Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 12 / Thema
USA

Die dealorientierte Weltordnung

Kalkulierter Regelbruch. Unter Donald Trump verfolgen die USA eine libertär-konservative Agenda des schrankenlosen Kapitalismus. Zur Ideologie des »Trumpismus«
Von Norbert Wohlfahrt
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»Ich bin euer Krieger, ich bin eure Gerechtigkeit«. Donald Trump, der Krieger des Kapitals (New Orleans, 9.2.2025)

Am 25. September 2015 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen unter dem Titel »Transformation für unsere Welt« eine Resolution, die als Agenda 2030 der regelbasierten Weltordnung eine konkrete Gestalt zu geben versucht. Sie versteht sich als Aktionsplan für den Menschen, den Planeten und den Wohlstand. Ziel ist es, den universellen Frieden in größerer Freiheit zu sichern. Eine alle Staaten umfassende, völkerrechtlich fundamentierte und unter amerikanischer Führung ihren Kapitalismus vorantreibende Weltordnung, das war das Ideal des regelbasierten Globalismus, dem die Trump-Regierung nun ein Ende setzt.

Blickt man heute auf diese Weltordnung, dann kann von dem Ideal einer völkerrechtlich regulierten und gemeinsamen Prinzipien verpflichteten Staatenwelt nicht mehr die Rede sein. Die USA als dominanter Schöpfer und Treiber des globalen Kapitalismus stellen deren Regeln nicht nur in Frage, sie machen auch mit Nachdruck deutlich, dass sie darin einen Angriff auf ihre Souveränität und nationale Sicherheit sehen. Die Zurückweisung der regelbasierten Weltordnung erfolgt dabei auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig: Multilaterale Institutionen und Prozesse werden abgelehnt; völkerrechtliche Erwägungen finden bei der Vorgehensweise in außenpolitischen Entscheidungen keinerlei Berücksichtigung. Nationale Interessen sind in jeder Hinsicht vorrangig vor völkerrechtlichen Prinzipien. Die Souveränität der USA hat in allen Fragen internationaler Konfliktregelungen oberste Priorität, und »die Welt« hat hierzu die notwendigen Zuträgerdienste zu leisten.¹ Mit dem Ausscheren aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, dem INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen, dem Austritt aus UN-Organisationen, dem Rückzug aus dem UN-Menschenrechtsrat, der Zurückweisung jeglicher internationalen Gerichtsbarkeit, der Strafandrohung für eine »amerikafeindliche« Urteilsfällung und anderem mehr verdeutlichen die USA unter der Regierung Trump, dass die Regeln der Weltordnung allein den Maßstäben einer amerikanische Interessen priorisierenden Weltherrschaft dienlich sein sollen.

Deal und Dealer

Dass dieser Anspruch keine übersteigerte Selbstwahrnehmung ist, sondern für die gesamte Staatenwelt den Tatbestand einer ideellen Kriegserklärung bedeutet, dafür sorgt die schiere Wucht der militärischen Gewalt, mit der die USA als Garant der von ihnen geschaffenen regelbasierten Weltordnung ausgestattet sind.

Das Prinzip »America first« bedeutet dabei alles andere als eine Zurückhaltung der Weltmacht Nr. 1 in Fragen globaler Ordnungspolitik. Die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels, die Pläne zur Entvölkerung des Gaza-Gebiets, die Überlegungen zur Aneignung Grönlands, die Inbesitznahme des Panama-Kanals und die Vision, Kanada zum amerikanischen Bundesstaat zu machen, sind nur einige der Hinweise für einen »Globalismus«, der das Prinzip souveräner Staatlichkeit etwas anders definiert.

