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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 4 / Inland
Bundeswehr-Bericht

Wenig Personal, viele Faschos

Wehrbeauftragte beklagt Mängel in Ausstattung und Personal der Bundeswehr. Mehr Suizide und rechte Vorfälle
Von Max Grigutsch
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Eiserne Disziplin und völkische Gesinnung sind verbreitet in der Bundeswehr (Volkach, 1.10.2024)

»Die Lage ist ernst.« Mit dieser Vorrede begann die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), am Dienstag ihr Referat zum Jahresbericht 2024 vor der blauen Wand im Saal der Bundespressekonferenz. »Unsere Freiheit, unser Frieden, unsere Demokratie« seien global gefährdet, so Högl mit Blick auf die Kriege in der Ukraine, in Nahost und auf den Kurs der USA. Eine »vollständig einsatzbereite Bundeswehr« sei »wichtiger denn je«. Trotz der von Nochbundeskanzler Olaf Scholz proklamierten »Zeitenwende« und dem 100-Milliarden-»Sondervermögen« der Ampelkoalition im Jahr 2022 mangelt es laut Höge noch immer an allem – ein diskursiver Dauerbrenner.

Im Bereich Infrastruktur gebe es einen Investitionsbedarf von 67 Milliarden Euro. Auch an Großgerät und Ersatzteilen fehle es. Engpässe seien aber besonders im Personal zu verzeichnen. Einem selbstgesteckten Ziel von 203.000 Soldaten bis 2031 sei man im vergangenen Jahr kein Stück näher gekommen. Ende 2024 seien 181.174 aktive Soldaten im Dienst gewesen, 340 weniger als im Vorjahr. »Die Bundeswehr schrumpft und wird älter«, beanstandete Högl. Genügend Personal sei der »Schlüssel« für »glaubhafte Abschreckung« und »wirksame Verteidigung«. Außerdem gebe es eine Verschiebung in der Ausrichtung des deutschen Militärs, die im Angesicht der Weltlage »nun wieder eine Verteidigungsarmee« werde, heißt es im Bericht.

Die Rhetorik schließt nahtlos an die öffentliche Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht an. Das Signal: »In naher Zukunft wird es irgendeine Form von neuem Wehrdienst geben«, prophezeit Högl in ihrem Papier. Auf Nachfrage kommentierte sie allerdings am Dienstag, dass sie die Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht für keine gute Idee halte. »Das würde die Bundeswehr überfordern«, da es an Stuben, Ausrüstung und Ausbildern fehle. Der Wiederaufbau einer Wehrerfassung sei zunächst gefragt, etwa auch von Frauen, die nach wie vor nicht in Massen in den Wehrdienst strömen. Im Heer dienten 2024 7,7 Prozent Frauen, verglichen mit 7,57 im Jahr zuvor.

Um an mehr Personal zu kommen, wurden mehr Minderjährige als im Vorjahr rekrutiert. 2.203 17jährige verpflichteten sich im Berichtsjahr. Das ist mehr als jeder zehnte Rekrut und 207 mehr als 2023. Allerdings brach ungefähr jeder Fünfte den Dienst innerhalb der ersten sechs Monate wieder ab. Kreative Methoden der Nachwuchsgewinnung kommentierte Högl ebenfalls auf der Pressekonferenz. Bei einer Pflicht zur Reservedienstleistung für Beschäftigte im öffentlichen Dienst sei sie zwar »zurückhaltend«, über Anreize müsse man aber diskutieren. Dem Vorschlag, Anreize zum Wehrdiensteintritt auch für Nichtdeutsche zu schaffen – etwa dadurch, dass die deutsche Staatsangehörigkeit auf diesem Wege zu erhalten wäre –, verschließe sich die Wehrbeauftragte »überhaupt nicht«.

Der Nachwuchsmangel liegt wohl darin begründet, dass neben der Weltlage auch die Situation innerhalb der Bundeswehr »ernst« ist. Von 18.810 im Jahr 2023 angetretenen Soldaten haben 5.100 den Dienst inzwischen wieder quittiert – eine Abbruchquote von 27 Prozent. 2024 verzeichnete die Wehrbeauftragte 29 Selbsttötungen (15 im Vorjahr) und 44 Suizidversuche (57 im Vorjahr). Auch sexualisierte Gewalt bleibt ein Problem: Es wurden 48 Fälle von »sexualisiertem Fehlverhalten« und 376 Fälle von »Verdacht auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung« gemeldet.

Markant ist zudem der Anstieg »meldepflichtiger Ereignisse« von »Extremismus«. Insgesamt wurden 275 Ereignisse im Vergleich zu 204 im Vorjahr verbucht, davon überwiegend aus dem »Phänomenbereich Rechtsextremismus«. Der Militärische Abschirmdienst wurde 2024 in 219 Fällen im Bereich »Rechtsextremismus« tätig. Im Bereich »Linksextremismus« kann der Geheimdienst elf Fälle vorweisen. Der Wehrbericht dokumentiert eine große Anzahl faschistischer Vorfälle, vom Zeigen des Hitlergrußes und rassistischen, antisemitischen und queerfeindlichen Parolen bis zur Mitgliedschaft in neonazistischen Organisationen. Dennoch fühlte sich die Wehrbeauftragte in ihrem Bericht zu einer positiven Bilanz beflügelt: »Die Bundeswehr ist eine Institution, welche die demokratischen Werte Deutschlands uneingeschränkt verteidigt.«

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