Protest gegen Ausverkauf
Von Volker Hermsdorf
Ecuador steht vor einem neuen Großkonflikt. Einen Monat vor der Stichwahl zwischen dem rechten Amtsinhaber Daniel Noboa und der linken Kandidatin Luisa González um die Präsidentschaft hatten Gewerkschaften, indigene Verbände und andere soziale Organisationen trotz des von Noboa verlängerten Ausnahmezustands für Dienstag zu landesweiten Protestaktionen und Sitzstreiks aufgerufen. Sie protestierten gegen die Privatisierung von Ecuadors ertragreichstem Ölfeld. Die Regierung will an diesem Mittwoch endgültig über die Lizenz zur Ausbeutung des in der Amazonasprovinz Orellana gelegenen Sacha-Feldes entscheiden. Die einem kanadisch-chinesischen Konsortium am 1. März in einem Vorvertrag erteilte Erlaubnis hat heftige politische Reaktionen hervorgerufen, die sich in den vergangenen Tagen weiter zuspitzten.
Der Vertrag komme nur zustande, sollte die Allianz aus Tochtergesellschaften des chinesischen Konzerns Sinopec und des kanadischen Unternehmens New Stratus Energy bis Dienstag abend eine Vorauszahlung von 1,5 Milliarden US-Dollar leisten, hatte Noboa erklärt. Sofía Espín von der linken Oppositionspartei Revolución Ciudadana hatte ihn zuvor bei der Generalstaatsanwaltschaft wegen Einflussnahme und Veruntreuung angezeigt.
Laut der Abgeordneten gibt New Stratus Energy auf seiner Webseite an, die Investition hauptsächlich durch den Cashflow aus den mit Ecuador durchgeführten Operationen finanzieren zu wollen, berichtete der Fernsehsender Ecuavisa. »Sie verfügen demnach nicht über die nötige Summe und möchten statt dessen auf die Ressourcen Ecuadors zugreifen, um die Zahlung zu leisten«, sagte Espín. Misstrauen hatte auch die Vergabe der Konzession ohne öffentliche Ausschreibung ausgelöst. Die Skepsis im Land wuchs weiter, als örtliche Medien berichteten, mit dem Konsortium verbundene Unternehmen unterhielten Geschäftsbeziehungen zu Firmen aus dem Umfeld des Präsidenten.
Noboa wies den Vorwurf eines Interessenkonflikts zurück und konterte polemisch, seine Familie habe »im Gegensatz zu denen, die uns angreifen, nie vom Staat gelebt«. Energieministerin Inés Manzano betonte, der Staat bleibe nach Übertragung des Feldes weiterhin Eigentümer, erhalte jedoch 82 Prozent der Ölgewinne und spare gleichzeitig 3,5 Milliarden US-Dollar an Betriebskosten ein. Der 20 Jahre lang laufen sollende Produktionsbeteiligungsvertrag solle helfen, eine veraltete, aber nach wie vor produktive Infrastruktur effizienter zu nutzen. Zudem würden über 1.000 neue Arbeitsplätze in der Region geschaffen.
Kritiker werfen der Regierung vor, Ecuador verliere die Kontrolle über eines seiner wichtigsten Ölfelder und erhalte im Gegenzug nur einen minimalen Anteil der Produktion. Expräsident Rafael Correa warnte, das Land werde in den nächsten zwei Jahrzehnten »eine seiner wichtigsten Einnahmequellen verlieren«. Das Sacha-Feld, auch als »Kronjuwel des Erdölsektors« bezeichnet, liefert die beste Rohölqualität. Mit einer täglichen Förderung von 77.191 Barrel, die 16 Prozent der nationalen Ölproduktion ausmacht, bringt es jährlich mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar ein.
Gegner werfen ein, dem Konsortium sollten zwischen 80 und 87,5 Prozent der gesamten Produktion des Feldes überlassen werden – sowohl der künftig geförderten Mengen als auch derjenigen, die bereits durch staatliche Investitionen produziert werden. Die Gewerkschaft der Energie- und Erdöl-Beschäftigten (ANTEP) sowie die Dachverbände »Frente Unitario de Trabajadores« (FUT) und »Unión General del Trabajadores de Ecuador« (UTE), die Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors (CONAIE) und andere Organisationen hatten deshalb für Dienstag zu Protesten in der Hauptstadt Quito und anderen Teilen des Landes aufgerufen, berichtete Prensa Latina.
Rafael Correa vermutet, Noboa wolle den Deal aufgrund der heftigen Proteste rückgängig machen, um sein beschädigtes Image vor der Stichwahl am 13. April aufzubessern. Luisa González, die Präsidentschaftskandidatin der von Correa gegründeten Revolución Ciudadana, kündigte bereits an, sie werde im Falle ihres Sieges alle entsprechenden Vereinbarungen aufheben.
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