»Sie sind nicht einverstanden«
Interview: Hendrik Pachinger
Mit welchem Ziel wurde am 6. März die Konferenz zum Branchenstreiktag Gesundheit in Nürnberg organisiert?
Es ging bei uns immer um die Frage, wie die Streikbereitschaft und der Organisierungsgrad der Teams und Belegschaften erhöht werden kann. In Verdi wurde erfolgreich die Methode der sogenannten Arbeitsstreiks etabliert, wo der Fokus des Streiks vor allem darauf liegt, mit einzelnen Vertretern die Beteiligung in der gesamten Belegschaft bei den großen Streiktagen zu steigern. Auf der Streikkonferenz ging es dann um den »Blick über den Tellerrand«. Die Kolleginnen und Kollegen sollten sich mit Themen beschäftigen, die im Alltagsstress oft zu kurz kommen: Krankenhausfinanzierung, der Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Sozialabbau, feministische Streiks, der Kampf gegen rechts als Teil der Gewerkschaftsarbeit, die Streiks um Entlastung.
Der Unmut über den Aufrüstungskurs war auch an den Streiktagen in Nürnberg zu spüren. Wie reagiert die Gewerkschaftsbasis, wenn Hunderte Milliarden fürs Militär gefordert werden und gleichzeitig kein Geld für Inflationsausgleich und mehr freie Tage vorhanden sein soll?
Auf den Kundgebungen ist der Ärger darüber unüberhörbar. Viele Kolleginnen und Kollegen verstehen sehr genau: das Geld, das in Aufrüstung und die sogenannte Kriegstüchtigkeit investiert wird, fehlt an anderer Stelle. Es fehlt bei den Kitaplätzen, in den Krankenhäusern und Schulen, im Gewaltschutz von Frauen usw. Sie wissen, dass sie die ersten sind, die mit den direkten Folgen eines Krieges konfrontiert werden. Sie betreuen bereits die Kinder geflüchteter Menschen mit Traumata in den Kitas, bringen ihnen Deutsch bei. Im Gesundheitssystem werden längst die Weichen für eine Ausrichtung an militärischen Notwendigkeiten gestellt. Es gibt unterschiedliche Haltungen zu Themen wie Aufrüstung oder Waffenexporte, aber viele Kolleginnen und Kollegen sind mit diesem Kurs nicht einverstanden. Sie sehen erst recht nicht ein, dass diese gigantischen Summen für Aufrüstung aus Einsparungen bei ihren Arbeitsbedingungen, Gehältern und öffentlicher Infrastruktur geholt werden sollen.
Ein Workshop der Informationsstelle Militarisierung hat versucht, den Zusammenhang von Aufrüstung und Sozialabbau aufzuzeigen. Wie stark ist das Bewusstsein dafür an der Basis derzeit entwickelt?
Dieser Zusammenhang ist unübersehbar und wird in verteidigungspolitischen Publikationen und von politischen Vertretern auch sehr offen ausgesprochen – und das nicht erst seit gestern. Das ist vielen Mitgliedern durchaus bewusst. Gleichzeitig gibt es zu außenpolitischen Themen unterschiedliche Meinungen unter Gewerkschaftsmitgliedern und in Fragen zu deutschen Waffenexporten in Kriegsgebiete keine klare Haltung der Organisation. Um die Friedensfrage in den Gewerkschaften wird gerungen und müsste noch viel stärker diskutiert werden. Für viele Aktive ist klar: Die Friedensfrage ist elementarer Bestandteil der Gewerkschaftsarbeit – als Teil der internationalen Solidarität über Grenzen hinweg, also auch mit Blick auf die Bedingungen der Tarifauseinandersetzungen hier. Das darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass besonders mit Blick auf Gaza die offizielle Haltung der Gewerkschaften nicht nur einseitig, sondern teilweise auch offen entsolidarisierend ist.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Warnstreiks gehen weiter, und eine Ausweitung wird diskutiert. Es ist ein Novum, dass in einer Flächentarifrunde im öffentlichen Dienst bis zur dritten Verhandlungsrunde kein Angebot vorgelegt wird, es herrscht eine vollständige Blockadehaltung vor. Vor dem nächsten Verhandlungstermin am Wochenende werden wir die Streiks in einigen besonders sensiblen Bereichen gezielt intensivieren.
Die Hauptforderungen der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sind acht Prozent, mindestens aber 350 Euro und mehr Urlaub. Welche Forderungen gibt es noch?
Wir fordern auch eine Erhöhung der Zuschläge für Schichten in ungünstigen Zeiten und in der Wechselschicht. Besonders wichtig für alle Kolleginnen und Kollegen, die im Krankenhaus im Schichtdienst arbeiten, ist die bezahlte Pause in der Wechselschicht. Die wurde den Kollegen im Krankenhaus in den 90er Jahren weggenommen – das entspricht bei Vollzeit aufs Jahr gerechnet zwölf Tagen Arbeitszeit, die den Beschäftigten nicht bezahlt werden. Außerdem ist ein sogenanntes Meine-Zeit-Konto Teil der Forderungen. Die Idee ist, dass die Kolleginnen und Kollegen zukünftig flexibler entscheiden können, ob sie in bestimmten Lebensphasen mehr Geld oder mehr Erholungszeit brauchen. Außerdem wird eine neue Regelung zur Altersteilzeitgefordert. Von Hendrik Pachinger
Joana Terborg ist Verdi-Sekretärin in Mittelfranken
links & bündig gegen rechte Bünde
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