Wenn auf der Basis der übermächtigen imperialistischen Gewalt der USA deren Präsident den »Deal« als Prinzip seiner Verhandlungs- und Konfliktlösungsprogrammatik bezeichnet, dann reflektiert das nicht etwa die Bauernschläue eines besonders geschickten Verhandlungsführers, sondern wirft eher ein Licht auf die Rücksichtslosigkeit, mit der nationale Interessen künftig (gefragt oder ungefragt) an die Staatenwelt adressiert werden und amerikanisch definierten Aufwand-Ertrags-Rechnungen folgen sollen. Der Begriff des Deals verweist dabei auch darauf, dass strategische Partnerschaften sich daran messen lassen müssen, ob sie im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung für das amerikanische Volk vorteilhaft genug sind. Insofern verweist auch der Ukraine-Deal mit Russland auf weit mehr als den Tatbestand, dass die Kosten der Kriegführung für die USA den europäischen Partnern aufgebürdet werden sollen.

Das Umkrempeln der internationalen Ordnung im Namen von Deals und scheinbarem Pragmatismus lässt einen missionarischen Eifer erkennen, der darauf hinweist, dass hier Überzeugungstäter am Werk sind. Die Unerbittlichkeit, mit der die Trump-Administration bei ihrer Neuordnung der Welt zu Werke geht, verrät eine idealistische und ideologische Motivation, die weit über den Ökonomismus vorteilhafter Deals hinausweist. Auf einige Aspekte dieser ideologischen Programmatik soll im folgenden näher eingegangen werden.

Die letzte Schlacht

Bei der Bekanntgabe seiner Präsidentschaftskandidatur für das Jahr 2024 benutzt Donald Trump den Begriff der »letzten Schlacht«. In dieser Schlacht, so sagte er, »wird entweder der deep state‹ Amerika zerstören oder wir zerstören den deep state‹«, und er fügte hinzu, welche Rolle er hierbei zu spielen gedenkt: »Ich bin euer Krieger, ich bin eure Gerechtigkeit … Für die, denen übel mitgespielt wurde, die betrogen wurden … ich bin eure Vergeltung.«

Aus Sicht Trumps und der Make America ­Great Again (MAGA)-Bewegung befinden sich die USA auf dem direkten Marsch in die Unfreiheit. Verantwortlich hierfür sei ein Staat, der mittels seiner Bürokratie die Bürger gängele und die Freiheit der Person gefährde. Trump wähnt sich als Galionsfigur eines »Kulturkampfes«, dessen Aufgabe in der Rettung der Zukunft der Zivilisation besteht. Gegner im Kulturkampf der MAGA-Bewegung ist ein Programm, dessen freiheitsfeindliche Werte durch den »tiefen Staat« symbolisiert werden: Einwanderung in die Sozialsysteme, Gendern, »Klimahysterie«, Verachtung von Familie und Kirche, Globalisierung der Politik, Geringschätzung des Privateigentums, Steuerbelastung der Bürger usw. Die Kulturkämpfer setzen dem die Auffassung entgegen, dass Freiheit in allen Bereichen das Beste sei. Auf den Trümmern des Staates, so die im Kulturkampf transportierte Vorstellung, soll eine neue Ordnung errichtet werden, die auf der Basis einer durch die Institution von Familie, Kirche und Nation verbürgten »natürlichen Ordnung« die Freiheit realisiert, die den Individuen durch Sozialstaat, Migration, Steuern, Fiatgeld und andere staatlich zugelassene Teufeleien mehr geraubt wird.

