»Jemand muss sterben. Das ist nun mal so«
Von Stefan Wimmer
Ihre Horrortrilogie über das österreichische Dorf Eisenhagel führt in eine hermetisch abgeschlossene Alptraumwelt. Ein vordergründig gemütlicher Weiler namens Eisenhagel, in dem der Horror lauert – was war Ihre Inspiration?
Als Idee dahinter steht, dass in einem Dorf oder einer Gemeinschaft die Entscheidungen immer schon gefallen sind, bevor das Individuum und die handelnden Personen des Romans frei denken können – und trotzdem versuchen sie, aufrecht vorwärtszugehen. Für das Dorf-Setting war sicher auch David Lynchs »Twin Peaks« oder die Frühwerke von Stephen King eine Inspiration. Auffallend stark finde ich auch die »Fünf Freunde«-Romane der Enid Blyton aus den 1970er Jahren. Das sind so die Kindheitsprägungen, die da mitspielen. Blyton hat es perfekt gekonnt.
Haben Sie die Eisenhagel-Trilogie alleine erdacht?
Ja, aber ich habe zwei dramaturgische Berater: Gernot Sick, ehemaliger österreichischer Fußballnationalspieler und Netflix-Profi, er steht auf gewisse Härten. Dazu meine Tochter Clarissa Berner. Sie ist das Update, damit mein Zeug auch die Generation 20plus interessiert. Gernot und Clarissa bekommen meine Exposés und beraten mich. Am Ende des Tages stehe ich vor dem weißen Screen und lege los! POWER! GRRRRR!
Gibt es den Ort Eisenhagel wirklich?
Nein! (lacht) Nur in meinem Kopf. Und der ist krank genug, ha, ha! Grundsätzlich liebe ich ehemalige Bergwerksgegenden, die sich noch nicht ganz aufgegeben haben. Strukturell könnte die Eisenhagel-Trilogie auch irgendwo im Pott spielen. Wichtig ist: die Gegenwehr der Bewohner. Sie muss immer sein, sie beflügelt den Roman.
In Ihren Büchern gibt es die Krampusse, heidnische Dämonen des Alpenraums. Was hat es mit diesen auf sich?
Die Krampusse sind die Antithese zum Nikolo. Sie kommen, wenn Kinder bestraft werden sollen. Bei mir stammen die Krampussrabauken freilich aus Hangbluten, einer geheimen Stadt im Bergmassiv des Eisenhaglers, des Hausbergs von Eisenhagel, und von Hangbluten aus wollen sie das Dorf Eisenhagel einnehmen. Nicht nur das: Mit ihren Hörnern, den langen Zungen und Kutten repräsentieren die Krampusse natürlich auch das Phallische. Und siehe da, meine Protagonistin Jenny muss schlussendlich nach Hangbluten, um einen Waffenstillstand zu verhandeln – und hat dort unerwartet mächtig Spaß!
Das Thema Krampuslauf hat mit seinen Bestrafungsritualen ja fast eine Sadomasokonnotation. Eine meiner Lieblingsschlagzeilen lautete übrigens: »Krampus knüppelte Kinder krankenhausreif«.
Heute könnte man den Slogan umändern in: »Kinder knüppeln Krampusse krankenhausreif.« Immer mehr Jugendliche stehen auf einen Fight mit den Krampussen.
Die Bewohner von Eisenhagel sind Durchschnittsmenschen, von denen jeder ein schmutziges Geheimnis hat. Schreiben Sie »Prekariatsromane«?
»Prekariatsroman« klingt lustig (lacht). Aber »Durchschnittsmensch« trifft es gut. Letztens sagte mir eine Marktverkäuferin, dass sie meine Romane liest – das hat mich sehr gefreut. Ich glaube, die Eisenhagler wissen in ihrem Innersten, dass sie gegen etwas kämpfen müssen, deshalb sind sie auf der Welt, und ich spiele auch gerne mit dem Konzept der Schuld, die sich in jeder Figur anreichert.
Es wird viel und schnell gestorben, genüsslich inszeniert. Gibt es da eine Gesetzmäßigkeit?
Am schnellsten stirbt der, der Schwächen zeigt. Natürlich haben die Krampusse auch große Lust, sich die Stärksten aufzuheben. Als ich den ersten Eisenhagel-Teil »Der Krampuslauf« Korrektur gelesen habe, hat mich das auf die Idee gebracht, die Fortsetzung zu schreiben. Weil aus den Charakteren noch mehr rauszuholen war, und ich plötzlich unglaubliche Lust bekam, einen Hauptdarsteller nach dem anderen den Krampussen zum Fraß vorzuwerfen! Mir macht es Spaß, das Sterben zu beschreiben, manchmal auch etwas ausführlicher. Jemand muss sterben. Das ist nun mal so. Das ist auch in Shakespeares »Macbeth« nicht anders (lacht).
