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Aus: Ausgabe vom 03.03.2025, Seite 8 / Ansichten

Zeichen an die Welt

Selenskij im Weißen Haus
Von Reinhard Lauterbach
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Auf Krawall gebürstet: Nicht einmal an Selenskijs Militärkluft ließ Trump ein gutes Haar (Washington, 28.2.2025)

Auch wenn es die US-Seite anders darstellt: Es war nicht Wolodimir Selenskij, der sich bei seinem Treffen mit Donald Trump und dessen Stellvertreter J. D. Vance am Freitag respektlos benommen hat. Er hat das getan, was man in Verhandlungen tut, solange die den Schein der Gleichrangigkeit beider Seiten wahren: auch den eigenen Standpunkt darstellen. Sogar immer mit der Vorabfrage: »Darf ich jetzt auch mal was sagen?« Dass er dasselbe gesagt hat wie seit Jahren, steht auf einem anderen Blatt.

Aber nicht einmal das hat die Gastgeber noch besonders interessiert. Sie waren auf Krawall gebürstet. Wo gibt es denn so etwas, dass man einen Gast schon vor der Tür wegen dessen Kleidung aufzieht? »Na, Sie haben sich ja heute wieder voll aufgebrezelt«, pflaumte Trump den wie üblich in seiner uniformähnlichen Kluft auftretenden Selenskij an, als der das Weiße Haus noch nicht einmal betreten hatte. Klar ist: Trump wollte den Krach. Und er schob den Hohn hinterher, als er Selenskij nach zehn Minuten öffentlich ausgetragenen Streits hinauskomplimentierte: »Ich denke, wir haben jetzt genug gesehen, das wird eine Sternstunde in der Geschichte des Fernsehens.«

Dahinter allerdings steht erstens ein ernsthafter Zielkonflikt: Trump will offenkundig mit Russland wieder ins Geschäft kommen, und da steht jemand im Weg, der ständig in moralisierendem Ton Bedingungen stellt, die dies ausschließen sollen. Der ukrainische Nationalismus, den die USA im Winter 2013/14 selbst in Kiew an die Macht gebracht haben und gegen den Trump in seiner ersten Amtszeit nichts hatte, hat sich als Hindernis für die aktuelle Politik der USA erwiesen. Und zwar, brutal realistisch gesagt, weil er nicht die Ergebnisse gebracht hat, die erwartet wurden – Russland militärisch und ökonomisch kleinzukriegen. O-Ton Trump zu Selenskij: »Ihnen laufen die Soldaten weg. Sie haben keine Karten mehr in der Hand.« Und als der zu kontern suchte, auch die USA hätten gelegentlich militärische Probleme, rastete Trump endgültig aus und keifte nur noch herum.

Das mag in Hinterzimmern hin und wieder vorkommen. Warum aber diese öffentliche Inszenierung der Demütigung eines bisherigen Verbündeten, der fallengelassen wird wie eine heiße Kartoffel? Weil die Abkanzelung Selenskijs zweitens auch ein Zeichen an die Welt sein sollte: Widerspruch wird nicht mehr geduldet, Parieren ist angesagt. Und diese Lektion geht genauso auch an die Adresse der EU und anderer »Partnerländer«. Die merken jetzt ebenso wie Selenskij, in welchem Maße man sich auf Zusagen der USA verlassen kann – im Zweifelsfall eben gar nicht. Trumps Mobbingsitzung vom Freitag ist die Fortsetzung des Anspruchs der USA auf allseitige Vorherrschaft aus den 1990er Jahren. Kein Bruch mit irgend etwas.

