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Aus: Ausgabe vom 25.02.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Klimawandel

Algenkur fürs ewige Eis

Die Gletscher in Grönland schmelzen immer schneller. Ein Grund dafür sind winzige Lebewesen
Von Marc Püschel
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Die schwarzen Flecken auf dem Eis sind kein Dreck, sondern Algen, die trotz der nährstoffarmen Umgebung dort wachsen

Die Gletscher in Grönland verlieren immer schneller an Masse. Satellitenauswertungen aus den vergangenen Jahren deuten darauf hin, dass dort pro Stunde rund 30 Millionen Tonnen Eis schmelzen. Der Temperaturanstieg infolge des Klimawandels ist jedoch nur zum Teil verantwortlich für diesen Rückgang. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Mikroalgen, die immer größere Teile der Oberfläche der Gletscher bedecken. Da die Algen dunkler sind als das Eis, absorbieren sie mehr Sonnenstrahlung und sorgen damit für eine zusätzliche Erhitzung.

Forscher des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen und der dänischen Universität Aarhus haben nun untersucht, wie die Organismen es schaffen, sich in der nährstoffarmen Umgebung nicht nur zu behaupten, sondern sich auch auszubreiten. Die Wissenschaftler stellten eine besonders effiziente Nährstoffaufnahme bei den Algen fest. Sie können anorganischen Stickstoff und Phosphor aufnehmen und speichern. Besonders Phosphor aus vom Wind mitgetragenem Mineralstaub begünstigt das Wachstum der Algen. Zudem helfen die bei der Gletscherschmelze entstehende Feuchtigkeit und bislang im Eis gebundene Stoffe. Dadurch können frei werdende Eisflächen schnell besiedelt werden, was wiederum das Rückstrahlvermögen (Albedo) senkt und zu einer noch höheren Oberflächentemperatur führt. Eine fatale Rückkopplungsschleife droht.

»An der Westküste Grönlands wird schon heute etwa ein Zehntel der Eisschmelze durch die mikroskopisch kleinen Bewohner verursacht. Zum Teil verdunkeln sie die Gletscheroberfläche so stark, dass dies sogar auf Satellitenaufnahmen zu sehen ist«, so Laura Halbach vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. Mit den Ergebnissen der neuen Untersuchungen lässt sich die Eisschmelze der kommenden Jahre noch genauer vorhersagen, was besonders für die europäischen Staaten von großem Interesse ist. Das komplette Abschmelzen des grönländischen Eisschilds würde zum Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter führen und zudem die nordatlantischen Meeresströmungen beeinflussen. Die Folge wären wiederum mehr extreme Wetterereignisse in Europa.

Im Kampf gegen die Algen helfen könnte laut Laura Perini von der Universität Aarhus ein Virus. Bereits vergangenes Jahr hatte ein zehnköpfiges Forscherteam auf dem Grönlandeis »Riesenviren« (sehr große Viren mit Durchmessern über 200 Nanometer) entdeckt. Diese Viren befallen und töten die Algen. Eine dauerhafte Hilfe ist diese »Biowaffe« allerdings nicht: Durch eine Bekämpfung der Algen würde die Schmelze nur verzögert, so die Wissenschaftler unter Leitung von Perini, die jedoch weiter an den Viren forscht. Selbst wenn eine vollständige Entfernung der Algen aus dem ewigen Eis möglich wäre, würde dies das Problem der Absorption von Sonnenstrahlung nicht gänzlich lösen. Denn ein großer Teil der Masse, die das Eis verdunkelt, besteht aus Ruß.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Olaf M. aus München (25. Februar 2025 um 10:39 Uhr)
    Den Satz »Die Gletscher in Grönland verlieren immer schneller an Masse« kann man so nicht stehen lassen. In Westgrönland gibt es zwar Regionen, in denen sich die Eisschmelze beschleunigt. In anderen Regionen sehen wir allerdings eine Zunahme des Gletschereises. Das kann man Daten des Dänischen Meteorologischen Instituts (DMI) entnehmen, die für 2024 einen rekordverdächtigen Schnee- und Eis-Zuwachs auf Grönland zeigen (siehe z.B. die Diagramme in https://eike-klima-energie.eu/2024/07/04/groenland-rekord-zuwachs-von-sommerschnee-und-eis/). Es gibt somit keine Netto-Abnahme des grönländischen Eisschilds. Wenn man die Originalveröffentlichung Halbach et al. (2025), auf der die beschriebenen Ergebnisse zur Algenblüte zurückgehen, liest, fällt auf, dass die Autoren – dem Wissenschaftscodex entsprechend – eine Aussage tunlichst vermeiden, nach der das Grönlandeis insgesamt abnimmt. Das wäre auch unseriös. Der alarmistische Tonfall im Beitrag der jungen Welt (»fatale Rückkopplungsschleife«) ist daher nicht angemessen.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (26. Februar 2025 um 11:52 Uhr)
      Leider ist der von Ihnen erwähnte Link zum Institut EIKE nicht hilfreich. Auch ein Laie sieht, dass es sich nicht um einen klassisch-wissenschaftliches, sondern um einen Verein mit klarer politischer Zielrichtung handelt. Der Leitspruch »Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit« als Banner über dessen Internetseite zeigt, dass es auch hier um Interessen und weniger um Fakten geht. Dennoch kann! diese Seite auch Richtiges enthalten, aber leider liegt die von Ihnen erwähnte Darstellung bezüglich der Eis- bzw. Gletscherdicke nicht im dänischen Original vor. Als Kind (1975 geboren) rodelte ich in jedem Winter, heute ist dies unmöglich. Mehr Klimawandelbeweise brauche ich persönlich nicht. Dass das Schlagwort »Klimawandel« nur dazu dienen soll, dem Kapitalismus weitere Legitimation zu verschaffen (»Grüne Transformation«), darüber besteht völlige Klarheit. Sozialistischer Umweltschutz (im Ideal) ist deshalb immer auch Klimaschutz.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (25. Februar 2025 um 21:41 Uhr)
      Ist es Alarmismus, wenn geschrieben steht: »Eine fatale Rückkopplungsschleife droht«? Die Existenz oder der Nachweis einer Mitkopplung wurde ja nicht behauptet. Wer die Veröffentlichungen zur Klimaveränderung seit Jahren verfolgt hat, wird bestätigen können, dass jedes Jahr höhere Konzentrationen von Treibhausgasen oder Temperaturerhöhungen »als erwartet« eingetreten sind. Ein Alarmismus hätte also alle Berechtigung! Das Alfred-Wegener-Institut schreibt: »Mit welcher Geschwindigkeit das grönländische Eis abschmelzen wird, hängt stark davon ab, um wieviel Grad Celsius sich die Erde erwärmt. Unabhängig davon, wie sich die Treibhausgasemissionen zukünftig entwickeln werden, wird der grönländische Eisschild in diesem Jahrhundert mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter an Masse verlieren.« (Das Grönländische Eis, https://www.arctic-office.de/fileadmin/user_upload/www.arctic-office.de/PDF_uploads/Fact_Sheets/FactSheet_GROCE_deutsch.pdf, Stand: Dezember 2021)

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