Linke stärkt Westbindung
Von Nico Popp
Markierten die 4,9 Prozent der Linkspartei bei der Bundestagswahl 2021 den Übergang von der latenten zur offenen Parteikrise, dann stehen die 8,8 Prozent (4,35 Millionen Stimmen) bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2025, so scheint es jedenfalls, für ihren Abschluss. Vor zwei Monaten, nach Jahren des politischen und organisatorischen Niedergangs und bei drei Prozent in den Umfragen, noch nahezu abgeschrieben, ist der Linkspartei ein so von niemandem erwartetes Comeback gelungen. Keine andere Partei hat im Wahlkampf derart zugelegt, keine andere so viele Mitglieder gewonnen.
Ihren Wahlkampf hatte die Linkspartei eigentlich auf den Gewinn von mindestens drei Direktmandaten abgestellt, weil ein Zweitstimmenergebnis über fünf Prozent noch zur Jahreswende als kaum erreichbar galt. Am Ende gewann die Partei sechs Wahlkreise direkt, davon vier in Berlin, wo Die Linke mit 19,9 Prozent auch bei den Zweitstimmen stärkste Kraft wurde. Koparteichefin Ines Schwerdtner gewann in Berlin-Lichtenberg das Mandat, Gregor Gysi in Treptow-Köpenick, Pascal Meiser in Friedrichshain-Kreuzberg und Ferat Koçak in Neukölln. Neukölln ist der erste »Westwahlkreis« überhaupt, den die Partei gewinnen konnte. In den Wahlkreisen Berlin-Mitte und Berlin-Pankow unterlagen die Linksparteibewerber jeweils nur knapp den Kandidaten der Grünen. Der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow gewann den Wahlkreis Erfurt-Weimar-Weimarer Land II, Sören Pellmann erneut den Wahlkreis Leipzig II (der einzige sächsische Wahlkreis, der nicht an die AfD ging).
Was ist da passiert? Offensichtlich hat sich hier mitten im laufenden Wahlkampf eine politische Konstellation ergeben, die für die Partei außerordentlich günstig war, die sie aber nicht selbst herbeigeführt hat. Diese Konstellation hat das Resultat, dass beachtliche Teile der urban-»progressiven« Wählerschaft, die seit Jahrzehnten die Grünen (in Teilen auch die SPD oder bei der Europawahl 2024 Volt) gewählt hat, aber dennoch unverwüstlich das Selbstverständnis pflegt, man sei »links«, den Übergang zur Linkspartei vollzogen haben – allerdings erst in letzter Minute und vor dem sehr spezifischen Hintergrund der Zuspitzung des Wahlkampfes auf die miteinander verkoppelten Themen Migration und Umgang mit der AfD.
Exemplarisch ist in dieser Hinsicht der noch vor ein oder zwei Wochen von niemandem in der Partei antizipierte Sieg Pascal Meisers im lange als grüner »Musterwahlkreis« gehandelten Friedrichshain-Kreuzberg. Besonders auffallend ist diese Entwicklung, wenn man sie mit dem Befund kontrastiert, dass der auf sozialpolitische Themen fokussierte Wahlkampf in den alten Hochburgen der Partei, den ostdeutschen Flächenländern oder einem früheren 50-Prozent-Wahlkreis wie Marzahn-Hellersdorf, nicht zu einem Anknüpfen an alte Höchststände geführt hat. Die Partei hat hier das im Vergleich schlechte Ergebnis von 2021 allenfalls leicht verbessert.
Getragen haben den plötzlichen und steilen Anstieg deutliche Zugewinne in den westdeutschen Ländern (und hier vor allem in den großen Städten), wo die Partei zuletzt stets katastrophal schlecht abschnitt. Am Sonntag kletterte sie aber auch in Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein über fünf Prozent, also in Flächenländern, die bislang als besonders »schwierig« für die Partei galten. Besonders erfolgreich war die Partei hier und anderswo durchweg in Wahlkreisen mit Universitätsstädten, in denen lange Zeit vor allem die Grünen abgeräumt haben. Im Wahlkreis Münster etwa kam Die Linke auf überdurchschnittliche 12,5 Prozent der Zweitstimmen (plus 7,5 Prozentpunkte), in Bonn auf 12,5 Prozent (plus sieben), in Freiburg auf 13,9 Prozent (plus sieben).
