Europas Blütenträume
Von Jörg Kronauer
An großspurigen Plänen hat es in (EU-)Europa nur selten gefehlt. Einer besteht seit langem darin, den eigenen Aufstieg in der Weltpolitik so energisch voranzutreiben, dass man letzten Endes »auf Augenhöhe« mit den Vereinigten Staaten, der führenden Weltmacht, gelangt. Für Nationalfeiertagsreden und für das eigene Selbstgefühl, das in »Europa« seit vielen Jahren weit oberhalb der realen eigenen Lage schwebt, gab dieser Plan immer viel her. Realisiert wurde er nie. Man kann mit gutem Grund fragen, ob es sich mit dem Vorhaben ähnlich verhält, einen »europäischen« Waffenstillstands- oder gar Friedensplan für die Ukraine zu entwickeln. Auf dieses Vorhaben haben sich die Teilnehmer des Sondergipfels am Sonntag in London geeinigt. Wird es »Europa« gelingen, sich als hehrer Friedensstifter zu profilieren? Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt und die Notwendigkeit, die gegnerische Kriegspartei zur Zustimmung zu bewegen. Die aber verhandelt nicht mit »Europa«, sondern mit den Vereinigten Staaten, und sie ist militärisch auf dem Vormarsch. Ohne die USA, sollte man meinen, geht da nicht viel.
Davon unabhängig – eines ist neu an dem großspurigen Vorhaben: Es vereint gewiss nicht alle, aber doch zahlreiche Staaten Europas hinter der Führung Frankreichs und Großbritanniens. Beide stimmen ihre Ukraine-Politik seit einiger Zeit eng miteinander ab, beide haben in Aussicht gestellt, zur Friedenssicherung auch Truppen zu entsenden. Auf der Grundlage eines Militärabkommens, das sie 2010 geschlossen haben, haben sie 2011 erst den Libyen-Krieg geführt und anschließend eine binationale Eingreiftruppe aufgebaut. Sie könnten den Kern der »Koalition der Willigen« bilden, auf die sich der Londoner Gipfel geeinigt hat und die eine Einhaltung des Friedensvertrages erzwingen soll. Diesen Vertrag wollen Paris und London gemeinsam entwickeln, eventuell unter Einbeziehung eines oder zweier weiterer Staaten. Natürlich hat sich die Bundesregierung bereits zu Wort gemeldet – und will mitmischen. Dass das Vorhaben nicht unter Führung Berlins angegangen wird, verheißt wegen des deutschen Geltungsdrangs zusätzliches Konfliktpotential.
Dabei verlangt das Vorhaben von den Staaten eine beispiellose Aufrüstung. Denn ganz abgesehen davon, dass die klare Mehrheit von ihnen den Machtkampf gegen Russland fortsetzen und deshalb ihre Streitkräfte stärken will: all die großspurigen »europäischen« Friedenspläne für die Ukraine könnten schon daran zerplatzen, dass niemand in Westeuropa auf die militärischen Kommunikations- und Aufklärungssatelliten der USA verzichten kann. Kein Wunder, dass es in London hieß, man müsse US-Unterstützung erbitten. Was, wenn Elon Musk kurzerhand »Starlink« abschaltete? Dann hälfe nur der Gang nach Canossa, pardon: nach Washington. Langfristig aber hilft der aufstrebenden Bourgeoisie der Staaten Europas im Kampf um ihren Großmachtstatus nur eines – rüsten, rüsten, rüsten. Man weiß, wer dafür die Zeche zahlt.
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