Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 27.02.2025, Seite 8 / Ansichten

Auf der schwarzen Liste

Von Marc Bebenroth
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Die Empörung über die Bundestagsmehrheit für einen CDU/CSU-Antrag dank AfD-Zustimmung mobilisiert Tausende vor das Konrad-Adenauer-Haus (Berlin, 30.1.2025)

Der liberale Anstrich hat ausgedient, die herrschende Klasse setzt auf reaktionäre Kräfte. CDU-Chef Friedrich Merz steht bereit, um als nächster Bundeskanzler die autoritäre Politik von SPD und Grünen fortzusetzen – nicht nur beim sogenannten Bürgergeld, der Aufrüstung oder der Migrationspolitik. So war es nicht nur eine Polterparole, als der Finanzlobbyist und Millionär Merz zum Wahlkampfabschluss im Bierkeller des Münchner Löwenbräu vergangene Woche ausrief, dass er »nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt, die da draußen rumlaufen«, Politik mache.

CDU und CSU bereiten ihre Rückkehr auf die Regierungsbank schon lange vor. Mit ihrer neuesten und umfangreichen parlamentarischen Anfrage zur staatlichen Finanzierung diverser Initiativen, Stiftungen und Vereine nehmen die Parteien mehr als nur Revanche für die gegen sie gerichteten Großdemonstrationen der vergangenen Wochen. Mit ihren Fragen legen sie offen, wer es auf ihre schwarze Liste geschafft hat.

Vom Medienhaus Correctiv über die »Omas gegen rechts« bis hin zum Kampagnenverein Campact arbeitet sich die Anfrage an wirkmächtigen, aber inoffiziellen Vorfeldorganisationen von SPD und Grünen ab. Namen wie ATTAC, PETA, BUND oder Deutsche Umwelthilfe sind den Kapitalfraktionen hinter der Union ein Dorn im Auge, dürfen im Fragenkatalog deshalb nicht fehlen. Aber auch die betont proisraelische Amadeu-Antonio-Stiftung hat es sich offensichtlich mit der Union verscherzt.

Die Empörung über die Anfrage als solche ist verlogen. Die Akteure erregen sich vielmehr über das, was diese Feindmarkierung bezwecken dürfte: Wer auch künftig von den vermutlich zusammengestrichenen Fördertöpfen des Bundes etwas abhaben will, spart besser mit Kritik an einem CSU- oder CDU-geführten Ministerium und ordnet sich unter. Falls die neue Bundesregierung tatsächlich den genannten Organisationen den Geldhahn zudreht oder ganze Förderprogramme einstampft, trifft es zunächst jene liberalen Mobilisierungs- und Kampagnennetz­werke – aber im Kleinen eventuell auch lokal relevante Projekte, die sich gegen Rechtsruck und rechte Gewalt engagieren.