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  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (3. März 2025 um 14:51 Uhr)
    Selenskyi hat sich eine schöne Abreibung abgeholt. Selbst der Senator Lindsay Graham – bislang ein treuer Ukraine-Unterstützer – geht auf Distanz zum T-Shirt-Helden aus Kiew. https://www.berliner-zeitung.de/news/nach-eklat-im-oval-office-frueherer-ukraine-unterstuetzer-lindsey-graham-schiesst-gegen-selenskyj-li.2303735
  • Leserbrief von Peter Tiedke aus Golzow (3. März 2025 um 14:22 Uhr)
    Ich schätze Reinhard Lauterbach und seine Kommentare sehr. Bei der Darstellung des sog. »Eklat« im Weißen Haus kann ich ihm nicht folgen. Dass es kein Treffen zwischen Gleichrangigen werden würde, nicht einmal dem Scheine nach, war doch für alle – Beteiligte und »Zuschauer« – völlig klar. Dass Selenski bei Trump, den er – übrigens durch Lügen – 2019 an den Rand eines Amtsenthebungsverfahrens gebracht hat, keinen Sympathievorschuss erwarten konnte auch. Die spannende Frage ist nicht, was dem Schauspieler Selenski im Oval Office Schlimmes geschehen ist, sondern, wer dazu das Drehbuch geschrieben hat! Wie immer hilft bei der Beantwortung die Frage »Wem nützt es?« Und da muss man bei der Betrachtung der Reaktion in EU/NATO-Europa kein Genie sein, um zu erkennen, dass die Kriegsbefürworter in Europa die Profiteure des »Eklat« sind. Die Bevölkerung, die Steuerzahler der EU waren der Adressat des »Schmierentheaters«. Für sie wurde das »Entsetzen« in Szene gesetzt, um Widerstand gegen eine weitere Finanzierung des für einige so profitablen Krieges zu blockieren. Die »demokratieproblematische« Aufhebung der Schuldenbremse für noch mehr Kriegskredite durch das abgewählte Parlament – kein Problem mehr. Im Tross der willigen Bremsenlöser – wer hatte es anders erwartet – Die Linke mit ihrem alten Lied »nur der Russe hat immer Schuld«. Da kann der Ami aus seinen Geheimdienstarchiven holen, was er will!
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (3. März 2025 um 09:57 Uhr)
    » … Die merken jetzt ebenso wie Selenskij, in welchem Maße man sich auf Zusagen der USA verlassen kann – im Zweifelsfall eben gar nicht« – Das ist keine neue Erkenntnis. Man erinnert sich noch an seine Zusage aus dem Wahlkampf, den Ukraine-Krieg »binnen 24 Stunden« zu beenden. Inzwischen verspricht er ein Kriegsende »in wenigen Monaten« und verbucht selbst das noch als großen Erfolg für sich! – In diesem Sinne sollte sich W. Putin nicht zu sehr freuen, dass Trump plötzlich zu fast 100 Prozent auf Putins Linie eingeschwenkt ist. Das kann sich ebenso plötzlich wieder ändern, wenn sich die Situation ändert. Es sei denn, dahinter steckt ein »Deal« zwischen beiden. Dann wäre zu fragen, was hat Putin als Gegenleistung geboten? Irgendwann werden es pfiffige Journalisten herausfinden!
  • Leserbrief von Steffen Weise aus Berlin (2. März 2025 um 23:55 Uhr)
    Früher, also vor dem Showdown Selenskijs im Weißen Haus, waren die imperialistischen Politkasper aller Couleur verrückt danach, vom sog. »mächtigsten Mann« der Welt im Weißen Haus empfangen zu werden. Dadurch bekamen sie geradezu zusätzliche Macht geimpft. Dieser Drang danach, dort empfangen zu werden, wird nun sehr drastisch nachlassen. Es ist geradezu wie im Comic, wie Trump sich an Russland ranschmeißt. Diese neu entdeckte Sympathie des US-Imperialismus ist vergiftet! Ob Russland nicht doch ganz oder zumindest teilweise darauf hereinfällt, bin ich mir so sicher noch