland bis heute gecancelt würde, heißt noch nicht, dass man dem US-Präsidenten die Ehrlichkeit seiner Motive unterstellen sollte. Er ist der oberste Funktionär der US-Staatsmacht und bleibt es, und so wenig die sprichwörtliche Katze das Mausen lässt, so wenig Trump den Imperialismus.
Als halbwegs wahrscheinlich kann man einzig vermuten, dass der US-Präsident mit seinen Ausfällen gegen Selenskij diesen weichkochen will für den völlig ungehinderten Zugriff der USA auf die ukrainischen Bodenschätze. Der Londoner Daily Telegraph hat am Mittwoch Einzelheiten aus dem Vertragsentwurf veröffentlicht, die er als »schlimmer als die Folgen des Versailler Vertrags für Deutschland« beschrieb: die Gründung eines gemeinsamen Investitionsfonds der USA und der Ukraine für die Vermarktung sämtlicher ukrainischer Rohstoffe wie auch der Hafen- und Flughafeninfrastruktur, die für ihren Export erforderlich ist. 50 Prozent aller Erträge vorab für die USA, und weitere 50 Prozent von dem, was diese oder eine künftige Regierung in Kiew eventuell durch den Verkauf ukrainischer Ressourcen an Dritte erlösen könnte. Die Gewährleistung des Löwenanteils an den Gewinnen aus dem Wiederaufbau für US-Unternehmen und noch viel mehr. Kurz ein neokolonialer Knebelvertrag, den selbst Wolodimir Selenskij und seine Mannschaft fürs erste abgelehnt haben. Sie sind ukrainische Nationalisten und haben sich vom Schwenk der Allianzen in westliche Richtung mit Sicherheit ursprünglich erwartet, dass die Ukraine im Ergebnis dieses Schwenks besser dasteht und nicht – abgesehen von allen Zerstörungen des Krieges – schlechter. Für diesen Trumpschen »Deal« soll Selenskij jetzt offenkundig gefügig gemacht werden; Trump signalisiert ihm unverblümt, dass die Unterwerfung unter sein Diktat die einzige Überlebenschance des Projekts Ukraine und des Politikers Selenskyij sei.
Für uns, die wir uns das alles von der Seite und nach Möglichkeit sine ira nec studio anschauen können, lohnt sich ein Blick in Vergils »Aeneis«. Dort lässt der römische Dichter den trojanischen Priester Laokoon seine Mitbürger warnen: Fürchtet die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen. So ist es mit den USA und der Wahrheit auch. Das dicke Ende ist unausweichlich.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (21. Februar 2025 um 09:58 Uhr)Es stimmt: »Das dicke Ende ist unausweichlich.« Doch im Gegensatz zur Metapher von Reinhard Lauterbach bringen die USA keine Geschenke – sie nehmen. Ihr eigentliches Ziel ist der Zugriff auf die ukrainischen Rohstoffe, insbesondere seltene Erden im Wert von Hunderten Milliarden Dollar. Die geplanten Verträge sind kein trügerisches Geschenk, sondern ein direkter neokolonialer Zugriff.
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Leserbrief von Michael aus Wien (20. Februar 2025 um 23:40 Uhr)Dass es bei einer Übernahme der kriegszerstörten Restukraine durch die EU anders aussehen würde, als das, was Trump verlangt, darf bezweifelt werden. Nur wird das im Rahmen von EU-Verträgen anders formuliert. Die EU hat ihr Narrativ der »Unterstützung« inzwischen sowieso schon in ein »Ohne uns unterschreibt die Ukraine keinen Friedensvertrag« geändert und damit noch einmal deutlich gemacht, dass sie die Zügel der politischen und damit ökonomischen Zukunft der Ukraine in der Hand halten will. Das war ja schon der Stand 2014, als Präsident Janukowitsch sich dem schon ausgehandelten Diktat zur Übernahme diverser EU-Normen letztlich widersetzte und deshalb weggeputscht wurde. - Ein offener »Angriffskrieg« auf den ukrainischen Staat war das nicht, blutig und brutal aber schon, dafür aber verdeckt durchgeführt, ohne dass die Ausführenden namhaft gemacht oder gar angeklagt wurden, weil für den Westen in seiner Richterposition der Feind eben der Präsident war, der sich der von der EU vorgesehenen Souveränität für die Ukraine widersetzte. Also läuft es 2025 auf einen Streit unter Imperialisten über die Beute eines flächen- und wirtschaftsmäßig stark dezimierten, hoch verschuldeten und zerstörten Landes hinaus, dessen Infrastruktur zum großen Teil erst wieder aufgebaut werden muss. Dass man sich dafür nicht die Rosinen von den USA wegnehmen und nur auf den Kosten sitzen bleiben will, ist klar.
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