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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 5 / Inland
Digitalisierung der Jobcenter

Jobcenter-App ist Rohrkrepierer

Papierdokumente statt Digitalisierung: Vom Arbeitsminister hochgelobte Software funktioniert nicht
Von Eike Seidel
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Die digitale »Revolution« bei der Software des Jobcenters erweist sich als peinliche Posse

Die im April 2024 von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) groß angekündigte digitale »Revolution« bei der Software des Jobcenters erweist sich als peinliche Posse – zumindest für diejenigen, die auf Hilfe Dritter bei der Bewältigung des bürokratischen Wusts beim Jobcenters angewiesen sind. Unter anderem gehören Zuwanderer und wenig internetaffine Menschen dazu. Sie konnten bislang durch Vollmacht dritte Personen ermächtigen, die Behördenangelegenheiten für sie zu erledigen. Das geht nun seit Februar 2025 mit der Einführung von »Jobcenter digital« und der »Jobcenter App« nicht mehr. Die Übermittlung von Dokumenten, Formularen, Anfragen etc. per E-Mail wurde eingestellt. Betroffen von der neuen Regelung sind neben zivilgesellschaftlichen Helfern vor allem auch die Sozialarbeiter in den Unterkünften, in denen viele anerkannte Geflüchtete verbleiben müssen, weil sie keinen eigenen Wohnraum finden.

Die einzige Möglichkeit, digital mit dem Amt zu kommunizieren, besteht in der Nutzung der beiden Jobcenter-Anwendungen. Dumm nur, dass Bevollmächtige über einen eigenen Zugang zu dieser Software nicht für die von ihnen vertretenen Kunden des Jobcenters agieren können. Schlimmer noch: Hat sich ein »Kunde« des Jobcenters durch die Anmeldeprozedur für diese Software durchgekämpft, so wird jeder Versuch, Dokumente hochzuladen mit dem Hinweis abgeblockt, er habe ja einen bevollmächtigen Vertreter.

Dass dies so ist, wird vom örtlichen Jobcenter auch bestätigt: Das »Problem ist schon seit längerem adressiert, und wir warten ähnlich dringend wie Sie hier auf eine angemessene Lösung«, heißt es in einer Mitteilung. Technisch sei es aktuell nicht möglich, dass »Leistungsberechtigte mit Vertretern« und »Vertreter selbst über Jobcenter digital handeln können«.

Also heißt es wieder: Ausdrucken, Kopieren und in den Briefkasten der Jobcenter. Dann wird das Ganze per Auto zum zentralen Scandienst des Jobcenters irgendwo in der Republik gefahren, eingescannt und steht nach drei bis vier Werktagen dann in der Anwendung des Jobcenters zur Verfügung anstatt wie bisher am nächsten Tag.

Hubertus Heils Ankündigung der Digitalisierung in Jobcentern klang im April 2024 noch euphorisch. Von der Bürgergeld-App sollten »Millionen Menschen profitieren«. Für die gesamte Arbeits- und Sozialverwaltung war sie vorgesehen, erarbeitet neben dem Arbeitsministerium von sieben weiteren Behörden. Laut Heil sei »die neue Strategie ein wichtiger Beitrag, um das Vertrauen der Menschen in den Sozialstaat zu stärken«. Das bei vielen Jobcenter-Klienten ohnehin schon getrübte Vertrauen in die Behörde konnte der digitale Parforceritt jedenfalls bisher nicht wieder aufbauen.

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