30.000 Garagen. Ein Jahr Kulturhauptstadt Chemnitz
Von Thomas Behlert
Manch Kulturbegeisterter hat sich den Besuch in der Kulturhauptstadt leichter vorgestellt. Kommt er aus dem Elbsandsteingebirge oder gar aus Nachbarländern nach Chemnitz, muss er viel Geduld und Spucke mitbringen, da die Elbbrücke in Bad Schandau für lange Zeit gesperrt ist und die Behelfsbrücke frühestens 2026 fertig wird. So fahren nicht nur die Busse über die Gemeinden Rathmannsdorf, Porschdorf, Waltersdorf und Ziegenrück, sondern praktisch jeder mit Pkw, der weiter ins belebtere Sachsenland möchte. Aufgebrachte Einwohner, die sich nicht an solchen Verkehr erinnern können, haben Angst um ihre schmale Staatsstraße S 163, die als Hauptumleitung angesehen wird. Außerdem ist in der Stadt mit dem Nischel die Brücke an der Reichsstraße (sic!) gesperrt. So kann man vom Kaßberg schlecht in die Innenstadt gelangen, da auch die gesperrte Gerichtstreppe umgangen werden muss. Nicht vergessen dürfen wir die Carolabrücke in Dresden, die nun auch zu manch gewagtem Umweg einlädt.
Schließlich kämpft auch die Bahn mit ihren Brücken und Bahnhöfen gegen die Kulturhauptstadt, denn da fahren entweder die Züge unregelmäßig oder die Fahrstühle auf den Bahnsteigen sind für einige Tage defekt. Ganz besonders spannend wurde es vor einigen Tagen, als ein Lkw eine Brücke rammte, über die die Bahnstrecke Leipzig–Chemnitz führt. So war auch hier himmlische Ruhe, denn es fuhr kein Zug, bis die Brücke fachgerecht untersucht und wieder freigegeben wurde. Verpasst hat man in Chemnitz allerdings noch nichts, denn die großen Veranstaltungen finden erst in der wärmeren Jahreszeit statt.
Extra für das Festival wurde die Küchwaldwiese, die zu DDR-Zeiten von der FDJ und der Tageszeitung Freie Presse als Festival- und Pressefestort genutzt wurde, wieder hergerichtet. Hier durfte ich unter anderem bei strömendem Regen einst ein herrliches Konzert von Bruce Cockburn erleben. Wer es nun doch nach Chemnitz schaffen sollte, der wird sich bestimmt das auf allen Wellen und Kanälen beworbene Projekt »3.000 Garagen« anschauen. Dabei geht es um die Garagen, die in der Nähe von Neubausiedlungen stehen, die typische DDR-Bauweise symbolisieren und von den Chemnitzern bis heute rege genutzt werden. Insgesamt stehen in der ehemaligen sächsischen Industriestadt mehr als 30.000 Garagen, von denen einige vom 6. bis 8. Juni ihre Tore öffnen. Die meist in Eigenleistung gebauten Garagen, die aus unverwundbarem Beton oder aus Wellblech bestehen, sind drei Meter mal sechs Meter mal 2,80 Meter groß und mittlerweile für SUVs zu klein oder vom gebauten Eigenheim zu weit entfernt. Viele Einwohner nutzen die Garagen nun als Abstell- oder Partyraum, schrauben dort an ihren Mopeds herum oder verwenden sie als DDR-Museum. Im Juni zeigt man nun gehortete Schätze, lädt zum Verweilen ein und erinnert sich bei Getränken und Musik an die alte Zeit, als jeden Sonnabend ganz stolz der Trabant gewaschen wurde und man mit dem Garagennachbarn laberte, Ersatzteile tauschte und auf die Mangelwirtschaft schimpfte.
Bei den Konzerten haben sich die Kulturhauptstadtverantwortlichen nicht gerade in die alternative Ecke gewagt. Sie nahmen lieber »Bewährtes« und ziemlich »Abgehangenes« wie André Rieu (14.5., Messe), die Amigos (25.5., Stadthalle), Karat (6.6., Wasserschloss Klaffenbach) und Suzi Quatro (7.6., ebenda). Weiter geht es unter anderem mit Gestört aber Geil, BAP und Sido. Doch dazu später mehr.
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