Empörende Anfrage
Von Karim Natour
Anfang Dezember enthüllten Journalisten, dass ein Großteil des Budgets des internationalen Journalistennetzwerks »Organized Crime and Corruption Reporting Project« (OCCRP) von der US-Regierung stammt und sogar an Bedingungen geknüpft ist. Mitarbeiter des US-Außenministeriums bestätigten die Informationen. Daraufhin entbrannte in der globalen Community des Investigativjournalismus ein heftiger Streit. Einige begrüßten die Recherche, da sie für Transparenz sorge. Ein Großteil aber kritisierte den Bericht heftig – nicht weil er fehlerhaft wäre, sondern ein »falsches Signal« sende und die Erkenntnisse von »illiberalen Kräften« politisch missbraucht werden könnten.
Nicht unähnlich verhält es sich mit dem Echo auf eine parlamentarische Anfrage vom Montag, die die CDU/CSU-Fraktion an die Bundesregierung gestellt hat. Diese hat den Eingang am Mittwoch bestätigt. Eine Sprecherin des Finanzministeriums versicherte, sie werde mit Hochdruck bearbeitet. Insgesamt 551 Fragen hat die Union unter dem Titel »Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen« zur Finanzierung von Dutzenden gemeinnützigen Gruppen aufgelistet. Mehrere von ihnen hatten im Vorfeld der Bundestagswahlen zu den regierungsnahen Demonstrationen gegen die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD im Bundestag aufgerufen. Zu den aufgeführten Organisationen zählen die Rechercheplattform Correctiv, das Netzwerk Campact, die Amadeu-Antonio-Stiftung, aber auch Umweltorganisationen wie Greenpeace und Peta.
Gefragt wird zum Beispiel, »Wie groß ist der Anteil der finanziellen Mittel des Vereins Omas gegen Rechts Deutschland, der aus staatlichen Förderprogrammen stammt?«, und »Gibt es direkte Verbindungen zwischen dem Verein Omas gegen Rechts Deutschland e. V. und bestimmten Parteien oder politischen Akteuren?« Nach Auffassung der Union stellen die Proteste eine parteipolitische Einflussnahme dar, die nicht mehr vom Gemeinnützigkeitsrecht gedeckt ist. Die Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« machte in einer Mitteilung vom Dienstag auf ein Problem im Gemeinnützigkeitsrecht aufmerksam, das sie als nebulös kritisiert. Die mehr als 200 Vereine und Stiftungen fordern, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und »die selbstlose politische Einmischung etwa für Grundrechte und gemeinnützige Zwecke abzusichern«.
Die Reaktionen auf den Vorgang sind heftig. Kritik kommt von betroffenen NGOs sowie linksliberalen Parteien. Die Linke im Bundestag kritisierte den Vorgang als »Frontalangriff« auf »die Demokratie«. »Mit einer parlamentarischen Anfrage rächt sich die Union für die antifaschistischen Proteste« und startet »einen beispiellosen Angriff auf die demokratische Zivilgesellschaft«, so die Abgeordnete Clara Bünger am Dienstag in einer Mitteilung. Das erinnere »an autoritäre Staaten«. Auch der Grünen-EU-Politiker Sergey Lagodinsky beschwerte sich. Die Anfrage sei »ein Angriff auf die freie Zivilgesellschaft«, schrieb er bei X. Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag, erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Mittwoch, der Vorstoß offenbare »die autoritären Züge der Union«. Der neue SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil nannte den Vorstoß nach einer Fraktionssitzung ein »Foulspiel«. Das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC, das bereits seit Jahren gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit kämpft, erklärte: »Der zu befürchtende Großangriff auf die emanzipatorische Zivilgesellschaft unter einer Regierung Merz hat begonnen.«
Es muss befürchtet werden, dass die Union auf eine Demontage von unliebsamen Organisationen aus dem rot-rot-grünen Wählermilieu zielt. Ein heuchlerisches Element ist bei der Kritik allerdings nicht von der Hand zu weisen: Schließlich wird nicht der Vorgang an sich kritisiert, sondern das »Signal«, das gesendet wird. Absurderweise wird gerade eine parlamentarische Anfrage – ein Instrument zur Kontrolle der Regierung –, das am Ende gar für Transparenz im Sinne der bürgerlichen Demokratie sorgen könnte, als »antidemokratisch« und »autoritär« abgetan.
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