Es ist unschwer zu erkennen, welcher materielle Kern diesen Freiheitsbegriff prägt: das Privateigentum und das mit diesem gesetzte Recht, es ohne staatliche Beschränkungen zu vermehren, ist gleichbedeutend mit der Freiheit, die dem einzelnen in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung gegeben ist. Der Trumpismus steht damit in der Tradition eines Rechtspopulismus, der sich libertär-konservativ definiert und eine Programmatik aufnimmt, die in einem Beitrag des Rothbard-Rockwell-Reports mit dem Titel »Right Wing Populism: A Strategy for the Paleo Movement« ausformuliert wurde. Demnach beinhaltet die Strategie des rechten Populismus, die sich in erster Linie gegen den existierenden Staat und seine Eliten richtet, acht Hauptpunkte: Erstens sollen die Steuern radikal gesenkt werden. Zweitens soll der Versorgungsstaat radikal eingestampft werden. Drittens sollen Privilegien für geschützte Minderheiten abgeschafft werden. Viertens sollen die Straßen wieder sicher werden. Fünftens sollen Arme und Landstreicher von den Straßen verschwinden. Sechstens soll die Zentralbank der Vereinigten Staaten, die Federal Reserve, abgeschafft werden. Siebtens soll ein Programm des »America First« umgesetzt werden. Und achtens sollen traditionelle Familienwerte verteidigt werden; der Staat soll sich aus Familienangelegenheiten heraushalten, die Eltern sollen die Kontrolle über die Erziehung der Kinder innehaben.²

Die unbedingte Gültigkeit der Freiheit des Privateigentums schließt das offene Bekenntnis zur gesellschaftlichen Ungleichheit ein und ist zugleich ein Kampfprogramm gegen sozialdemokratische oder sozialistische Auffassungen von sozialer Gerechtigkeit, die aus Sicht der libertären Ideologie nur durch staatlich inszenierte Umverteilung herbeigeführt werden können, die wiederum den Eingriff in die Privateigentumsfreiheit voraussetzen.

Freiheit und Nation

In den ersten Amtstagen hat die Trump-Regierung, wie angekündigt, flächendeckend Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion gestrichen. Es geht dabei um die Wiederherstellung von Werten, die der »natürlichen Ordnung« der Gesellschaft entsprechen und denen Programme der »Wokeness« und des »Gender-Mainstreaming« entgegenstünden. Die »natürliche Ordnung« der Gesellschaft wird durch die Institutionen Familie, Kirche und Nation repräsentiert, die religiös (durch die Bibel) begründet sind und angeblich dem Freiheitswillen des Menschen entsprechen. Die traditionelle Gestalt der Familie, in der Männer und Frauen eine auf Stabilität und Kontinuität angelegte Sozialform konstituieren sollen, sieht der Trumpismus durch den Egalitarismus in den Geschlechterbeziehungen bedroht und wähnt damit eine natürliche soziale Grundlage des Volkes in Gefahr. Die Werte, so die kulturkämpferische Idee, die eine freie, kapitalistische Gesellschaft lebensfähig machen, seien repräsentiert durch Familie und Religion, die die Antipoden zu Nihilismus, Relativismus, Gendern, sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit darstellen. Die natürliche Ordnung der Gesellschaft sei hierarchisch, und diese Hierarchie gilt nicht nur in den Mann-Frau-Beziehungen, sondern auch in der durch die Kirche repräsentierten religiösen Ordnung einer Gesellschaft, die in der Nation als Zusammenschluss eines freiheitsliebenden Volkes ihre schlussendliche Gestalt annimmt. Dieser »natürlichen Ordnung« einer Gesellschaft steht alles als Feind gegenüber, was unter dem Stichwort »Sozialismus« firmiert.

Der im Namen der natürlichen Ordnung der Gesellschaft geführte Kulturkampf identifiziert auf breiter Ebene die Feinde der Freiheit, die mit den Mitteln gesellschaftlicher Umverteilung, staatlicher (etatistischer) Vorschriften und Regelungen und »ideologisch« motivierter Eingriffe in das Privateigentum die Gesellschaft in Richtung Sozialismus zu ändern versuchen:

Der »Fürsorgestaat« (Wohlfahrtsstaat) ist in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel vorgeblich fehlgeleiteter gesellschaftlicher Umverteilung. Die »Party« des Sozialstaats bezahlt der Steuerzahler und als erklärtes Ziel des Sozialstaats wird definiert, die Bürger vom Staat abhängig zu machen. »Der Sozialpolitiker findet immer eine neue Gerechtigkeitslücke, die es noch zu stopfen gilt, weil er ja mit seinem eigenen Wirken stets neue Ungerechtigkeiten auftut«, weiß Alice Weidel. Dem Ausbau des Wohlfahrtsstaats, der »am Ende nur noch die Bürokratien und Klientelgruppen« nährt, die von ihm abhängig sind, müsse daher der Kampf angesagt werden.³ Die Grundüberzeugung, dass staatliche Subventionierung erst die Probleme schafft, die sie zu bekämpfen vorgibt, formuliert der spanische Ökonom Huerta de Soto: »Die Pläne gegen die Armut schaffen mehr Armut. Der einzige Ausweg ist mehr Freiheit.«⁴

Auch der Kampf gegen den Klimawandel ist aus libertärer Sicht ein Paradebeispiel für falschen Staatsinterventionismus. Die Rückabwicklung von Joe Bidens grünem Kurs zählt zu Donald Trumps wichtigsten Wahlversprechen. Die USA müssten zum »günstigsten Energiestandort der Welt« werden. Dazu sollen neue Gas- und Ölgebiete erschlossen und entsprechende Kraftwerke gebaut werden. Gegen den Klimawandel, so die libertäre Überzeugung, dürften keine Maßnahmen ergriffen werden, deren Kosten höher ausfallen als die möglichen Gewinne.

Besonders sichtbar wird der Staatsinterventionismus aus libertärer Sicht beim Thema Migration. Nicht nur, dass der Staat die »Einwanderung in den Fürsorgestaat« duldet und unterstützt, er finanziert damit auch die Kriminalität, für deren Bekämpfung der Staat den Bürgern immer mehr Mittel entzieht. Die dabei gängige Unterscheidung von legaler und illegaler Migration ist für die praktischen Maßnahmen gegen Migration eigentlich unerheblich: Trumps Grenzschutzbeauftragter Tom Homan kündigte an, sofort mit der Fahndung nach illegal Eingewanderten zu beginnen, vor allem nach Straftätern: »Wir werden uns auf die Leute konzentrieren, die die öffentliche Sicherheit gefährden«, so Homan im Fernsehsender CNN. Gleichzeitig machte er klar, dass auch Migranten, die keine Straftaten begangen haben, abgeschoben werden sollen.

Der Kulturkampf gegen die angeblich sozialistischen Etatisten ist zugleich als Korrektur einer jahrzehntelang gewachsenen Herrschaft der Linken über die Gesellschaft zu verstehen. Mit Antidiskriminierungsgesetzen hätten diese versucht, den Bürgern die Kontrolle über den Schutz ihres Eigentums zu entziehen, mit Zentralbanken sei versucht worden, das Drucken von Papiergeld zur immer weiteren Ausdehnung staatlicher Maßnahmen zu beschleunigen und damit die Bürger zu enteignen, und mit einem ausufernden Rechtssystem sei die Idee verfolgt worden, eine gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, die der Idee des Privateigentums als regulierender Kraft einer freien Gesellschaft diametral entgegensteht.

Als Feind markiert sind damit diejenigen, die mit der kulturmarxistischen Idee von Gleichheit und Gerechtigkeit einen »staatlichen Totalitarismus« pflegen, der sich von Traditionen und Institutionen wie Kirche und Familie unabhängig machen will, um die gesamte Gesellschaft zu kontrollieren. Der Trumpismus will dem geknechteten Volk seine Freiheit zurückgeben und dazu ist, wie sollte es anders sein, ganz viel staatliche Gewalt vonnöten. Dies zeigt sich in der Agenda von »America First«, die nicht nur darauf gerichtet ist, die Staatenwelt neu zu ordnen, sondern die dabei gleichzeitig mit der durch den Kulturmarxismus dominierten Werteorientierung der westlichen Welt einen Kampf ausfechten möchte, der dem missionarischen Auftrag der MAGA-Bewegung gerecht wird. Dass ausgerechnet die regelbasierte Weltordnung die Ideen repräsentiert, die der MAGA-Bewegung zuwider sind, ist eine der Paradoxien, die gegenwärtig die Staatenwelt Europas in eine Krise stürzt.