nicht. Auch die Gebärden Russlands in diesem Schauspiel empfinde ich als teils lächerlich. Trump will einen Keil zwischen Russland und China treiben, er will China sturmreif schießen. Meine Solidarität gilt uneingeschränkt den Völkern der Volksrepublik China und der Russischen Föderation, nicht zuletzt aber auch der Kommunistischen Partei Chinas, die Trump ganz zentral im Visier hat. Bei allem Kasperletheater, das sie uns vorspielen, dürfen wir nie vergessen, dass es das Ziel des US-Imperialismus ist, die VR China von der Landkarte zu streichen, die KPCh zu vernichten, jede einzelne Genossin und jeden einzelnen Genossen werden sie bis ans Ende der Welt verfolgen und massakrieren. Deshalb: »Hoch lebe die internationale Solidarität!«
  • Leserbrief von W. Franke aus Leipzig (2. März 2025 um 22:05 Uhr)
    Trump und Vance sind nun wirklich keine Leisetreter, aber ich habe dennoch eine andere Wahrnehmung von der Szenerie als im Artikel beschrieben. Dass sie jede Maske und Verbrämung fallen lassen und das durchsetzen wollen, was sie für die Interessen der USA halten, ist richtig – aber nicht erst bei oder seit diesem sensationellen Schlagabtausch. Ich kann mich tatsächlich des Eindrucks nicht entziehen, dass die Provokation von Selenskij ausging. Das Gespräch kippte in dem Moment, als dieser zu Vance sagte: »Darf ich sie etwas fragen« und danach die Position der Trump-Administration öffentlich hinterfragte bzw. den Sinn von Verhandlungen mit Russland in Zweifel zog. Kann man natürlich machen – in einem Gespräch hinter verschlossenen Türen! Aber live vor den Kameras? Was hat er damit bezweckt? Es musste ihm klar sein, dass die beiden das nicht würden auf sich sitzen lassen. Auch im weiteren Verlauf hätte er meiner Meinung nach mehrfach die Gelegenheit gehabt, die Eskalation des Gesprächs zu verhindern, ohne dass er das Gesicht verloren hätte. Selenskij ist doch auch ein wahrer Medienprofi und er ist immerhin ein »echter« Schauspieler! Hat er sich nicht beherrschen können? Das würde seine persönliche Qualifikation in Frage stellen. Hat er die Eskalation in Kauf genommen oder gar absichtlich herbeigeführt? Dann stellt sich die Frage: Warum? Wollte er womöglich den Vertrag über die jahrzehntelange Ausbeutung der Ukraine gar nicht unterschreiben? Dann hätte er sein Ziel erreicht – und seine europäischen Verbündeten gleichzeitig davon überzeugt, den »Schwarzen Peter« bei Trump und Co. zu suchen. Irgendwie passt mir die Geschichte vom bemitleidenswerten Präsidenten eines grundlos überfallenen friedliebenden Landes, der vom bösen Trump erniedrigt wird, zu gut in den Kram der Kriegsgewinnler in Europa. Und hat Trump nicht ausnahmsweise ein bisschen recht, wenn er sagt, Selenskij spielt mit dem dritten Weltkrieg?
  • Leserbrief von abcnix (2. März 2025 um 20:59 Uhr)
    Natürlich kann man da verschiedener Meinung sein. Trump ist nun mal ein knallharter Geschäftsmann. Ja sicher will er mit Putin sein Geschäft machen. Und da stört jeder, der dazwischenfunkt. Ob da nun Selensky der Waisenknabe ist, wage ich zu bezweifeln. Wer seine Menschen in einen Krieg treibt, der nicht zu gewinnen ist, dem ist auch nicht zu helfen. Und wenn er denkt, er kann zwei Atommächte aufeinanderhetzen, dann ist er im Irrtum. Ich wünsche dem ukrainischen und russischen Volk eine Zukunft ohne sinnloses Sterben für die Waffenindustrie. Denn wie hat schon John Lennon gesungen: Give Peace a Chance.

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