Lugners Sargnagel
Von Eileen Heerdegen
Da gibt es diese tragikomische Geschichte vom aufstrebenden Jungautoren humoristischer Literatur, der gleich bei seiner ersten Lesung in einen unverhofften Glückstaumel gerät ob des so viel und herzlich, offen und begeistert lachenden Besuchers, später aber bei Veranstaltungen von Kollegen feststellen muss, dass genau dieser Mann immer und überall lacht, auch bei den langweiligsten, gar tragischen Szenen, und der daraufhin in tiefe Traurigkeit verfällt und nie wieder ein Buch veröffentlicht.
Genau diese, also nicht die depressiv Gescheiterten, sondern die verantwortungslosen Immergröhler sitzen in der Regel in jeder Vorstellung genau neben, vor oder hinter mir. Egal, ob Burg oder Gemeindebau, so wie im Theater im Rabenhof, Wien, zur Premiere von Stefanie Sargnagels »Opernball – Walzer, Wein und Wohlstandsbauch«. Vier lebende Blumensäulen (Kostüm: Miriam Draxl), Laura Hermann, Martina Spitzer, Skye MacDonald und Jakob Gühring, entern die Bühne, den Lachflashern entgeht der beste Text des Abends.
Tatsächlich lustig
»Federn, Pelze, Edelsteine, Knochen. Höcker wippen im Wind der Innenstadt. Ich stecke fest zwischen festgezurrten Körpern, die gezwängt sind in groteske Fetzen, aus denen das Fleisch quillt. Alles glitzert, reflektiert, blendet und Stöckel klopfen laut wie die Hufe einer Herde. Die Menge ist eingezäunt von einem Gatter wie Vieh bei Auktionen. Mief steigt aus den Fettfalten, brennt in der Nase. Speichel spritzt durchs Laternenlicht. Bussi Bussi. Bussi Bussi.«
Ein bisserl ganz frühe Jelinek, leider wird die Qualität nicht konsequent durchgehalten. Macht nix, die Beschreibungen sind treffend, manchmal etwas naheliegend, aber tatsächlich lustig. Die vier Schauspieler meistern die Textflut mit Bravour. Sie teilen sich eine Icherzählerin, die früher als Enfant Terrible gehandelte Stefanie Sprengnagel aka Sargnagel, die im Auftrag des Rabenhof-Theaters, gesponsert aus dem Topf des Wiener Johann-Strauss-Jahres, als Chronistin des Grauens zum berühmten Wiener Opernball entsandt worden war.
»WIR KÖNNEN UNS DIE REICHEN NICHT MEHR LEISTEN, schreien sie, aber für echte Eskalation ist der Hass nicht groß genug. Früher wollten sie den Gästen am liebsten die Champagnerflöten durch die Gurgel stoßen, heute ist eine gewisse Trägheit zu spüren.« Während die Schauspieler premierenbedingt noch ein bisschen ihren Weg zwischen den so gescholtenen wenigen Demonstranten und der Polizei, den »Kiberern, die sich Sadismus für subtile Situationen aufsparen«, finden müssen, springt endlich Saló ins Rampenlicht. Saló – der Grazer Andreas Binder und Band – sorgen mit lautem 80er-NDW-Punk für gelungenen anarchischen Spaß: »Ich will so sein wie Erwin Wurm.«
»Der is wer, sage ich zur Kellnerin, die gerade ein Brillantarmband einsteckte. Den kenn’ ich von der Kunst. Seine Frau gibt gerade ein Interview, sie hat ihre gesamte Karriere aufgegeben und kümmert sich nun ausschließlich um das Projekt Erwin. Frau Wurm war einst selbständige Fotografin, jetzt fotografiert sie nur noch Erwin. Keine Fotos, herrscht er eine Bewunderin an. Nur meine Frau darf das. Sie frischt sein Make-up auf, dann flüstert er, dass er ›A-A‹ muss, und sie verschwinden gemeinsam auf der Toilette.«
Opulent und bunt
Es war nicht Sargnagels erster Besuch des Opernballs, »restfett und gelangweilt« vertrat sie vor langer Zeit dort ein Szenemagazin, »ein U-Boot, ein Alien«: »Man denkt, das Lumpige, das Arme, das Versiffte dünstet von innen aus einem heraus. Man denkt, das Lumpige drückt sich in der Körpersprache aus.« Dass sie diesmal eingeladen wurde, erkannt wird, sogar von Prominenten erkannt wird, gefällt ihr deutlich, verstellt aber keineswegs ihren Blick für die besonderen Grauslichkeiten der Hautevolee.
Regisseurin Christina Tscharyiski, die mit Rabenhof-Dramaturg Fabian Pfleger auch die Bühnenfassung schrieb, inszeniert den Sargnagel-Text opulent und bunt (Bühnenbild Dominique Wiesbauer) als wirklich großen Spaß.
»Der Künstler ist der einzige Lump, der unverstellt die Klasse wechseln darf.« Richard Lugner, godfather of Vienna Opernball, der »Mörtel«, der »Baumeister«, hat allerdings bereits im Sommer 2024 in die Holzklasse des Grinzinger Undergrounds gewechselt, und selbst, hätte frau davon geträumt, es geht nicht mehr, das nächste Hundi, Hörnchen oder Schweinderl in der Riege seiner ca. 100 Exangetrauten zu werden. Und so bleibt Saló der Hit des Abends: »Ich bin Richard Lugners Frau.«
Nächste Vorstellungen: 24.3., 25.3. und 26.3.
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