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Aus: Ausgabe vom 21.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Lied und Poesie

Gegen den Lebenslauf

Vor 70 Jahren wurde der singende Poet Gerhard Gundermann geboren
Von Felix Bartels
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»Und wenn auch tausend Sender senden, das alte Radio nimmt sie nicht mehr an«

Einer dieser Abende, am Tresen fließen Thesen. Der Wein aus dem Rheingau, die Gedanken östlich der Elbe. Können die besonderen Verkehrsformen der DDR das gewächshausmäßige Aufblühen der Kunst in eigentlich unwirtlichen Zonen erklären? Eine lange Nacht ritten wir auf den Rücken von Hegel und Schiller, Goethe und Lukács, Benjamin und Lifschitz. Und dann kam der eine, der reinscheißt. Ja schon, der Realismus des surrealen Tübke, die Kraft des schwermütigen Müller, der heitere Blankvers des philosophischen Hacks, doch wo war der Bob Dylan der DDR?

Wie wenig man manchmal den eigenen Gedanken traut. Was hinderte mich zu antworten, der Dylan der DDR heiße Gundermann? Die kulturelle Hegemonie, die in Deutschland vom Westen her kommt? An diesem Abend jedenfalls drückte sie auf die Stimmbänder und scheint überhaupt und bis heute die Rezeption dieses Liedermachers von verborgenem Weltrang zu behindern. Wenn das Genre sich aus Melodie und Poesie ergibt, kommt Gundermann dieser Rang zu, in beiden Elementen war er mehr als erstklassig, unverwechselbar. Worte, die man unter Tausenden nicht findet, eine Stimme, die man unter Tausenden heraushört.

Gerhard Gundermann wurde am 21. Februar 1955 in Weimar geboren. Als er zwölf ist, ziehen die Eltern nach Hoyerswerda. Der Junge wird mit einer Pistole aus dem Weltkrieg erwischt, der Vater dafür belangt. Bis zum Tod wird er das dem Sohn nicht verzeihen. Kaum vorzustellen, was das mit einem Kind machen kann. In einer Mischung aus Milde und ungestilltem Schmerz dichtet der Sohn ein Vierteljahrhundert später: »Mein Vater wird alt und schwer, / Und sein hohes Ross hat ihn lange abgeworfen. / Ich hasse ihn heute nicht mehr, / Aber wir sind auch keine Freunde mehr geworden.« Nach Abitur und NVA, wo er zum ersten Mal mit der Parteilinie in Kollision gerät, arbeitet Gundermann im Tagebau: »Die Lunge ist wie’n Sack mit Kohlebrocken voll, / Im Herzen Asche, in den Adern Alkohol.« Eine Zeitlang gibt er als IM Informationen ans Ministerium weiter, 1984 wird er aus der SED ausgeschlossen. Ende der Siebziger singt und produziert Gundermann Lieder mit der Brigade Feuerstein. Nach dem Ende des Sozialismus wird der Tagebau Stück für Stück abgebaut. Der singende Bergmann bleibt, solange es geht. Im letzten Jahr seines Lebens lernt er auf Tischler um. Zu dieser Zeit ist er schon berühmt; gefördert und produziert hatten ihn zunächst Silly, bis die Band von ihm, da seine IM-Tätigkeit bekannt wurde, nichts mehr wissen wollte. Konzerte gibt Gundermann sowohl allein als auch mit der Formation Seilschaft, die noch heute tourt. Am 21. Juni 1998 stirbt er an einem Schlaganfall.

Keine Poesie ohne Thema. Nur die Geschichte darf ihr keinen Strich durch die Rechnung machen. Kaum wer hat Kraft und Größe, sich für gleich zwei Epochen zu eignen. Tatsächlich ist Gundermann, als Schluss war mit dem Sozialismus, weder verstummt noch in Belanglosigkeit versunken. Er hat den Bruch poetisch bewältigt. Wenn das Elend dich am Großsein hindert, werde groß am Elend.

Viele seiner Lieder sind genuin poetischen Zugriffs, Themen der Ewigkeit. Liebe (»Auf dem Reihenhausdach proben Engelschöre, / Und meine Alte lacht, wenn ich ihr Treue schwöre«), Tod (»Einmal bleiben morgens meine Schuhe leer, / Einmal hilft mir auch dein Fliedertee nicht mehr, / Einmal fall ich in den schwarzen Trichter rein, / Einmal – einmal lass ich dich allein«), Verlust (»Und zwei Tassen stelle ich auf den Tisch, / So als ob du heute noch kommst, / Und ich lach, wenn ich mich dabei erwisch, / Und das Teewasser kocht ganz umsonst«), verpasste Chancen (»Und ich habe keine Zeit mehr. / Ich nehm den Handschuh auf. / Ich laufe um mein Leben / Und gegen den Lebenslauf«).

Doch auch, wo er politisch wird, bleibt er poetisch. Beim Abbau Ost etwa: »Ach, meine Grube Brigitta ist pleite, / Und die letzte Schicht lang schon verkauft, / Und mein Bagger, der stirbt in der Heide, / Und das Erdbeben hört endlich auf.« Beim Umweltschutz mit unverholener Anspielung auf Miyazakis »Nausicaä«: »Wenn die Bäume in dem bittren Schnee erfrieren, / Bitt ich Gott, es sei der Wald vor deiner Tür. / So versuch die Schwefelpilze zu dressieren / Oder werde atemlos und stirb mit mir.« Den Verlust des revolutionären Kampfs spielt er an Kurosawas »Sieben Samurai« durch: »Ihr ruft mich heute wieder gegen den Drachen. / Es ist der letzte hier auf diesem Stern. / Ein arbeitsloses Schwert ist nicht zum Lachen, / Kleine Leute lachen doch so gern.«

Den größten Komplex macht die Frage aus, wie in der verkehrten Welt nach dem Ende des Sozialismus zu leben gehe. »Wer hat ein helles Licht bei der Nacht«, als textlich und musikalisch verbesserte Variante des Steigerlieds, ist nicht weniger als eine Parabel auf Geburt, Aufstieg, Krise, Tod und Wiedergeburt des Sozialismus: »Das Gold der Helme färbt keine Äpfel, / Silbernes Geld lockt keine Fische, / Insekten mit schwarzen Leibern trinken von unserem Blut.« In »Krieg« handelt Gundermann vom Ostdeutschen, der zum Ende hin vergessen hatte, warum er gegen den Bruder im Westen kämpft. Auf die Niederlage folgt die Erkenntnis: »Wenn das Schiff schlingert, / Machst du den Finger, / Und ich mach den Rücken krumm. / Du musst an die Kegel, / Ich muss in die Segel, / Und da weiß ich wieder, warum.«

Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Gundermann, der Kant vermutlich nie gelesen hat, wusste Antwort: »Wenn ich nicht mehr stehen kann, / Dann schaffe ich es noch zu kriechen, / Und wenn ich nicht mal mehr liegen kann, / Fang ich eben wieder an zu fliegen.« Ähnlich im Burlesken: »Sieh dir mal die schönen Sachen an, / Die kann man alle noch gebrauchen. / Und was man wirklich nicht mehr essen kann, / Das lässt sich doch noch rauchen.« Resignation wird zur Bedingung der Hoffnung, Utopie darf sich wenigstens befreien, wenn ihre Umsetzung schon verhindert ist.

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