Die geopolitische Mission

Aus europäischer Sicht folgt die Trumpsche Außenpolitik dem Leitbild eines »Basars«. Die westlichen Werte werden dabei mit Füßen getreten und es geht ausschließlich um das Geschäft. Trumps globale Ordnung lässt sich danach wie folgt charakterisieren: »Im Mittelpunkt steht demnach der Eigennutz von Staaten beziehungsweise derer, die an der Staatsspitze stehen und politische mit eigenen wirtschaftlichen Interessen verknüpfen. Internationale Politik sehen sie als Konkurrenz um Ressourcen, bei der das Recht des Stärkeren gilt. Verhandelt wird bevorzugt zwischen einzelnen Staaten, Bündnisse werden höchstens für Deals eingegangen. Bei nächster Gelegenheit handelt man wieder gegeneinander. Die ›regelbasierte Weltordnung‹, völkerrechtliche Normen und Verträge werden dann ins Feld geführt, wenn sie der Durchsetzung eigener Ziele dienen, bilden aber nicht die Basis eigenen Handelns«, fasst Silvia Stöber für die »Tagesschau« zusammen.⁵

Zwar haben die USA auch in der Vergangenheit die völkerrechtlichen Normen und Verträge nur dann respektiert, wenn es ihren Interessen entsprach, aber dass die Deals, um die es ausschließlich gehen soll, ganz ohne missionarischen Auftrag auskommen, entspricht dann doch nicht ganz der Wahrheit. Bei der Münchener Sicherheitskonferenz mochte der US-amerikanische Vizepräsident J. D. Vance zum Erstaunen der Anwesenden gar nicht über Sicherheitspolitik sprechen, ihm ging es um etwas anderes: »Und wissen Sie, eines der Dinge, über die ich heute sprechen wollte, sind natürlich unsere gemeinsamen Werte.« Was ihn am meisten besorge, sei nicht die Bedrohung von außen, sondern die Bedrohung von innen, und Vance meint damit den Rückzug Europas »von einigen seiner grundlegendsten Werte, Werte, die es mit den Vereinigten Staaten von Amerika teilt«. Seine Beispiele: Ein ehemaliger EU-Kommissar habe sich begeistert darüber geäußert, dass die rumänische Regierung die Präsidentschaftswahl annulliert hat; in der Bundesrepublik habe die Polizei Razzien gegen Bürger durchgeführt, die antifeministische Inhalte gepostet haben; in Schweden sei ein christlicher Aktivist verurteilt worden, weil er an Koranverbrennungen teilgenommen hat; in Großbritannien habe die Regierung einen Armeeveteranen angeklagt, weil er 50 Meter von einer Abtreibungsklinik entfernt drei Minuten lang still gebetet hat; überhaupt hätten politische Entscheidungen zur Zulassung von »Masseneinwanderung« geführt, die wiederum terroristische Attentate wie in München zur Folge hätte. Schließlich ging Vance noch auf die deutsche Debatte über die »Brandmauer« ein: Eine solche dürfe es in Demokratien nicht geben, weil gewählte Politiker respektiert werden müssten.

