VCI will »Economy First«
Von David Maiwald
Mit Blick auf das vergangene Jahr beklagt die chemische Industrie der Bundesrepublik einen »empfindlichen Rückschlag«. Der Branchenverband VCI bebilderte die Mitteilung zum vierten Quartalsbericht 2024 mit der Szene eines Boxfights: Ein Kontrahent in schwarzen Shorts kassiert von seinem rotbehosten Gegenüber eine satte Gerade. »Die neue Bundesregierung muss jetzt liefern und den Standort Deutschland mit mutigen Reformen auf den Weg der Wettbewerbsfähigkeit zurückführen«, steht darunter.
Ob die Chemielobby sich, den Sektor oder die Bundesregierung in dem Bild als den durchschlagenden Vollstrecker oder abgeschlagenen Part darstellen will, wird beim Anruf in der Pressestelle nicht beantwortet. »Interpretieren möchte ich das jetzt nicht«, stellt ein Verbandssprecher auf Nachfrage klar. Doch Material zur Interpretation lieferte der VCI in seinem Report schließlich auch zur Genüge.
Der Branchenumsatz blieb laut Quartalsbericht mit einem Plus von 0,3 Prozent zum Vorquartal stabil, sank im Jahresvergleich aber um zwei Prozent auf 221 Milliarden Euro. Während die Produktion im Vergleich zum Vorjahr um ein Prozent zulegte, gingen die Erzeugerpreise hierzulande um 2,2 Prozent zurück. Es brauche nun »eine radikale wirtschaftspolitische Kurskorrektur«, deutete VCI Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup das Zahlenmaterial. Für die neue Bundesregierung gebe es jetzt »keine Schonfrist«: »Sie muss jetzt liefern. ›Economy First‹ muss die Devise sein.«
Für 2025 sieht die Chemielobby kein Wachstum. Ein Zuwachs von zwei Prozent bei der in sämtlichen Zahlen deutlich besser dastehenden Pharmaindustrie werde durch ein ebenso großes Minus in der Chemie vollständig aufgehoben. Für das Gesamtjahr rechnete der VCI beim Umsatz ein Minus von einem Prozent vor, das sich auf die Sparte Chemie (minus drei Prozent) und Pharma (plus zwei Prozent) aufteilen werde. Mit einem Aufschwung sei nach dem laut Reuters »tiefsten Stand der Produktion seit Mitte 2009«, erst im kommenden Jahr zu rechnen. Eine »Economy First«-Ausrichtung der neuen Bundesregierung ist in die Prognose noch nicht eingepreist, darin wird »nach dem rasanten Sturzflug des Vorjahres« mit einem allmählichen »konjunkturellen Landeanflug« der deutschen Wirtschaft gerechnet.
Die großen Konzerne der Branche interpretieren dieses Bild bislang mit einer Absage an den Standort BRD: Primus BASF will im Stammwerk in Ludwigshafen ganze Anlagen stilllegen und wird beim Sparziel von einer Milliarde Euro bis Jahresende 2026, »schmerzhaft« die Axt anlegen, die Belegschaft reduzieren. Auch der Düsseldorfer Henkel-Konzern gab noch am Dienstag an, mit einem Umsatzrückgang von zwei bis vier Prozent in diesem Frühjahr zu rechnen. Die Produktion in der chemischen Industrie habe schon im letzten Quartal 2024 »einen neuen Tiefpunkt erreicht«, teilte der VCI in seinem Bericht am Mittwoch mit.
Die Kapazitätsauslastung lag hierzulande bei 74,4 Prozent und damit »unter der Rentabilitätsschwelle«. Einziger Wachstumstreiber seien außereuropäische Märkte, vor allem Nordamerika und Asien mit einem Umsatzwachstum von teilweise mehr als zehn Prozent zum Vorjahr gewesen. »Investitionen fließen ab, es regieren Kostenkeule und Kapazitätsabbau. Wir bezahlen das mit massiven Arbeitsplatz- und Wohlstandverlusten«, hatte der Vorsitzende der Chemiegewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, unmittelbar zu Jahresbeginn prognostiziert.
Dem VCI-Bericht zufolge konnten Rückgänge bei Chemiebelegschaften zum Jahresende 2024 durch die Pharmabranche »kompensiert« werden. Doch könnten »Ankündigungen von Umstrukturierungen mit langfristigen Auswirkungen auch auf die Mitarbeiterzahlen (…) dieses Bild aber ändern«, teilte der Verband mit. Wie das nun auszulegen ist?
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