Werben fürs Sterben
Von Arnold Schölzel
CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz gab sich am Donnerstag bei der Sondersitzung des am 23. Februar abgewählten Bundestag äußerlich gelassen, aber im Inhalt aggressiv: Er forderte eine »große nationale Kraftanstrengung«, die angesichts der Weltlage »keinen Aufschub« dulde. Das sah SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil nicht anders, fügte aber den deutschnationalen Parolen mit »Befreiungsschlag« und »Fesseln lösen« etwas jungsozialdemokratische Begeisterung hinzu. Die für die Zweidrittelmehrheit nötige Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangte zwar weitere Änderungen der Finanzpläne, signalisierte aber Zustimmung aus »Verantwortung«. FDP, AfD und BSW warfen Merz wegen der angepeilten Verschuldung gratisdemokratisch Wählertäuschung vor. Den dürfte mehr beschäftigen, ob die für kommenden Dienstag geplante Verabschiedung der Grundgesetzänderungen durch das Parlament in alter Zusammensetzung vom Bundesverfassungsgericht noch gestoppt wird.
Die Bundestagssitzung begann mit einer Geschäftsordnungsdebatte zum Antrag der AfD, die Gesetzespläne von der Tagesordnung zu nehmen. Die Mehrheit lehnte das gegen die Stimmen von AfD und BSW ab. Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke kritisierten die Vorhaben von CDU/CSU und SPD, erstere aber nur, um umzufallen: Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) wies zum Beispiel das Argument zurück, es gebe eine besondere Eilbedürftigkeit. Ihre Partei habe lange vor der Wahl auf den Handlungsbedarf hingewiesen und sei von der Union wegen mangelnder Ausgabendisziplin belehrt worden. Dennoch sei ihre Fraktion bereit, »schwierige Entscheidungen zu treffen«.
Der Linke-Politiker Christian Görke kritisierte eine seiner Ansicht nach »wahnsinnige Flatrate für das größte Aufrüstungsprogramm«, das die Bundesrepublik je erlebt habe, erklärte aber anschließend, dass es »eine demokratische Mehrheit für eine Reform der Schuldenbremse« gebe: »Wir als Linke sind da gesprächsbereit. Sie müssen nur Ihre ideologischen Scheuklappen einfach mal ablegen.« Auf das Angebot müssen die künftigen Koalitionäre eventuell noch zurückkommen.
Die Redner von CDU, CSU und SPD gingen auf Die Linke allerdings nicht ein, sondern bemühten sich ausschließlich um Bündnis 90/Die Grünen. Ihnen bot Merz an, Geld aus dem geplanten 500 Milliarden Euro großen Sondervermögen Infrastruktur auch in Klimaschutz zu investieren und die Schuldenbremse nicht nur für Aufrüstung zu lockern, sondern auch für Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie die Nachrichtendienste.
Heidi Reichinnek (Die Linke) forderte daraufhin Bündnis 90/Die Grünen auf, die Pläne von Union und SPD abzulehnen, hielt aber fest: »Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Schade eigentlich, ich hatte kurz Hoffnung auf Ihr Rückgrat.« Auch sie bot die Unterstützung ihrer Partei an und erklärte, eine spätere, grundlegende Reform der Schuldenbremse werde unrealistisch, wenn Bündnis 90/Die Grünen jetzt einer Lockerung für Verteidigungsausgaben zustimmten: »Dann muss ich Sie enttäuschen: Das wird nicht passieren. Ohne Ihren Druck und ohne unseren Druck wird die Union eine solche Reform nicht unterstützen.« Reichinnek plädierte für eine Abstimmung im neuen Bundestag, in dem auch die Stimmen der Linken für eine Zweidrittelmehrheit benötigt werden. Die Lösung der Aufrüstungs»fesseln« geht in die nächste Runde.
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