Liegt darin nicht auch eine typisch österreichische, augenzwinkernde Morbidität?
Ja, darin sind wir Weltmeister, »Wödmasta«, sozusagen. Wien ist für mich die perfekte Stadt für Halbtote. Man geht auch gerne auf den Zentralfriedhof zum Spazieren. Ursprünglich hätte Bram Stoker seinen »Dracula« fast in einem Schloss in der Südsteiermark spielen lassen, das wundert mich gar nicht. Aber dann haben wir es wieder verschissen, wundert mich auch nicht. Und immer sind wir mit einem Augenzwinkern dabei.
Ihr Schreibstil ist ökonomisch, kalt, fast schon sezierend. Dichte, kurze Sätze, meist im Präsens, in das die Vergangenheit ständig »hineindroht«. Alles ist in ein alptraumhaft glitzerndes Licht getaucht. Wie erzeugt man solche Gänsehauteffekte?
Ich mag James Ellroy oder Don Winslow. Ein Impuls war sicher auch die Drehbuchwerkstatt in der Filmhochschule München, die ich vom Land Steiermark aus besuchen durfte. Im Film geht immer alles sehr schnell zur Sache, das gefällt mir. Die Bilder laufen vor mir ab, wenn ich schreibe. Eine Szene beginnt normal, und sehr schnell kommt dieser kalte Wind. Gerade für die erste Szene im dritten Band habe ich einige Tage mehr als gewohnt gebraucht, weil ich explizit diese Stimmung herausholen wollte. In dem Zusammenhang fällt mir auch Steven Spielbergs »Der weiße Hai« ein. Als ich den Film mit zwölf Jahren das erste Mal gesehen habe, hatte ich einen Sommer lang Schiss, ins Meer zu gehen, weil ich mich vor Angst sonst angepinkelt hätte. Also habe ich lieber Spielautomaten gespielt und mit jungen Italienerinnen geflirtet.
Der österreichische Schauspieler Gregor Seberg meinte mal zu Ihren Romanen, dass er auch etwas von dem Zeug haben will, das Sie offenbar beim Schreiben konsumieren.
Ha, ha, ha! Als Jugendlicher hatte ich eine beeindruckende Liste mit nicht ganz legalen Präparaten – einmal musste ich sogar bei der Kripo vorsprechen. Aber das ist »Schnee« von vorgestern. Heutzutage rauche ich nicht mal mehr, gehe joggen – da kommen auch gute Ideen –, und trinke gerne das eine oder andere Glas Wein beim Schreiben. Nach dem dritten Glas muss man sich halt fragen, wohin der Abend gehen soll – wie immer im Leben. Meine Romanheldin Jenny hat die Zahl drei ja sehr gerne, auch in ihren emotionalen Präferenzen. Ist ja nicht so, dass diese Ideen von irgendwoher kommen.
Was war die bemerkenswerteste Begebenheit, die Sie beim Schreiben hatten?
Dass ich von den Charakteren geträumt habe: Ich war voll unterwegs in Eisenhagel, bin schweißgebadet aufgewacht und wusste im ersten Moment nicht: Ist Eisenhagel Wirklichkeit oder nur »meine Welt«.
Kommt noch ein vierter Teil?
Drei ist eine gute Zahl. Jetzt muss mal Schluss sein. Der dritte Teil wird durch die Bank von den Leserinnen und Lesern sehr gut aufgenommen, aber wenn es einem am besten geht, soll man bekanntlich den Schnitt ansetzen.
Seit der Österreicher Martin G. Wanko, Jahrgang 1970, mit verschlissenen Jeans und kaputter Ray Ban die Schule ohne Abitur verließ, war ihm klar, dass das mit dem »normalen« Leben nichts mehr wird. Er verlegte sich daher aufs Schreiben, verfasste sechs Romane, eine sechsteilige Theater-Sitcom über Graz und 20 Theaterstücke (in deren einem er Arnold Schwarzenegger abknallt). Wanko fühlt sich dem urösterreichischen Autor Johann Nestroy verbunden, hat aber auch schon mit der Schriftstellerlegende Wolfgang Bauer Biere getrunken. Er lebt in Graz, privat braust er gerne mit seiner knallroten Vespa an die Adria, um dort etwas zu essen, oder schaut sich Spiele seines Fußballvereins GAK 1902 an.
Martin G. Wanko: Eisenhagel. Der Krampuslauf. Ein Steiermark-Krimi. Edition Keiper, Graz 2020, 250 Seiten, 19,45 Euro
Eisenhagel 2. Die Krah. Ein Steiermark-Krimi. Edition Keiper, Graz 2022, 352 Seiten, 21,40 Euro
Eisenhagel. Aus jetzt! Ein Steiermark-Krimi. Edition Keiper, Graz 2024, 240 Seiten, 21,40 Euro
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