Die nicht unbegründete Schadenfreude, die sich bei Sozialisten, Kommunisten und Marxisten aller Couleur einstellen mag, sollte deshalb nicht zu lange anhalten. Wer sich als Linker heute über politische Attacken gegen regierungstreue Organisationen freut, die sich für Hetze gegen Palästinenser oder Kampagnen gegen »Linksextreme« nicht zu fein sind, könnte als nächstes oder übernächstes fällig sein.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (28. Februar 2025 um 11:37 Uhr)
    Kommunisten haben bereits vor Jahren den reaktionären Staatsumbau analysiert, diskutiert und in ihren Dokumenten verbreitet, nach außen getragen. Schadenfreude darüber, dass es nun genau so weit ist und sich eine Staatsräson breit macht, die gegen alles brutal vorgeht, was noch immer an demokratisch-freiheitliche oder rechtsstaatliche Prinzipien glaubt, das ist und kann nicht entfernt die Sache von Kommunisten und Marxisten sein. Wer solches in Erwägung zieht, der hat von marxistischer, kommunistischer Politik nichts verstanden. Wie kann es Mitgliedern einer Partei und allen kommunistisch marxistisch denkenden Menschen, Organisationen und Medien die reine Schadenfreude sein, wenn es einer reaktionären Parteienpolitik, ihren Demagogen und Ideologen gelingt, viele Tausende Menschen in guter Absicht vor ihren Karren der Verlogenheit und Heuchelei zu spannen? Wie kann es Schadensfreude hervorrufen, wenn es Kommunisten und Marxisten nicht gelingt, dem falschen Bewusstsein wirksam entgegenzutreten? Dem Bewusstsein der Kommunisten und Marxisten ist es keineswegs fremd, es sind ihre Erfahrungen, Lehren und verlustreichen Opfer, was sie selbst in einer kleinen Partei der Kommunisten das Wissen noch erhalten hat, wer und wo der Klassenfeind steht, mit welchen Mitteln und Methoden er vorgeht.
    Vor der neuen Regierung, der Regierung des Krieges und auf dem Weg zum Staatsterror darf es keine Illusionen geben. Dafür stehen Kommunisten und Marxisten. Gegen Faschismus, für Recht und Frieden ist den Kommunisten und Marxisten ein einheitlicher, nie zu trennender Kampf. Zur Schadenfreude fehlt da jede Zeit und Kraft angesichts der politischen Entwicklungen des Rechtstrends. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass das demokratiefeindliche Vorgehen dieser Regierung von erster Stunde an führt zum Nachdenken und am besten zu massenhaften Bekenntnis zum Berliner Appell für den Frieden.
  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (27. Februar 2025 um 16:48 Uhr)
    Generell sollten progressive/sozialistische (etc.) Organisationen, die sich neu gründen, gründlich fragen, ob man als zweiten Schritt unbedingt die staatliche Gemeinnützigkeit beantragen muss, zwecks Staatsknete. Gerade bei z. B. Antifa-Gruppen, die sich stets in die staatskritische Pose werfen, wirkt dies mindestens unfreiwillig komisch – im Grunde jedoch schlicht verlogen. In Zeiten von Crowdfunding und Social Media sollten alternative Finanzierungskanäle durchaus organisierbar sein. Man lebt dann auch entspannter, wenn man nicht alle vier Jahre um den Status bangen muss.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. (27. Februar 2025 um 13:20 Uhr)
    Der liberalprogressive Nonprofit Industrial Complex, angeblich »non-governmental«, aber zuverlässig subventioniert vom bürgerlichen Staat, nimmt jeder wirklich linken Opposition Kraft und Fokus. Da fällt es tatsächlich schwer, Schadenfreude zu unterdrücken.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz (27. Februar 2025 um 01:18 Uhr)
    »Wer sich als Linker heute über politische Attacken gegen regierungstreue (Nichtregierungs-) Organisationen freut, die sich für Hetze gegen Palästinenser oder Kampagnen gegen ›Linksextreme‹ nicht zu fein sind, könnte als nächstes oder übernächstes fällig sein.« Warum sich auf eine Stufe stellen? Das würde ja nur dann eine Verschlimmerung für diese Linken darstellen, wenn sie ebenfalls in den Genuss finanzieller Zuwendungen aus dem Topf der Bundesregierung kommen würden, oder den Verlust einer wohlwollenden Behandlung fürchten müssten als »nicht regierungsferne Opposition«. Da wäre es dann wohl aus mit der gemeinsamen Entgegennahme von Karnevalsorden. Mit wem hat Herr Gysi da gemeinsam gefeiert und Witze gerissen? Dieser Karnevalsverein hat ebenfalls politische Funktion, soll etwas nett verkaufen, z. B. die vorige Karnevalsrede bzw. Politik von Frau Strack-Zimmermann. Wie viele Fördergelder bekommt denn der herrlich ablenkende, pseudokritische Kölner Karnevalsumzug? Und wie viele Fördergelder bekommen ARD und ZDF, unsere »regierungsfernen Regierungssprachrohre«, dafür, dass sie den verbleibenden Satiresendungen die letzten Zähne gezogen haben?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (26. Februar 2025 um 21:17 Uhr)
    »Schadenfreude (…) bei Sozialisten, Kommunisten und Marxisten aller Couleur« kann sich nur bei solchen einstellen, die die Weisheit mit Löffeln gefressen und anscheinend wenig aus der Geschichte gelernt haben. Da war doch was mit Sozialfaschismus, Volksfront, Einheitsfront und so. Diese Facette wäre einer Debatte wert! Mit den Leserbriefen zum Artikel in der jW vom 21.2.: »Hilfloser Antifaschismus« könnte man einen Anfang machen.

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