Vance erinnert die versammelte europäische Sicherheitselite daran, worin die Freiheit besteht, die durch die Respektierung demokratischer Ideale, die dem Rechtspopulismus besonders am Herzen liegen, geadelt wird: Erhalt der Familie, Kampf gegen Migration, Feier biblischer Lebensführung und ungehinderte Verbreitung der Botschaft des völkischen Nationalismus. Die Werteordnung des liberalen Europa ist in dieser Perspektive durch die Zersetzung der eine Nation konstituierenden sittlichen Ordnung gekennzeichnet, die sich in der Bewahrung der traditionellen Kategorien von Geschlecht, Rasse, Sexualität, Kultur und Gesellschaft ihren Ausdruck gibt. Das dem Etatismus verfallene Europa symbolisiert in dieser Sichtweise eine Hinwendung zum Todfeind der Freiheit, dem Sozialismus, dem der Trumpismus global den Kampf ansagt. Dieser Kampf erfordert – was sonst – »Frieden durch Stärke«. Im Wissen darum, dass ideologische Suprematie nur durch militärische Überlegenheit herbeigeführt werden kann, ist die Gewalt des America First ein Garant der Freiheit.⁶ Wenn Trump zufrieden bilanziert, dass er in seiner ersten Amtszeit die »US-Militärmacht vollständig wiederaufgebaut und Amerika global zu solcher Stärke verholfen« habe, dass »überall auf der Welt Frieden ausbrach und wir Frieden durch Stärke hatten«, dann ist das alles andere als die Verkündigung eines neuen »Isolationismus«. Trump weiß, dass sein Programm eines weltweiten freiheitlichen Kapitalismus unter amerikanischer Führung nur durch Gewalt gesichert und durchgesetzt werden kann, und er glaubt, genügend davon verfügbar machen zu können. Eine Herausforderung nicht nur für die werteorientierten Bündnispartner in Europa.

Die Frage, ob der Trumpismus eine neue Form des Faschismus darstellt, hat nur geringen aufklärerischen Wert. Die MAGA-Bewegung kämpft für eine freiheitliche Welt, in der die traditionellen Werte von Familie, Religion und Nation wieder uneingeschränkt zur Geltung kommen. Das Ideal einer weißen »Rasse«, deren Enteignung durch Nichtweiße rückgängig gemacht werden muss, ist Teilen der Bewegung dabei durchaus geläufig.

Moral und Gewalt

Die MAGA-Bewegung versteht sich als eine Bewegung mit einer Mission, die den Geist eines von allen Einschränkungen befreiten Kapitalismus in Konflikt mit dem Geist regulierender Staatlichkeit sieht. Das soll durch eine andere Praxis korrigiert werden: Sie besteht in der Herbeiführung von Gesellschaften, die der kapitalistischen Vermehrung von Eigentum ihr gesamtes Dasein widmen. Und die Bewegung spricht offen aus, dass diejenigen, deren Wille oder Ressourcen hierzu nicht ausreichen, den Wohlstand, den der Kapitalismus verheißt, nicht verdient haben. Massendeportationen, Aushungern missliebiger Staaten, Aneignung fremder Territorien und Deals auf der Basis von Erpressung sind notwendige Mittel, der Welt den amerikanischen Freiheitstraum näher zu bringen. Die Zusammengehörigkeit von Moral und Gewalt wird am Beispiel einer Wohlstandsvermehrung durch America First geradezu lehrbuchartig vorexerziert und es nutzt wenig, Gewaltfanatikern vorzuhalten, sie seien Faschisten. Wo käme man da bei all den Hofreiters, Strack-Zimmermanns usw. hin?

Insofern könnte auch die Linke vom Trumpismus und seiner Analyse lernen. Milliardäre sind keine »Gefahr für die Demokratie«, wie der Vorsitzende der Linkspartei Jan van Aken meint, sondern überzeugte Anhänger einer Volksherrschaft zum Zwecke der Privateigentumsvermehrung. Musk und andere bauen auch nicht ihre »unsoziale Politik« weiter aus, sondern sehen das Soziale allein durch uneingeschränkte Kapitalakkumulation gewährleistet. Und die MAGA-Bewegung will die USA auch nicht »wie einen Konzern« führen.⁷ Wer am Trumpismus nur auszusetzen hat, dass er Reiche noch reicher macht, setzt ihm nur die alternative Moral entgegen, dass die Armen doch auch Berücksichtigung finden sollten und die Abschaffung von Fürsorge das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit verletzt. Das ist gegenüber der Wucht einer MAGA-Mission, die all diese Ideale auf den Müllhaufen der Geschichte bugsiert sehen will, deutlich zu kurz gesprungen.

