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Aus: Ausgabe vom 06.03.2025, Seite 7 / Ausland
Peru

Castillo vor Gericht

Peru: Prozessbeginn gegen gestürzten Expräsidenten. Gewaltexzesse von rechter De-facto-Regierung bleiben unaufgearbeitet
Von David Siegmund-Schultze
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Ohne Furcht: Demonstranten protestieren für Castillo am Tag des Prozessbeginns in Lima (4.2.2025)

Über zwei Jahre der politischen Verfolgung finden ihren vorläufigen Höhepunkt. Gegen den ehemaligen peruanischen Präsidenten Pedro Castillo hat am Dienstag die mündliche Verhandlung begonnen. Ohne einen Anwalt betrat er den Gerichtssaal im Barbadillo-Gefängnis, in dem er seit seinem Sturz und der Machtübernahme von Dina Boluarte einsitzt. Castillo wird unter anderem Rebellion und schwerer Amtsmissbrauch vorgeworfen, hierfür fordert die Staatsanwaltschaft 34 Jahre Gefängnis. Die Anklage geht darauf zurück, dass der nach anderthalbjähriger Amtszeit von der rechten Opposition in die Enge gedrängte Castillo im Dezember 2022 versuchte, den Ausnahmezustand auszurufen und das peruanische Parlament aufzulösen. Dies scheiterte, und Castillo wurde verhaftet – seine ehemalige Verbündete Boluarte riss das Amt an sich und stützt sich seitdem auf die rechten Eliten des Landes.

Der erste linke und indigene Präsident Perus war im Juli 2021 angetreten, um die marginalisierten Armen zu vertreten. Er gewann die Stichwahl knapp mit 50,125 Prozent der Stimmen gegen Keiko Fujimori, Tochter des von 1990 bis 2000 autokratisch regierenden Neoliberalen Alberto Fujimori. Seit dem Tag seiner Wahl war der als »kommunistischer Bauerntümpel« diskreditierte Castillo ein Dorn im Auge der Oligarchie des Landes. Die beiden wichtigsten Tageszeitungen El Comercio und La República überhäuften ihn mit Anschuldigungen. Die Comercio-Gruppe gehört der Familie Miró Quesada, die Geschäfte in den Bereichen Tourismus, Bergbau, Immobilien und im Bankwesen macht, 80 Prozent der Printmedien auf sich konzentriert und zu den reichsten des Landes gehört.

Dass die Herrschenden Castillo vehement bekämpften, war keine Überraschung: Er wurde gewählt, um einen verfassungsgebenden Prozess einzuleiten und die 1993 von Fujimori eingeführte Verfassung zu überwinden. Außerdem kündigte er an, Bergbaukonzessionen überprüfen zu wollen, die Pfründe des Extraktivismus gerechter zu verteilen und die Steuerschuld der Großkonzerne einzufordern. Letztlich konnte Castillo keinen seiner 74 Gesetzesvorschläge durch den Kongress bringen. Die Sabotage seiner Präsidentschaft setzte sich in einer Reihe von Amtsenthebungsverfahren fort. Der erste Anlauf erfolgte bereits vier Monate nach Vereidigung und scheiterte deutlich. Im zweiten Versuch hatten sich bereits mehr Abgeordnete gegen ihn ausgesprochen, doch er blieb, wenn auch deutlich angeschlagen, im Amt. Dabei begang Castillo immer mehr Fehler: Während seiner kurzen Amtszeit berief er 78 Minister neu und holte auch rechte Oppositionelle in die Regierung.

Als die Korruptionsvorwürfe immer lauter wurden und das dritte Amtsenthebungsverfahren bevorstand, suchte er mit dem Ausrufen des Notstands und der Auflösung des Kongresses im Dezember 2022 zum ersten Mal die Offensive, um seine Reformvorhaben endlich umsetzen zu können. Da dieser Vorstoß dem verfassungsmäßigen Prozess widersprach, bot sich seinen Gegnern die Möglichkeit, Castillo zu verhaften. Nachdem sich Boluarte im Anschluss an die Macht gehievt hatte, brachen in den ländlichen Landesteilen Proteste in Solidarität mit Castillo aus, die die neue Machthaberin brutal niederschlagen ließ. Ein im April 2023 veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch kam zu dem Ergebnis, dass Militär und Polizei für außergerichtliche Hinrichtungen verantwortlich waren. Ein Bericht von Amnesty International vom Februar 2023 spricht darüber hinaus von Folter und Misshandlungen sowie von der Kriminalisierung sozialer Proteste. Laut dem Bericht wurden 49 Demonstrierende und Unbeteiligte, darunter acht Minderjährige, getötet.

Boluarte klammert sich seitdem an die Macht – obwohl sie nie von der peruanischen Bevölkerung gewählt wurde –, und die Gewaltexzesse wurden nicht juristisch aufgearbeitet. Statt dessen sieht sich Castillo nun mit einem offensichtlich politisch motivierten Verfahren konfrontiert. Im Gerichtssaal erklärte er, sich »dieser Farce nicht unterwerfen« zu wollen, und prangerte die Rechtswidrigkeit des Prozesses an.

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