Insgesamt liegen die einzelnen Länderergebnisse der Linkspartei im Westen und im Osten nicht mehr so weit auseinander. Das ist ein Novum in der Parteigeschichte, in der der Erfolg (oder Misserfolg) bei einer Bundestagswahl immer vom Ergebnis in den ostdeutschen Ländern abhing und in der auch in der Phase der Anfangserfolge der Partei, etwa bei der Bundestagswahl 2009, das Gefälle zwischen den Ergebnissen im Westen und im Osten sehr groß war – gar nicht zu reden von den PDS-Jahren, als die Stimmen fast ausschließlich im Osten geholt wurden und wiederholte Versuche einer »Ausdehnung« nach Westen scheiterten. Dieses Kapitel scheint nun endgültig abgeschlossen – die einstigen Hochburgen im Osten sind nicht mehr da, dafür hat die Partei Aussichten, unter günstigen Bedingungen in westdeutschen Flächenländern an die zehn Prozent Stimmenanteil heranzukommen. Der Wähler- und Mitgliederschwerpunkt der Partei hat sich nach Westen verlagert.
Der Parteiapparat hat mit dieser Wahl also zwei langgehegte Ziele erreicht: Einen Einbruch in die »progressive« Wählerschaft von Grünen und SPD und zugleich die Reduzierung der Abhängigkeit von den alten Hochburgen im Osten. Der Versuch, diesen einmal erreichten Stand der Dinge durch eine weiter forcierte politisch-programmatische Anpassung an die neue Klientel zu stabilisieren, wird nicht lange auf sich warten lassen.
Hintergrund: Mehr Kreuzchen
Eine moderate Repolitisierung hat die vorgezogene Bundestagswahl immerhin herbeigeführt: Der Nichtwählerblock, der bei Bundestagswahlen auf annähernd ein Viertel der Wahlberechtigten angewachsen war, ist etwas abgeschmolzen. 82,5 Prozent der Wahlberechtigten – 49,9 Millionen – machten diesmal ihr Kreuzchen (2021: 76,6 Prozent). Das ist die höchste Wahlbeteiligung seit der Angliederung der DDR an die Bundesrepublik 1990. Die niedrigste Wahlbeteiligung wurde am Sonntag mit 77,7 Prozent in Sachsen-Anhalt registriert, die höchste mit 84,5 Prozent in Bayern.
Laut dem am Montag von der Bundeswahlleiterin veröffentlichten vorläufigen Ergebnis hat die Union die Wahl gewonnen. CDU und CSU kamen zusammen auf 28,6 Prozent der Zweitstimmen, die AfD, die ihr Ergebnis von 2021 ziemlich genau verdoppelt hat, kam auf 20,8 Prozent. Auf den Plätzen folgen die um beinahe zehn Prozentpunkte abgestürzte SPD (16,4 Prozent), Bündnis 90/Die Grünen (11,6 Prozent) und die Linkspartei mit 8,8 Prozent. Die FDP, die das Ende der Ampelregierung im November 2024 wesentlich mit herbeigeführt hatte, gehört mit 4,3 Prozent dem Bundestag nicht mehr an. Sie hat etwa zwei Drittel ihres Stimmenanteils von 2021 verloren.
Denkbar knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert ist das erstmals bei einer Bundestagswahl ins Rennen gegangene BSW. Die Bundeswahlleiterin wies am Montag 4,972 Prozent Stimmenanteil (2,46 Millionen Stimmen) für die Partei aus; am Ende fehlten demnach etwa 13.400 Stimmen. Die Partei schnitt in Ostdeutschland überdurchschnittlich ab – am besten mit 11,2 Prozent in Sachsen-Anhalt, wo sie auch vor der Linkspartei (10,8 Prozent) landete. Auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erzielte die Partei jeweils ein zweistelliges Ergebnis. Auffallend ist, dass die Partei in Thüringen, wo sie bei der Landtagswahl im September 2024 noch 15,8 Prozent geholt hatte, nun nur noch 9,4 Prozent erhielt – der Eintritt in eine Koalition mit CDU und SPD hat also reichlich Stimmen gekostet. Wesentlich für das knappe Scheitern war aber auch, dass die Partei im Westen mit Ausnahme des Saarlandes überall unter fünf Prozent blieb. In Nordrhein-Westfalen, dem einwohnerreichsten Bundesland, stimmten 4,1 Prozent der Wähler für das BSW.
In dem infolge der »Wahlrechtsreform« der Ampel auf 630 Sitze geschrumpften Bundestag kommen die Unionsparteien auf 208, die AfD auf 152, die SPD auf 120, die Grünen auf 85 und Die Linke auf 64 Sitze. Dazu kommt ein einzelner Abgeordneter des SSW. Abseits der AfD, mit der keine Partei zusammenarbeiten will, hat die Union als stärkste Kraft lediglich mit der SPD eine parlamentarische Mehrheit. (np)
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