Anmerkungen:

1 In der nationalen Sicherheitsstrategie der USA von 2017 heißt es unverblümt, eine Welt, die amerikanische Interessen unterstütze und amerikanische Werte widerspiegele, mache Amerika sicherer und mehre seinen Wohlstand (National Security Strategy, S. 4).

2 Vgl. https://www.rothbard.it/articles/right-wing-populism.pdf

3 Alice Weidel: Widerworte. Gedanken über Deutschland, Kulmbach 2019, S. 93 u. 95

4 Jesús Huerta de Soto: Sozialismus, Wirtschaftsrechnung und unternehmerische Funktion, Berlin 2013, S. 32

5 https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-trump-weltordnung-basar-100.html

6 Zum Ärger der europäischen Verbündeten ist der Gesichtspunkt der Sortierung der Welt nach gut und böse nicht mehr durch die völkerrechtliche Moral der regelbasierten Weltordnung fundamentiert. Vor deren Hintergrund hat man versucht, den europäischen Imperialismus im Schatten Amerikas voranzutreiben und die EU zur weltumspannenden Wirtschaftsmacht aufzupäppeln. Damit macht der Trumpismus Schluss. Dass dabei auch noch Frieden in der Ukraine auf die Tagesordnung gesetzt wird, bringt die europäischen Geostrategen endgültig auf die Palme. Ihre Friedensunion muss sich als Kriegsunion neu aufstellen und möglichst eigene Truppen in die Ukraine schicken, wobei die Option, Russland anzugreifen, offengehalten wird. Denn für Europa gilt: Frieden mit Putin ist Vaterlandsverrat.

7 https://www.die-linke.de/start/presse/detail/jeder-milliardaer-ist-eine-gefahr-fuer-die-demokratie

Norbert Wohlfahrt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 30. Januar 2025 über die Auswirkungen der zunehmenden Militarisierung: Den Krieg mitgestalten

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (12. März 2025 um 18:57 Uhr)
    Der Trumpismus ist weder konservativ noch libertär, er ist zutiefst reaktionär, chauvinistisch und militaristisch. Er ist die direkte Herrschaft der aggressivsten Kreise des Finanzkapitals, denen sowohl die vorgegebenen Interessen der US-Amerikaner, als auch die ihres Landes, als auch der Welt insgesamt, völlig schnurz sind. Teil zwei dieses Artikels sollte sich damit beschäftigen, welche Chance die Weltgemeinschaft hat, dieses Krebsgeschwür des niedergehenden Kapitalismus noch irgendwie einzuhegen. Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben, zwischen Trumpismus und Faschismus klaffe eine beruhigend große Lücke. Das hätte etwas von dem »Es wird schon nicht so schlimm werden« an sich, mit dem sich das deutsche Volk vor 90 Jahren in die größte Katastrophe seiner Geschichte führen ließ. Nur dass diesmal die Katastrophe noch viel größer werden würde, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Artur P. aus Schöneiche bri Berlin (12. März 2025 um 11:26 Uhr)
    So zutreffend einige der ausgewählten Aspekte zu sein scheinen: Der Versuch, die Welt, die Politik aus der Ideologie heraus zu erklären, greift nicht nur zu kurz, sondern führt in die Irre. Ideologische, auch rassistische Verblendung mag die Motivation für das Handeln von Individuen sein. Das erledigt aber nicht die Frage nach den Interessen, denen diese Ideologie entspringt. Die Auseinandersetzung mit ideologischer Verblendung kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn die Interessen offengelegt werden, die diese Ideologie, die den Trumpismus hervorgebracht haben. Und die entspringen tatsächlich wesentlich den ökonomischen Verhältnissen. Letzteres ist keine Frage unter anderen, sondern das Kernproblem sowohl der Entstehung als auch der Massenwirksamkeit von »MAGA«.

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