Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 21.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Qualkrampf

Wahlkampfhilfe (7). Alter Kaffee

Von Stefan Gärtner
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Endspurt im Bundestags-wahlkampf, die Parteien geben alles. Ob es lohnt, lesen Sie hier in loser Folge. (jW)

Oft frage ich mich, ob in der Küche der Frankfurter Wohnung, aus der ich 2007 ausgezogen bin, noch die Fototapete hängt, die ich, nachdem die Kaffeemaschine explodiert war, von einem alten Agenturfoto hatte abziehen und derart vergrößern lassen, dass ich erst, als der Tapezierer verrichtet hatte, sah, was tatsächlich auf dem Foto war: kein schlafender dicker Mann am Rande eins Jazzfestivals, sondern ein schlafender dünner Punker, was immer der nun auf einem Jazzfestival machte. Ich habe nichts gegen Punker, war aber selbst nie einer und freute mich über die doppelte Ironie, die des Schicksals und die simple, die den Küchenpunker so effektvoll gegen Thomas Mann im Wohnzimmer abstechen ließ.

Lange her, und vielleicht hatte ja auch diese Art der Ironie ihre Zeit, wobei das betreffende Foto auch ohne Ironie ein schönes Foto war. Sollte ich meiner ironischen Neigung noch einmal per Tapete die Zügel schießen lassen, müsste ich aber einen Schritt weitergehen und die Ausgabe der »Wandzeitung« zur Vorlage nehmen, die sich im CDU-Shop bestaunen lässt und auf der Friedrich Merz besonders undämonisch grinst und ein Deutschland verspricht, »auf das wir wieder stolz sein können«.

Denn so wird es aussehen, das Deutschland, auf das Friedrich Merz und alle, die ihn wählen, stolz sein können: wie von der Hamburg-Mannheimer ausgedacht und von der Grafikpraktikantin umgesetzt. Das kann als Bebilderung von Solidität verstanden werden, als auch optische Distanzierung von Großstadt, homo und was uns Sauerländern noch alles nicht behagt, illustriert aber hauptsächlich eine Enge, die nichts anstrebt außer sich selbst. Das passt zu einem Kandidaten, der in erster Linie Kanzler werden will und möchte, dass wir stolz auf ein Deutschland sind, in dem die Hamburg-Mannheimer längst vom Ergo-Konzern geschluckt ist. Auch dagegen hätte Ironie natürlich, wie gegen alles, eine Chance, so wie das Hässliche von einst in unseren Hipsterbuden Schönheit wird. Nur gibt es zum Glück auch Ehefrauen und will ich mich gern auf die statistische Unwahrscheinlichkeit verlassen, dass mir im Leben gleich zweimal die Kaffeemaschine explodiert.

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