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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Faschismus in Indien

Eine Frage der Präzision

Kommunisten in Indien debattieren, ob die Präsidentenpartei BJP als faschistisch zu bezeichnen ist
Von Vijay Prashad
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Auch aus den Reihen der Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch) kam Kritik (Patna, 2.3.2025)

Es gibt Debatten, die Dinge klarstellen. Und dann gibt es Debatten, die irritieren. Die in Indien über den Faschismus macht letzteres. Dabei ist sie weder neu noch eine echte Debatte. Die Kommunistische Partei Indiens (Marxistisch), kurz oder CPI (M), ist mit über einer Million Mitgliedern die größte kommunistische Partei Indiens und bereitet ihren Parteitag für den April vor. Seit Monaten hält sie Landeskonferenzen ab, um die aktuellen Themen zu erörtern und die Delegierten für den Parteitag zu wählen.

Mehr als eine Partei

In dieser Zeit wurde auch der Entwurf einer politischen Erklärung herumgeschickt. Darin charakterisiert die CPI (M) die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) von Präsident Narendra Modi nicht als faschistisch, sondern als Partei mit »faschistischen Tendenzen«. Außerdem verweist die CPI (M) zum ersten Mal auf die Kategorie des »Neofaschismus«. Aufgrund der Nichtverwendung des Begriffs Faschismus begannen andere linke Kräfte und einige linksliberale Intellektuelle, die CPI (M) zu attackieren und zu behaupten, die Partei sei sich über die Rolle der BJP und ihrer seit 2014 amtierenden Regierung in Indien nicht im klaren.

Niemand behauptet, die CPI (M) habe ihre Rolle im Kampf gegen die BJP und ihre Hinduvorherrschaft oder bei der Verteidigung der Minderheitenrechte vernachlässigt. Die CPI (M) hat in der Tat – trotz ihrer allgemeinen Schwäche im Hinblick auf das Gleichgewicht der politischen Kräfte – den Kampf gegen jeden Versuch der BJP-geführten Regierung angeführt, das säkulare Gefüge der indischen Verfassung zu untergraben und die Rechte religiöser Minderheiten und anderer anzugreifen. Es geht um die Nichtverwendung des Wortes »Faschismus« und die Verwendung des Begriffs »Nichtfaschismus«.

Die BJP ist nicht bloß eine politische Partei. Sie ist Teil eines gewaltigen Netzes politischer Kräfte, zu der auch eine direkt faschistische Organisation – die 1925 gegründete Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) – und eine Reihe von Massenorganisationen, darunter Gewerkschaften und Bauernverbände, zählen. Dieses Strukturen sind als »Sangh Parivar« oder die »Familie des RSS« bekannt. Die BJP ist eine weit rechts stehende Partei, die Bündnisse mit ehemaligen sozialdemokratischen Kräften und mit Abspaltungen der ehemals größten politischen Partei Indiens, der Congress Party, geschlossen hat. Seit ihrer Gründung in den 1980er Jahren hat die BJP an Wahlen teilgenommen und ist programmatisch weiterhin dem bürgerlich-liberalen Rahmen der indischen Demokratie verpflichtet.

In der Gesellschaft bekämpfen

Dies ist ein wichtiger Grund, warum die CPI (M) die BJP nicht als faschistische Partei betrachtet; letztere hat kein Interesse gezeigt, mit dem liberalen Rahmen zu brechen, und unterhält eine enge Beziehung zu den neoliberalen Kräften, die die politische Landschaft Indiens bestimmen. Andererseits gibt es mehrere tatsächlich faschistische Organisationen – so die RSS und die Bajrang Dal –, die außerparlamentarische Killerkommandos sind, wie die Braunhemden der Nazis und die Camicie nere der italienischen Faschisten. Diese Gruppen müssen in der Gesellschaft bekämpft werden, wo sie durch ihre jahrzehntelange Arbeit in sozialen und religiösen Organisationen aber tief verwurzelt sind. Die BJP muss jedoch auf politischer Ebene bekämpft werden, wo sie weiterhin mit verschiedenen politischen Kräften der Rechten und der rechten Mitte vordringt.

Der Begriff »Faschismus« hat eine moralische Qualität angenommen. Man benutzt ihn, um jeden Gegner rechts des eigenen Standpunktes zu verunglimpfen. Das ist eine bequeme Art, die einem ein gutes Gefühl gibt, aber nicht unbedingt die richtige Strategie und Taktik für die Linke ergibt. Jeden Rechten als »Faschisten« zu bezeichnen, bedeutet zweierlei: Erstens, dass man die Widersprüche innerhalb des Lagers der extremen Rechten nicht richtig versteht; und zweitens, dass die Linke dazu neigt, vorschnell opportunistische Bündnisse mit den Liberalen und der rechten Mitte einzugehen – und ihnen die Arbeiterklasse und die Bauernschaft für ihre Agenda ausliefert –, während die Erstgenannten ebenso oft bereit sind, sich abzuwenden und ihre eigenen Bündnisse mit der extremen Rechten einzugehen, wenn es ihnen passt. Der Antifaschismus wird immer einen moralischen Charakter haben, aber er darf nicht durch moralische Rhetorik definiert werden. Die Bezeichnung braucht politische Präzision.

Der Begriff »Neofaschismus« wird verwendet, um den globalen Charakter dieser Entwicklungen zu erforschen, die Verbindungen zum Beispiel zwischen der extremen Rechten eines besonderen Typs in Brasilien (Bolsonarismo) und der weit rechts stehenden Vox in Spanien (Extrema derecha). Sicherlich hat der Zusammenbruch des Liberalismus und der Sozialdemokratie durch die neoliberale Austeritätspolitik das politische Feld in den bürgerlichen Demokratien relativ geleert. Eine kleine Linke ist nicht in der Lage, eine Arbeiterbasis aufzubauen, die der völligen Zerstörung der Gesellschaft durch den Neoliberalismus entgegentritt. Es war die extreme Rechte eines besonderen Typs, die davon profitierte, indem sie Teile des neoliberalen Konsenses angriff, aber dessen Wirtschaftslehre aufrechterhielt. Das ist es, was Modi mit Bolsonaro und mit Trump verbindet. Deshalb ist dieser Begriff jetzt aufgetaucht.

Für die Linke gibt es keine Alternative, als zwei Dinge aufzubauen: Die unabhängige Kraft der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, um für eine Volksdemokratie anstelle der Demokratie des Kapitals zu kämpfen, und daneben prinzipienfeste Bündnisse mit Kräften, die über die Zerstörung der Gesellschaft empört sind und sich für die Stärkung der Demokratie einsetzen.

Vijay Prashad ist der Direktor des Tricontinental-Instituts für Sozialforschung

Übersetzung aus dem Englischen: Marc Bebenroth

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