Kurs auf das Gemetzel
Von Jörg Kronauer
Die Zahl erschlägt. 800 Milliarden Euro will die EU in die Auf-, ach was: in die Hochrüstung des Kontinents investieren; das ist erheblich mehr als das Eineinhalbfache des gesamten aktuellen Bundeshaushalts, die Ausgaben für Renten, Soziales, Bildung, Infrastruktur, Gesundheit und alles weitere inklusive. Für die kommenden Jahre gibt es – das ist nun klar – nur eine einzige Priorität: den Krieg finanzieren, der zur Zeit in der Ukraine geführt wird, und zugleich den nächsten vorbereiten, den ganz großen Krieg. Vielleicht wäre es den Staats- und Regierungschefs tatsächlich lieber, wenn gelänge, was der polnische Ministerpräsident Donald Tusk am Rande des EU-Gipfels am Donnerstag in Brüssel als bevorzugtes Ziel genannt hat: den Rüstungswettlauf so stark zu eskalieren, dass Russland nicht mehr mithalten kann, dass es sich totrüstet wie einst die Sowjetunion. Doch auch wenn dem so wäre – das ist egal. Denn wer Billionen in Waffen steckt – die 800 Milliarden kommen ja zu den längst schon erdrückenden Militäretats hinzu –, nimmt mit Höchsttempo Kurs auf das Gemetzel, auf das Abschlachten, den millionenfachen Tod.
Damit wäre die Orientierung der europäischen Bourgeoisie hinlänglich benannt, die sich einst, ihrer lange Zeit mächtigen Position in der Welt allzu gewiss, zynisch »Friedensmacht« nannte, die nun aber, nicht bereit, ihren langsamen Abstieg zu akzeptieren, ihren wahren Charakter offenbart. Man sollte dennoch, aller irren Gefährlichkeit der Situation zum Trotz, nicht erstarren. Zum einen besteht, wenn die Herrschaft den Krieg mutwillig in Kauf nimmt, die einzige Chance auf ein erträgliches Leben darin, sich querzustellen. Zum anderen steht die scheinbare Allmacht der europäischen Kriegstreiber womöglich auf tönernen Füßen. Dass die EU nicht schon längst in dem Maße hochgerüstet ist, wie sie es jetzt werden will, das hat Gründe. Einer von ihnen besteht darin, dass die nationalen Bourgeoisien stets eifersüchtig darum kämpften, gegenüber der Konkurrenz im Nachbarland die Nase vorn zu haben, und sich gegenseitig blockierten. Kann man sich vorstellen, dass Berlin sich einem von Paris kontrollierten Nuklearschirm unterstellt wie aktuell der atomaren Schutzmacht USA? Kann man sich vorstellen, dass Frankreich die alleinige Verfügungsgewalt über die Bombe teilt? Zweimal: nein.
In der EU steht die Herrschaft in ihrer Hochrüstungstollwut sogar vor mehr Problemen, als ihr lieb sein kann. Nicht das Geringste unter ihnen ist, dass den Großteil der 800 Milliarden Euro die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene in Form von Schulden aufbringen sollen. Einige sind aber schon so stark verschuldet, dass sie ohnehin darauf achten müssen, nicht in eine Schuldenkrise abzustürzen – Italien etwa, das sich bereits sorgt, wenn es neue Rüstungskredite aufnehme, könnten diese das Fass zum Überlaufen bringen. Andere sind in einer ähnlichen Lage. Dass die EU Russland totrüstet und nicht sich selbst, ist noch lange nicht gesagt.
Siehe auch
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Philipp Schulze/dpa08.03.2025
»Die dringlichste Aufgabe ist der Protest dagegen«
- Virginia Mayo/AP/dpa05.03.2025
EU-Aufrüstungsplan ist ein Irrweg
- Mike Schmidt/imago24.02.2025
Leitung von »Unkürzbar«-Demo ging gegen palästinasolidarischen Block vor