Jenseits von Washington
Von Jörg Kronauer
Der britische Premierminister Keir Starmer hat vor dem Ukraine-Gipfel am Sonntag in London eine »europäische« Initiative zur Beendigung des Ukraine-Kriegs angekündigt. Wie Starmer im Gespräch mit der BBC erklärte, würden Großbritannien, Frankreich »und möglicherweise ein oder zwei andere Staaten« gemeinsam mit der Ukraine einen Plan für einen Waffenstillstand erarbeiten. Dieser solle anschließend den USA vorgelegt werden. Um Kiew für den Fall eines Friedensabkommens die erhofften Sicherheitsgarantien zu bieten, wollten London und Paris eine »Koalition der Willigen« schmieden. Starmer sowie der französische Präsident Emmanuel Macron hatten sich bereits zuvor grundsätzlich zu einer Entsendung von Truppen in die Ukraine zur Sicherung eines Waffenstillstands bereiterklärt. Näheres wurde auf dem Londoner Gipfel besprochen, zu dem Starmer den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij und die Staats- und Regierungschefs aus über einem Dutzend NATO-Staaten geladen hatte, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz.
Der – allerdings schon vorher geplante – Londoner Gipfel folgte auf den Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump, Vizepräsident J. D. Vance und Selenskij am Freitag im Weißen Haus. Trump hatte Selenskij vorgeworfen, nicht zu einem Waffenstillstand bereit zu sein und damit nicht nur »das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel« zu setzen, sondern auch »einen dritten Weltkrieg« zu riskieren. Im Anschluss daran uferte die vor Vertretern internationaler Medien geführte Diskussion in wildes Gebrüll aus, wobei Trump und Vance dazu übergingen, Selenskij offen zu demütigen. Die vorher angekündigte Unterzeichnung eines Rohstoffdeals zwischen Kiew und Washington blieb aus.
Daraufhin hatte Starmer bereits am Sonnabend Selenskij mit einer demonstrativen Umarmung an seinem Amtssitz in der Downing Street begrüßt. Für Sonntag war zudem ein Empfang für Selenskij bei König Charles III. angekündigt. Während Außenpolitikspezialisten und Medien über einen kaum noch zu kittenden Bruch in den transatlantischen Beziehungen spekulierten, äußerte Starmer am Sonntag, einen solchen Bruch gelte es unbedingt zu vermeiden. Für London, das enge Beziehungen sowohl auf den europäischen Kontinent als auch zu den USA unterhält, wäre er fatal. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die Trump politisch nahesteht, erklärte am Sonntag bei einem Gespräch mit Starmer, Großbritannien und Italien könnten beim Bestreben, zwischen »Europa« sowie den USA »Brücken zu bauen«, eine »Schlüsselrolle« spielen.
Ein derartiger Brückenbau gilt auch anderen als erforderlich, da ohne US-Unterstützung – etwa mit Satelliten – die Ukraine, aber auch die NATO-Staaten Europas militärisch nur stark eingeschränkt handlungsfähig wären. Im Hinblick darauf sollte der Londoner Gipfel auch die Debatte über eine gewaltige Aufrüstung vorantreiben. »Europa« sei »ein Riese, der erwacht ist«, erklärte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, während die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock forderte, die Bundesrepublik müsse »an dieser historischen Wegmarke Führung« übernehmen. Beim EU-Gipfel am Donnerstag müssten »Entscheidungen für massive Investitionen« in die Rüstung gefällt werden. Zuvor hatte CDU-Chef Friedrich Merz angekündigt, mit Frankreich und Großbritannien über einen »gemeinsamen nuklearen Schirm für Europa« verhandeln zu wollen. Macron sagte, er sei dazu bereit.
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