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Aus: Ausgabe vom 03.03.2025, Seite 4 / Inland
Nach Eklat im Oval Office

Berlin will führen

Nach Eklat im Oval Office: Deutsche Politiker fordern höhere Rüstungsausgaben, schnelle Regierungsbildung und hervorgehobene Rolle der BRD
Von Karim Natour
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»Ready to rumble«: Annalena Baerbock besichtigt eine ukrainische Einheit in Kiew (21.5.2024)

Deutsche Spitzenpolitiker sind fassungslos: Trump verrät die Ukraine! Das Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij im Weißen Haus am Freitag abend ist öffentlichkeitswirksam aus dem Ruder gelaufen. Eigentliche sollte mit Selenskij in Washington eine Vereinbarung über die Förderung seltene Erden unterzeichnet werden – als Rückzahlung für die bisher geleistete militärische und finanzielle Unterstützung und im Gegenzug für weiteren Support. Doch nach rund 40 Minuten Diskussion eskalierte das Treffen. Trump und sein Vizepräsident J. D. Vance machten Selenskij heftige Vorwürfe. »Sie setzen das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel. Sie riskieren einen dritten Weltkrieg«, so Trump, nachdem Selenksij kritisch auf die Forderung reagiert hatte, den Krieg durch Friedensverhandlungen zu beenden.

In dem Oval-Office-Eklat wittern deutsche Spitzenpolitiker vor allem eine Chance. Neben einer weiteren Gelegenheit zur moralischen Selbstinszenierung als »Verteidiger der Ukraine« ist die Vertiefung des transatlantischen Risses vor allem ein idealer Vorwand: Der als undemokratisch kritisierte Vorstoß, ein weiteres Sondervermögen für Rüstungsausgaben noch vor der Konstituierung des neuen Bundestages zu verabschieden, kann besser schmackhaft gemacht werden. »Bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung können wir damit nicht warten, denn die Lage ist ernst«, erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) vor diesem Hintergrund mit Blick auf zusätzliche Milliarden für den Rüstungshaushalt. Deutschland müsse an dieser »historischen Wegmarke Führung einnehmen«, so Baerbock am Sonnabend in Berlin. Der »Feind« sitze »allein im Kreml, nicht in Kiew oder Brüssel«. Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) sprach sich für rasche militärische Unterstützung der Ukraine aus. Um die »notwendige Unterstützung für die Ukraine zu sichern«, sollte man jetzt »kurzfristig tun, was wir kurzfristig tun können«, sagte Habeck dem Spiegel (Sonnabend). Zunächst müsse ein vorgesehenes Waffenpaket von drei Milliarden Euro freigegeben werden, damit die Ukraine unter anderem Luftabwehr bestellen könne.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits kurz nach dem Treffen erklärt: »Auf Deutschland und auf Europa kann sich die Ukraine verlassen.« Auch der Außenpolitiker Michael Roth (SPD) forderte in Reaktion auf den Streit höhere Rüstungsausgaben. Als Zwischenschritt müsse »ohne langes Hin und Her ein Sondervermögen« aufgesetzt werden, so Roth am Sonnabend gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Dass danach über die Schuldenbremse geredet werden müsse, sei »angesichts der dramatischen Lage« selbstverständlich. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte gegenüber Bild am Sonntag, der Eklat zeige, dass US-Präsident Donald Trump »die Seiten gewechselt« habe. Die USA seien »kein Partner mehr«. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) nannte das Gespräch im Weißen Haus eine »Schmierenkomödie« und forderte, dass der Bundestag rasch eine Notlage für mehr Rüstungsausgaben erkläre. »Die USA sind mit Trump nicht mehr der Verbündete Europas«, so Hofreiter gegenüber RND. Hofreiter sprach weiter von einem »grundsätzlichen Epochenbruch« und erklärte, Deutschland sei »deutlich stärker« als Russland.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte im Zusammenhang mit dem Vorgang eine schnelle Regierungsbildung. »Wir müssen verhindern, dass die Ukraine eine Unterwerfung akzeptieren muss. Deshalb braucht unser Land jetzt schnell eine starke Regierung«, so Steinmeier am Sonnabend gegenüber der dpa. Nie hätte er geglaubt, dass »wir einmal die Ukraine vor den USA in Schutz nehmen müssen«. Der Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sagte dem Tagesspiegel, er gehe davon aus, »dass die Ereignisse im Oval Office unsere Sondierungs- und Koalitionsgespräche deutlich beschleunigen werden«. Im Deutschlandfunk erklärte er: Das politische Handeln in dieser »historischen Stunde« müsse »eindeutig die Priorität setzen, dass wir verteidigungsfähig sind und dass Europa handlungsfähig ist«. Auch der ehemalige Chef der Münchner »Sicherheitskonferenz«, Christoph Heusgen, äußerte sich ähnlich. Der »brutale Weckruf aus dem Oval Office« müsse zu einer »massiven Stärkung der europäischen Verteidigung« führen. Überrascht habe ihn das »schamlose und arrogante Verhalten der US-Spitze« nicht. Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, forderte hingegen eine Annäherung der Ukraine an die USA. Jetzt »sei die Zeit, die Wogen zu glätten«, so Melnyk am Sonntag gegenüber der Funke-Mediengruppe.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (2. März 2025 um 21:43 Uhr)
    Das moralisierende regelrecht aufgebrezelte empörte Moralisierungen über den Eklat im Oval Office, war doch den »Wertestaaten« Westeuropas durchaus willkommen, denn nun heißt es – Bahn frei für rascheste Aufrüstung, der Drang nach Osten sei nun überaus hinfällig und dulde keinen weiteren Aufschub.Wilhelm II.I und sonstige Konsorten hatten es auch überaus eilig, endlich eine gewaltige Hochrüstung anzukurbeln, wie wir alle wissen, krachte es dann auch bald. Sollte es zu einem großen heißen Krieg gegen Russland kommen, stünde der im Zeichen Barbarossa II. Dass dabei sehr viel Blut und Zerstörung folgen werden, scheint so einigen Strippenziehern nicht sonderlich zu jucken. Die Initiatoren eines großen Showdowns müssen ja nicht an die Front, das überlassen sie dann dem sogenannten gemeinen Fußvolk. Wird es bei einer solchen Auseinandersetzung, so sie denn erfolgen sollte, erneut vorgegaukelt kriegsentscheidende Wunderwaffen geben, das kann als gewiss angesehen werden. Das Aufmöbeln des Kanonenfutters und der sonstigen Gefolgschaft wird dann mal wieder angekurbelt. All das zeichnet sich klar ab, dennoch gibt es keinen Aufschrei in der hiesigen Bevölkerung, fast alle Wählenden entschieden sich für eine der Kriegsparteien. Fast niemand würde eine militärische Niederlage Russlands hierzulande bedauern, im Gegenteil, die krankhafte Hochrüstung ist selbst der Linken mehr oder minder schnuppe. Und weil das alles hier in Germany sowie einigen anderen »Wertestaaten« recht ähnlich ist, sind all jene gut beraten, wenn sie lieber ihre Koffer packen und Deutschland den Rücken kehren, bevor es zu spät dafür ist. Voraussetzung hierfür ist: jung, gesund, beruflich gut aufgestellt und genügend Geld für einen Neustart. Wohin könnte es gehen? Vielleicht Südafrika als auch Neuseeland, auf jeden Fall dorthin, wo Atombomben eher nicht explodieren.

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