Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 8 / Ansichten

Die Verheizer

Europa hintertreibt Waffenstillstand
Von Reinhard Lauterbach
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Sollen für die EU den Kopf hinhalten: Ukrainische Soldaten bei Manöver (Dnipro, 24.2.2025)

Als der russische Auslandsnachrichtendienst SWR am Montag eine Meldung ins Netz stellte mit dem Inhalt, das »perfide Albion« sei bestrebt, den sich anbahnenden russisch-amerikanischen Ausgleich zu sabotieren, musste man das natürlich zunächst einmal mit der gebührenden Skepsis zur Kenntnis nehmen: »Nach dem SWR vorliegenden Informationen« kann man viel behaupten. Nur: Dass es namentlich in Europa eine Partei der Kriegsverlängerer gibt, ist nicht mehr zu bestreiten. Teile des deutschen Staatsapparates gehören offenbar dazu. Für diese Aussage kann man sich auf keinen Geringeren als BND-Chef Bruno Kahl berufen, der am vergangenen Sonnabend dem Staatssender Deutsche Welle ein Interview gab, wonach ein Kriegsende vor dem Ende des laufenden Jahrzehnts nicht wünschenswert sei, weil ein russischer Sieg – den der Fachmann Kahl als in diesem Fall realistisches Szenario voraussetzt – Russland früher zu einer Bedrohung für »Europa« machen könnte. Am Rande bemerkt: Kahl unterstellt damit, dass es die im Moment nicht gibt.

Wundert es da, dass Politiker der staatstragenden Opposition in der Ukraine Alarm schlagen? Wie etwa Julija Timoschenko: »Das hätte ich nie geglaubt, dass jemand sich so offen dazu bekennt, dass die Sicherheit Europas mit dem Leben Hunderttausender Ukrainer bezahlt werden soll.« Willkommen in der Realität, Julija Wolodimiriwna. Und das wollen Sie bisher nicht gewusst haben? Genau deshalb wurde vor elf Jahren der rechte Staatsstreich in Kiew angezettelt und vor drei Jahren der Krieg provoziert und bis heute am Laufen gehalten.

Die westeuropäischen Staaten stehen inzwischen vor einem für sie unangenehmen Dilemma: entweder die »Ausweitung der russischen Einflusszone in Richtung Westen« als Konsequenz ihrer geopolitischen Niederlage hinnehmen – also eingestehen, dass sie sich gigantisch verkalkuliert haben – oder tatsächlich mit dem Leid der Ukrainer und der weiteren Zerstörung von deren Land Zeit kaufen, um einen Krieg gegen Russland vielleicht auch ohne die USA führen zu können. Und das würde dann bedeuten, nicht nur die Geldbeutel ihrer eigenen Bevölkerungen zu plündern, sondern diese auch selbst ganz physisch zu verheizen. Es ist wirklich Zeit, sich das in aller Deutlichkeit klarzumachen: Europäische, auch deutsche Politiker sind offenbar bereit, ihre Länder und Völker in »jenen Zustand, in welchem mit der Eitelkeit der irdischen Dinge, die ansonsten eine moralische Redensart ist, praktisch ernst gemacht wird« (Hegel) zu führen. Solange die sie lassen.

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (12. März 2025 um 02:41 Uhr)
    »....... die «Ausweitung der russischen Einflusszone in Richtung Westen» als Konsequenz ihrer geopolitischen Niederlage hinnehmen«. Diese absehbare Niederlage hätte eine gedeihliche Zusammenarbeit von Lissabon bis Waldiwostok sein können, die Wladimir Putin im Deutschen Bundestag vorschlug. Zuvor hatte Russland den Zerfall der UdSSR und den Verlust des Einflusses dieses Staates verkraftet, hatte seine Einflusszone aus Mittel- und Osteuropa sowie alle seine dortigen Truppen zurückgezogen, hatte außerdem zähneknirschend die wortbrüchige Erweiterung der NATO durch etliche Staaten geschluckt und machte dennoch solche Vorschläge. Die ungerührt fortgesetzte Erweiterung der NATO plus Raketenstationierung in Rumänien und Polen, die Kündigung fast aller Abrüstungsverträge sowie die Hochrüstung der Ukraine zum Feindstaat Russlands durch Militär und Geheimdienste des Westens genügte der NATO immer nicht. An der Börse wird auch bei Hochspannung zu Höchstkursen immer weiter gekauft. Nicht einen einzigen Dollar soll die Gegenseite bekommen. Staaten, denen alle Weltmeere offen stehen wie USA, GB, Frankreich, planten die Vollmitgliedschaft der Ukraine und Georgiens, um im Schwarzen Meer den Sack zu machen zu können. Das Rechtsverständnis des Völkerrechts sieht nun so aus, dass 40 Staaten, zu denen die Ukraine niemals gehörte, dennoch de facto dort Krieg gegen Russland führen dürfen, weil sie die Waffen liefern und nahezu den gesamten Krieg auf ukrainischer Seite finanzieren. Allein könnte es die Ukraine ja nicht. Sie ist pleite. Russland aber, welches nicht möchte, dass es von seinem ehemaligen Territorium (!) aus von einem feindlichen Militärbündnis auch noch durch Raketenstationierung bzw. von Selenskij angekündigte Atomwaffen bedroht wird, begeht Völkerrechtsbruch, wenn es militärisch dagegen kämpft. Russland ist deshalb auch nach Auffassung vieler Linker ein mit den westlichen Staaten gleichzusetzender Aggressor und Imperialist. Es hat abzuwarten und zu dulden.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (11. März 2025 um 21:18 Uhr)
    Die feministische Außenpolitik nicht vergessen: Auch deutsche PolitikerInnen sind offenbar bereit ... praktisch ernst zu machen! Titel also: Die VerheizerInnen.

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